Tichys Einblick
Doktorarbeiten

Ein prominenter Plagiator landet immer wieder sanft

Auch Michael Neumann, einst einer der mächtigsten SPD-Politiker an der Elbe, ist als Dieb geistigen Eigentums entlarvt. Sein Fall erinnert an Annette Schavan, die sich als Plagiatorin heute wieder ihrer Gastprofessur widmen darf.

Die Bundeswehr-Hochschule („Helmut-Schmidt-Universität“) in Hamburg hat dem ehemaligen Hamburger Innensenator Michael Neumann (SPD), der in Hamburg sogar mal als Anwärter für den Posten des Ersten Bürgermeisters galt, kürzlich endgültig die Doktorwürde entzogen.

Über Verdachtsmomente hatten Medien bereits im Juni geschrieben, die sich darüber erstaunten, dass der neue „Wissenschaftliche Mitarbeiter“ Neumann von der Bundeswehr trotz aller Verdachtsmomente immer noch als Allzweckwaffe in verschiedenen, hoch attraktiven Funktionen eingesetzt wird.

So ist die Aberkennung akademischer Würden nicht nur für Neumann hochnotpeinlich. Auch die Bundeswehr-Universität Hamburg steht im Zwielicht. Und die höchste Ausbildungsstätte des deutschen Militärs – die Führungsakademie der Bundeswehr – gleich mit. Hohe Führungskreise sind offensichtlich bestrebt, „gefallene“ Prominente aus ihren Reihen sanft aufzufangen und sie mit lukrativen Jobs zu versorgen, von denen der ehrliche Soldat und der ehrbare Beamte in aller Regel nicht einmal zu träumen wagt.

Als Ex-Politiker im Senkrechtstart auf den Olymp der Bundeswehr-Universität

Doch der Reihe nach. Neumann war von 2011 bis 2016 als Innensenator in der Hansestadt Hamburg verantwortlich für Polizei, Feuerwehr und Verfassungsschutz. Weit mehr als 10.000 Bedienstete unterstanden dem Oberstleutnant der Reserve. Die Polizei hat zum Beispiel die Aufgabe, als Strafverfolgungsbehörde gegen ordnungswidrige und strafbare Handlungen vorzugehen. Da sollte der oberste Chef, der Senator, ein untadeliges Vorbild sein.

Neumanns Arbeit als Politiker ist in der Hansestadt Hamburg damals meist positiv bewertet worden. Umso mehr überraschte er im Jahr 2016 die Öffentlichkeit, als er quasi aus heiterem Himmel erklärte, „amtsmüde“ zu sein. Der studierte Diplom-Politologe wollte einen Neustart wagen: als „Wissenschaftlicher Mitarbeiter“ an der Militär-Universität, an der er einst auch studiert hat.

Eine große neue Karriere wurde offenbar ins Visier genommen. Man erzählt sich, dass Neumann beispielsweise davon träumte, bald Präsident einer Bundeswehr-Hochschule zu werden. Für den Weg nach oben schien es ratsam, zuerst einmal die Promotion zu machen. Ein Doktortitel hilft, manche Türen zu öffnen. Also wurde Neumann Doktorand. Thema seiner Dissertation, die später 274 Seiten lang wurde: „Länderneugliederung im deutschen Föderalismus am Beispiel des Nordstaates.“

Schon während seiner Tätigkeit als „Doktorand“ sorgte die Bundeswehrführung für eine adäquate Vergütung. Gleich an oberster Universitätsstelle erhielt er eine Planstelle. Ganz offiziell wurde er nämlich – laut Vorlesungsverzeichnis – angesiedelt zwischen dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten der Hochschule. Selbst das „Hamburger Abendblatt“ hat allerdings nie herausfinden können, welche Besoldungsstufe dem ehemaligen Politiker zugeteilt worden ist.

Auch darüber, was Neumanns Arbeits-Aufgaben waren – auf dem Olymp der „Helmut-Schmidt-Universität“–, hüllt sich die Bundeswehr bis heute in beredtes Schweigen. Beobachter vermuten, dass Neumann einen außerordentlich attraktiven Sonderarbeitsvertrag erhalten hat, über den auch dann hohe Gehälter gezahlt werden können, wenn nicht alle der eigentlich vorgeschriebenen Laufbahnvoraussetzungen erfüllt sind.

