Tichys Einblick
An den Klippen der Wirklichkeit zerschellt

Die Documenta und die Widersprüchlichkeiten der Linken

Auch die nächste Documenta versinkt bereits im Chaos – ganze vier Jahre, bevor sie stattfinden soll. Der neuerliche Vorfall anti-israelischer Äußerungen ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Weltkunstausstellung ohne Israel-Obsession einfach nicht zu haben ist.

Szene von der Documenta 2022, aufgenommen am 25. September 2022.

IMAGO / ZUMA Wire
Eine weitere Runde im Antisemitismus-Skandal rund um die Documenta: Es sind noch vier Jahre, bis die nächste Weltkunstausstellung in Kassel (Documenta 16) ihre Toren öffnen soll, da versinkt auch diese bereits im Sumpf aus Israel-Obsession und Israel-Feindlichkeit. Nun ist die Kommission, die die künstlerische Leitung wählen sollte, kollektiv zurückgetreten.

Seinen Lauf nahm das – nach dem Antisemitismus-Skandal um die Documenta 15 – nächste Desaster in der vorvergangenen Woche. Da berichtete die Süddeutsche Zeitung, dass ein Mitglied der Findungskommission, der Inder Ranjit Hoskoté, 2019 eine Petition der Israel-Boykott-Bewegung BDS unterschrieben hatte. Darin wird der Zionismus, also das jüdische Streben nach einem eigenen Staat, als „rassistische Ideologie“ für einen „Siedler-kolonialen Apartheidstaat“ diffamiert.

Hatte die Documenta-Führung Hoskotés Hintergrund im Vorhinein nicht überprüft? Die BDS-Petition ließ sich mithilfe einer einfachen Google-Recherche ausfindig machen. Die Weltkunstausstellung äußert sich auf Nachfrage bisher nicht zu einem möglichen Versagen ihrerseits bei der Auswahl Hoskotés. Diese war noch unter dem Vorgänger des aktuellen Documenta-Chefs getroffen worden.

„Brutales Vernichtungsprogramm“ Israels

Immerhin nahm die Documenta-Führung den Inder nach Bekanntwerden der Unterschrift ins Gebet. Dabei soll der Schriftsteller nach Documenta-Angaben erklärt haben, „dass er die Ziele des BDS ablehne und die Bewegung nicht unterstütze“. Die Documenta verlangte von ihm allerdings auch, sich „unmissverständlich“ von den „als eindeutig antisemitisch bewerteten Inhalten des Statements“ zu distanzieren.

Dazu war Hoskoté offenbar nicht bereit, denn anstatt die gewünschte Distanzierung zu liefern, trat er zurück. Es werde von ihm verlangt, „eine pauschale und unhaltbare Definition von Antisemitismus zu akzeptieren, die das jüdische Volk mit dem israelischen Staat in einen Topf wirft und dementsprechend jede Sympathiebekundung für das palästinensische Volk als Unterstützung für die Hamas ausgibt“, klagte er.

Seine Israel-Feindlichkeit stellte er in dem Rücktrittsschreiben noch einmal unter Beweis, indem er sich mit Blick auf den von der Hamas ausgelösten Krieg im Gazastreifen über ein „brutales Vernichtungsprogramm“ ausließ, das „die israelische Regierung als Vergeltung gegen die palästinensische Zivilbevölkerung eingeleitet hat“. Die Documenta-Führung hat sich zu dieser Aussage bisher nicht geäußert.

Keine Distanzierung der anderen Kommissionsmitglieder

Bemerkenswert ist, wie die vier übrigen Kommissionsmitglieder mit dem Vorfall umgingen. Sie berieten sich und entschieden sich schließlich zum kollektiven Rücktritt. Nicht allerdings, um sich von der Israel-Obsession ihres Kollegen zu distanzieren. Im Gegenteil.

In ihrem Rücktrittsbrief klagten sie über eine „Dynamik der letzten paar Tage“, in denen Medien und Öffentlichkeit „unseren Kollegen“ Hoskoté „diskreditiert“ hätten. In Deutschland gebe es „ein emotionales und intellektuelles Klima der Übersimplifizierung komplexer Realitäten und daraus resultierende restriktive Einschränkungen“. Soll heißen: Hoskoté sei für eine eigentlich tolerable Israel-Kritik mundtot gemacht worden.

Auch zu dieser Behauptung hat sich die Documenta-Führung bisher nicht positioniert. Sie kündigte unterdessen an, den Findungsprozess „vollständig neu aufzusetzen“. Zuvor sollten möglichst veränderte Strukturen beschlossen werden, heißt es. Auf eine Veränderung der Entscheidungsstrukturen drängt auch Claudia Roth, die die von Hoskoté unterschriebene Petition als „eindeutig antisemitisch“ einstufte.

Es geht nicht um Strukturen

Das klingt zunächst gut. Doch der einfache Ruf nach strukturellen Umbauten geht am Kern des Problems vorbei: Was in Kassel gescheitert ist, ist nicht nur die Documenta als solche oder deren unklare Entscheidungs- und Verantwortungsstrukturen. Hier sind vielmehr ganz grundsätzliche Widersprüchlichkeiten einer immer mehr vom „Postkolonialismus” inspirierten deutschen Linken an den Klippen der Wirklichkeit zerschellt.

Denn einerseits will die Documenta der „Dritten Welt“ ihr Gehör schenken und diese besonders ernst nehmen. Kritik an dort vertretenen Positionierungen halten viele Linksliberale aus „postkolonialer” Selbstkritik heraus eher für unangebracht – „Weltoffenheit“ ist das oberste Gebot; alles soll neu ausgehandelt werden. Andererseits klammern sie sich aber zum Teil nach wie vor an die deutschen, besonders auf den Umgang mit Juden und Israel bezogenen Lehren aus dem Holocaust – eine Einstellung, die in großen Teilen der Welt jedoch nicht geteilt beziehungsweis sogar für unangebracht erachtet wird.

Was sich in Kassel im vergangenen Jahr und nun ein weiteres Mal ereignet hat, ist also ein Crash mit Ansage, den wir ganz ähnlich auch im Fall der massenhaften Migration aus dem islamischen Kulturkreis erleben. Wer die „Dritte Welt“ einlädt, der bekommt die „Dritte Welt“, und zwar mit allem, was zu ihr gehört, im Zweifel eben auch mit Israel-Feindlichkeit, Antisemitismus und wenig historischer Holocaust-Sensibilität im Gepäck. Oder um es anders zu formulieren: Ohne Israel-Obsession ist die Documenta in ihrer derzeitigen Form einfach nicht zu haben.

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