Tichys Einblick
Absturz der Union

Die Merkel-Wähler wandern zu den Grünen

Die Nominierung von Armin Laschet zum Kanzlerkandidaten der Union treibt noch mehr Wähler in die Arme der Grünen und verbessert so deren Chancen, ins Kanzleramt einzuziehen.

IMAGO / Christian Thiel

Die Vorstandsmitglieder der CDU, die geglaubt haben, mit einem Kanzlerkandidaten Laschet ließen sich die der grünen Agenda zuneigenden Merkel-Wähler von einer Abwanderung zu den Grünen abhalten, wurde schon wenige Stunden nach der Nominierung von Laschet eines Besseren belehrt. Laut einer Forsa-Umfrage nach Laschets Nominierung landen die Union mittlerweile bei 21 Prozent und die Grünen bei 28 Prozent. Die Zahlenverhältnisse zwischen CDU/CSU und den Grünen haben sich laut dieser Umfrage umgekehrt, seitdem feststeht, dass ein Kandidat die Union in den Wahlkampf führen wird, der immer wieder betont, dass er Merkels Linie einer „Modernisierung“ durch Anpassung an die grüne Agenda als Kanzler fortsetzen möchte.

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Dies hat nun nach seiner Nominierung der schon länger anhaltenden Abwanderung von Unions-Wählern zu den Grünen einen solchen Schub verpasst, dass sich deren Kandidatin Annalena Baerbock mittlerweile nicht mehr nur Hoffnungen machen kann, Vizekanzlerin, sondern sogar Merkels Nachfolgerin im Kanzleramt zu werden. Gleichzeitig haben sich angesichts der von Forsa ermittelten mageren 13 Prozent für die SPD die Hoffnungen von Olaf Scholz, er könne mit Hilfe von Merkel-Wählern anstelle der Grünen das Kanzleramt erobern, gleichsam in Nichts aufgelöst. Stattdessen verliert auch die SPD weiter Wähler an die Grünen. Ausgefochten und entschieden wird der Kampf ums Kanzleramt daher zwischen der Union und den Grünen, unter Ausschluss der SPD.

Die zunehmende Anpassung an die grüne Agenda führt offenkundig weder bei der SPD noch bei der Union dazu, Wählerschichten an sich zu binden oder für sich zu gewinnen, die in Fragen der Umwelt- und Klimapolitik, der Migrationspolitik, der Familienpolitik und der Europapolitik dem grünen Weltbild folgen. Diese Wählerschichten, die bislang zum Teil auch die Unionsparteien und die SPD gewählt haben, präferieren und wählen mittlerweile offenkundig das Original, nachdem ihnen von Union und SPD über Jahre erklärt worden ist, auch ihre Parteien begrüßten und teilten den grünen Zeitgeist. Nur mit seiner Hilfe seien die Herausforderungen der Globalisierung zu bewältigen und die klimatische Apokalypse noch zu verhindern.

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Dem damit einhergehenden Anhänger- und Wählerschwund korrespondiert die verstärkte Abwanderung all jener Wählerschichten, die damit wenig bis gar nichts anfangen können, zur AfD und zu den Nicht-Wählern. Ihnen wird seitens der SPD wie der Union signalisiert, man halte sie für Feinde der Demokratie, denen man weder eine politische Heimat noch eine Zusammenarbeit anbieten will. Die damit einhergehende Verunglimpfung und Ausgrenzung eines erheblichen Teils der eigenen (Stamm-)Wählerschaft schwächt das eigene Wählerreservoir und engt zudem die eigenen Handlungsoptionen auf eine Koalition mit den Grünen ein, die so vor allem in den alten Bundesländern keinerlei Mitte-Rechts-Alternative mehr zu fürchten haben. In Betracht kommen nur noch diverse Mitte-Links-Bündnisse unter Beteiligung der Grünen, der SPD und der Union, bedarfsweise unter Hinzuziehung der FDP, je nachdem, welche Koalitionsmöglichkeiten sich rechnerisch ergeben. Nicht ausgeschlossen wird von den Grünen zudem eine Koalition mit der SPD und der Linken, sollte eine solche rechnerisch möglich werden und sich die Union und/oder die FDP der grünen Agenda nicht völlig unterordnen wollen.

In den neuen Bundesländern, wo die grünen Wählerschichten (noch) nicht so bedeutsam und einflußreich sind wie in den alten, erstarkt angesichts dieser Entwicklungen im Westen gleichzeitig die AfD, die dort all denjenigen Wählern eine neue politische Heimat anbietet, die die grüne Agenda der etablierten Parteien fürchten und ablehnen. Die SPD hat vor diesem Hintergrund ihren Status als große Volkspartei auf Bundesebene schon eingebüßt, während die beiden Unionsparteien noch hoffen, diesem Schicksal entgehen zu können. Viele ihrer Mitglieder und Funktionäre klammern sich deswegen an die Vorstellung, die um sich greifenden Wählerverluste in verschiedene Richtungen ließen sich stoppen oder gar wieder umkehren, wären Friedrich Merz oder Markus Söder zum Kanzlerkandidaten der Union gekürt worden.

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An der grundlegenden strategischen Ausrichtung der Union nach dem Motto: Erhalt der Merkel-Wähler durch Anpassung an die grüne Agenda unter Inkaufnahme schon erlittener und möglicher weiterer Verluste ehemaliger (Stamm-)Wähler, will erklärtermaßen allenfalls Merz, nicht jedoch Söder etwas ändern. Söder hat seit den Wählerverlusten der CSU in Bayern Merkels Anpassungsstrategie gegenüber den Grünen sogar explizit übernommen und ihre Umfrageerfolge so mitbefördert. Deswegen ging es in seinem Streit um die Kanzlerkandidatur mit Laschet auch nicht um unterschiedliche politische Kurse der Union, sondern um das persönliche Abschneiden der beiden Kandidaten in Umfragen. Hier liegt Söder nicht zuletzt dank seiner regelmäßigen öffentlichen Auftritte mit der Kanzlerin zur Corona-Politik weit vor Laschet und Baerbock. Die meisten Wähler trauen seit der Corona-Krise vor allem Söder eine erfolgreiche Kanzlerschaft zu.

Ein Pfund, das den Wahlkampf der Union gewiss hätte beflügeln können, die Führung der CDU aber nicht nutzen wollte, um ihren Rückhalt bei den Wählern wenigstens kurzfristig wieder zu verbessern. Dieser hängt mittel- und langfristig freilich nur zum Teil von der Frage ab, wer eine Partei in den Wahlkampf führt. Nicht minder wichtig ist ihre programmatische Ausrichtung, von der man im Falle der Union bislang nur weiß, dass Laschet wie Söder den unter Merkel eingeschlagenen Weg einer Anpassung an die grüne Agenda in der zusehends vergeblicher werdenden Hoffnung weitergehen wollen, die weitere Abwanderung von Unionswählern zu den Grünen ließe sich damit stoppen. Sollte es dabei bleiben, wird die Führung der Union sich schon jetzt mit der Frage befassen müssen, ob sie es nach der Wahl im September vorzieht, Oppositionsführerin im Bundestag zu werden oder als Juniorpartner einer Kanzlerin Baerbock zu dienen.

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