Ein Berliner Plagiatoren-Jäger bringt Neumann abrupt zu Fall

„In relativ kurzer Zeit“ („Hamburger Abendblatt“) hatte der umtriebige Neumann sein Werk vollendet, das ihm allerdings alsbald „um die Ohren fliegen“ („Bild-Zeitung“) sollte. Denn plötzlich war ihm ein gefährlicher Mann auf die Spur gekommen: der Jurist Gerhard Dannemann von der Berliner Humboldt-Universität, der Mitarbeiter der Plattform „VroniPlag Wiki“ ist. Diese Plattform hat sich auf das Aufspüren von Plagiaten in wissenschaftlichen Arbeiten, speziell Dissertationen, spezialisiert.

Dem politisch links positionierten „Norddeutschen Rundfunk“ waren zuvor Informationen darüber zugespielt worden, dass bei der Promotionsarbeit Neumanns, der als Politiker eher zum rechten Flügel der SPD gehört hatte, nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein konnte. Der Sender reagierte sofort und setzte sich mit dem Plagiatoren-Jäger Dannemann in Verbindung, der sich schnell über einen neuen Auftrag freuen durfte. Er hat „damals auf Anfrage von Panorama 3 die Arbeit geprüft und Dutzende Plagiate festgestellt“ („NDR“).

Als die Vorwürfe öffentlich wurden, ordnete die Leitung der Bundeswehr–Universität eine offizielle Untersuchung an. Eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern machte sich an die Arbeit, die länger dauern sollte als erwartet.

Während dieser Untersuchungszeit versah Michael Neumann seinen Dienst nicht mehr an der Elbe. Er wurde schnell versetzt nach Norfolk in Virginia – an den Atlantik. Dort, wo besonders im Sommer ein angenehmes Meeres-Klima herrscht, befindet sich die größte Militärbasis der US-Navy, gelegen auf der Halbinsel Sewell’s Point an Hampton Roads.

Böse Zungen in verschiedenen Medien behaupteten, diese Versetzung sei Neumann aus mehreren Gründen sehr zupass gekommen. Ein Grund: In dieser amerikanischen Region lebte damals auch die neue Lebensgefährtin Neumanns, dessen geschiedene Frau, die SPD-Bundestagsabgeordnete Aydan Saliha Özoğuz, drei Jahre – bis 2016 – als Staatministerin im Bundeskanzleramt mit heftig umstrittenen Thesen zur Migrationspolitik immer wieder von sich reden machte („Tichys Einblick“ berichtete mehrmals darüber).

Ein anderer Grund: Dass Neumann, der nun in den USA als Wissenschaftlicher Mitarbeiter – mit welchen Aufgaben auch immer – in die Arbeit an einem „Forschungsprojekt“ integriert wurde, ist ebenfalls finanziell nicht ohne Bedeutung. Erhalten doch Bundeswehr-Beschäftigte, wenn sie im Ausland eingesetzt werden, hohe Gehaltszulagen. Und dies sogar steuerfrei. Deswegen wollen viele Soldaten und Beamte immer wieder gern ins Ausland. Selbst internationale Kriegseinsätze sind gefragt, hier werden die höchsten Zulagen gewährt – bis zu 3.100 Euro monatlich.

„Ist das so? Ich weiß nichts, ich sage dazu nichts

Die Plagiatsvorwürfe, die Michael Neumann gemacht worden waren,  stellten sich als berechtigt heraus. Das hat eine interne Untersuchung seiner „wissenschaftlichen Arbeit“ ergeben, die die zuständige Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften durchgeführt hat. „Nach der eingehenden Prüfung sei der Entzug des Doktortitels laut den internen Kreisen ‚unvermeidlich’ gewesen“ („NDR“), hieß es in der Hochschule.

Die Entscheidung, Neumann Ende September den Doktorgrad abzuerkennen, wurde jedoch geheim gehalten. Aber der „Bild“-Zeitung ist der Vorgang durchgestochen worden. Das war Ende Oktober. Die Boulevard-Zeitung veröffentlichte die Nachricht stehenden Fußes unter der höhnisch groß gesetzten Schlagzeile: „Abgeschrieben!“

Über die Gründe für die Aberkennung machte die Universität keine genauen Angaben. Es wird freilich gemunkelt, Neumann habe seine Promotionsarbeit in weiten Teilen zum Beispiel aus anderen Dissertationen und bei „Wikipedia“ abgeschrieben, ohne seine Quellen kenntlich zu machen.

