Tichys Einblick
Schlechtes Omen für die Ratspräsidentschaft

Die Wahrheit ist immer konkret – Angela Merkels Desaster in Brüssel

Vom „Nein“ zum Einstieg in die Transfer Union zum üppigen „Tischlein Deck Dich“ in Spendierhosen: Was ist eigentlich los in diesem Land, wenn über derartig gravierende Dinge nicht mal diskutiert wird?

Möglichweise ist Kanzlerin Angela Merkel während ihrer positiven Bilanz des Corona-Gipfels in Brüssel ein alter Witz aus ihren DDR-Zeiten eingefallen. Wenn die Sportler aus dem Reiche Honeckers wie so oft olympische Gold-Medaillen abräumten und der „große Bruder“ aus dem Sowjetischen Paradies aller Werktätigen nur auf dem zweiten Platz landete, scherzten die Menschen hinter vorgehaltener Hand: „Wetten, dass die Schlagzeile im Zentralorgan der SED Neues Deutschland lautet: „DDR nur Erster, Sowjetunion herausragender Zweiter!“

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Das Ganze nach der Devise, es kann nicht sein, was nicht sein darf. Die Wahrheit sieht am Ende des fünftägigen Ringens um EU-Europas Zukunft und unvorstellbarer Mengen Geldes ernüchternd anders aus. Die wahren Sieger dieses Mammut-Feilschens in Brüssel sind der niederländische Regierungschef Mark Rutte und Ungarns Viktor Orbán. Auf der Verliererbank sitzen, wenn sie es auch noch so heftig bestreiten, Frankreichs Präsident Marcon und die deutsche Kanzlerin Merkel.

Drastisch wurden (um ganze 33%) die Zuschüsse oder besser milliardenschwere Geschenke an Europas Süden heruntergedrückt. Die Rabatte auf die vorgesehenen Zahlungen der Wohlhabenden in der EU wurden nochmals kräftig erhöht. Im Falle Österreichs ließ die EU sogar das Doppelte des Vorgesehenen nach – mal eben über 250 Millionen Euro mehr in den Truhen der Wiener Hochburg. Nachgeben auch bei der so genannten Rechtsstaatsklausel, die Zahlungen an die Einhaltung von Demokratie-Kriterien koppeln sollte. Viktor Orbán, der bei aller Kritik im Ausland über robuste absolute Mehrheiten in seinem Land verfügt, drohte schlicht mit seinem Veto, was dem kompletten Scheitern des Gipfels gleichgekommen wäre. Noch gar nicht geeinigt hat man sich auf den Corona-Rettungstropf, sowie auf den jährlichen Finanzrahmen bis 2027.

Sebst propagandistisch daneben
Ein Tagesschau-Kommentar zum Schämen
Wundern dürften sich Angela Merkel und ihr Pariser Freund über diese Ohrfeigen nicht. Der österreichische Bundeskanzler Kurz brachte die Verärgerung auf den Punkt: „Mit einem fertigen Papier anreisen und dann erwarten, dass es einfach abgenickt wird – so geht das nicht. Beschlüsse dieser Art bedürfen der gemeinsamen Erarbeitung und am Ende steht dann ein gemeinsames Projekt.“

Schmerzhaft musste die autoritäre Kanzlerin aus Berlin lernen, dass draußen ein anderer Wind weht als an der Spree. Aus ihrer Partei wie aus der Fraktion muss sie keinen Widerspruch fürchten. Kritische Geister wurden im Laufe der langen Herrschaft gänzlich ausgeschwitzt. Wer nicht spurt, kann seine Karriere vergessen und verschwindet im Nichts. Nahezu kommentarlos nimmt man so immer wieder die scheinbar spontanen und elegischen Wechselbäder hin.

DER BRÜSSELER HEXENTANZ
Auch beim Geld drucken und verteilen kennt die EU keine Grenzen
So war es beim urplötzlichen und nicht abgestimmten Ausstieg aus der Kernenergie, so war es auch beim Öffnen der Grenzen für den unkontrollierten Zustrom der Migranten und so sollte auch diesmal ihr Sinneswandel von einem „Nein“ zum Einstieg in die Transfer Union zum üppigen „Tischlein Deck Dich“ in Spendierhosen in treuem Gehorsam akzeptiert werden. Was ist eigentlich los in diesem Land, wenn über derartig gravierende Dinge nicht mal diskutiert wird?

Nun gut, die anderen Geber-Länder folgten ihr nicht devot nickend in die große schwarze Schuldenschlucht. Und auch jetzt ist diese Tragikomödie ohne Strategie nicht zu Ende. Schon baut sich im EU-Parlament massiver Widerstand auf. Die Parlamentarier fühlen sich schlicht übergangen und werden sich nicht ohne weitere Korrekturen zur Abnickmaschine degradieren lassen.

Kurzum, vielleicht hätte Angela Merkel, so sehr es ihr widerstreben mag, mal bei Helmut Kohl nachlesen sollen. Einer seiner geflügelten Sätze lautete: „Wenn es um Europäische Fragen geht, musst du am Tisch immer das Gesicht des kleinsten Partners im Auge haben. Niemand darf sich verletzt und gedemütigt fühlen. Dazu gehört auch ein gemeinsamer Spaziergang zu zweit und gerne auch ein Glas Wein.“

Man mag über diese Art eines altväterlichen Mannes heute lächeln, erfolgreich war sie bis zum Schluss.

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