Der ehemalige Hamburger Polizeisenator, der auch einige Jahre mächtiger Vorsitzender der Hamburger SPD-Bürgerschaftsfraktion gewesen ist, weigerte sich, zu den schmählichen Ereignissen Stellung zu nehmen. „Bild“ gegenüber, der den Ex-Doktor aufgespürt hatte, äußerte sich der akademische Mitarbeiter der Bundeswehr nur mit den Worten: „Ist das so? Ich weiß nichts, ich sage dazu nichts.“

Nun haben sich Neumann, der als ehemaliger Berufssoldat auch Beamter beim Bund ist, und die Bundeswehr-Universität offiziell getrennt, an der in der Regel zukünftige Leutnants und Oberleutnants studieren. Neumann ist jetzt innerhalb der Bundeswehr als akademische Kraft versetzt worden – ausgerechnet an die allerhöchste Ausbildungsstätte des deutschen Militärs: an die Führungsakademie der Bundeswehr (FüAkBw) im vornehmen Hamburg-Blankenese. Dort bilden (General-)Stabsoffiziere und einige sehr gut bezahlte Zivil-Dozenten solche erfahrenen und ausgewählten Offiziere aus, die später hohe und höchste militärische Dienstränge bekleiden sollen – vom Major bis zum General. Ehre, wem Ehre gebührt?

Plagiatorin Schavan: Von der Botschafterin am Heiligen Stuhl zur „Gastprofessorin“ in Schanghai

Das neue Beschäftigungsverhältnis Neumanns wird womöglich noch einige Satiriker beschäftigen, die die erfolgte Versetzung schlicht als Beförderung eines ehemaligen Politikers anprangern könnten, der doch als Plagiator entlarvt worden ist. Dabei stünde Neumann dann womöglich in einer Reihe zum Beispiel mit einer prominenten Diebin geistigen Eigentums: mit Annette Schavan (CDU), die sich besonderer Freundschaften erfreut. Schavan ist nämlich „die vielleicht engste politische Freundin von Bundeskanzlerin Angela Merkel“ („Die Zeit“). Eine solche  Freundschaft bringt viele Vorteile – etwa, dass frau „nach einer Affäre nicht ins politisch Bodenlose fällt, sondern durchaus sanft landet“, schreibt die Wochenzeitschrift.

Nach Annullierung ihres Doktorgrads wurde die ehemalige Bundesministerin ebenfalls „versetzt“. Sie landete tatsächlich sehr, sehr sanft: Die Katholikin wurde privilegierte Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland – und dies interessanterweise beim obersten Hirten der römisch-katholischen Kirche und Vertreter Christi auf Erden, beim Heiligen Stuhl in Rom. Heutigen Eliten scheint nichts mehr heilig zu sein. Das Selbstverständnis dieser „Oberschicht“, das offenbar durch keine Selbstzweifel getrübt wird, schreit im doppelten Sinne des Wortes gen Himmel.

Doch das ist noch nicht genug. Was ist aus Schavan nach vierjähriger Dienstzeit im Auswärtigen Amt („AA“) geworden? Sie lebt seit 2018 wieder primär in Ulm. Sie sucht sich erneut in der offenen Gesellschaft zu engagieren. Die „Zeit“ ist dem näher nachgegangen und fand heraus, dass sie sich ausgerechnet als „arrivierte Wissenschaftlerin“ profilieren will.

Schavan, man glaubt es kaum, hat nämlich immer noch eine „Gastprofessur“ im chinesischen Schanghai. Die Ex-Doktorin will sich dieser „Professur“ nun „intensiver widmen“ („Die Zeit“). Auf Grund welcher Kompetenzen ist ihr in Asien erlaubt worden, weiterhin als „Gastprofessorin“ zu wirken? Auf welcher politischen Ebene der kommunistischen Diktatur ist diese personalpolitische Entscheidung gefällt worden? Welche Rolle spielte dabei wohl der direkte Draht ins Bundeskanzleramt?

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