Tichys Einblick
Robert Habeck und Franziska Brantner

Die Grünen und die EU: Naiver Idealismus oder deutsche Selbstvergessenheit?

Die Grünen fordern mehr (deutsches) Geld für Brüssel. Klar, dort lassen sich Weltrettungspläne besser installieren und abgewählt werden kann eigentlich auch niemand. Genauer nachrechnen? Das ist doch rechts.

imago images / nordpool

Vor kurzem erschien in der FAZ an prominenter Stelle ein Beitrag von Franziska Brantner MdB und Robert Habeck, in der die beiden grünen Politiker – oder: Politiker*innen, wie sie sich wohl selbst bezeichnen würden – die Bundesregierung auffordern, sehr viel mehr Geld zum gemeinsamen Budget der EU beizusteuern, statt hier, wie es zur Zeit dann doch geschieht, auf die Bremse zu treten, und zugleich auf nationaler Ebene die Ausgaben für Investitionen zu erhöhen.

Wie begründen Habeck und Brantner ihre Forderung? Zum einen argumentieren sie, dass die Politik der Schwarzen Null in Deutschland wichtige Investitionen in die Infrastruktur auch im Sinne einer besseren Umweltpolitik unmöglich mache. Hier ist ihnen sogar grosso modo zuzustimmen Wie schon mehrmals betont: Eine Schuldenbremse in Deutschland wäre nur dann sinnvoll, wenn es gelänge, die Schulden in der Eurozone insgesamt mittelfristig abzubauen. Das aber widerspricht der Politik der EZB und unserer Nachbarländer im Süden und Westen diametral, und da Deutschland für die Schulden der anderen Länder und sei es auf dem Umweg über die EZB und ihre Anleihenkäufe ohnehin mithaftet, lohnt es sich nicht, bei uns eine strikte Sparpolitik zu verfolgen. Das ist einfach eine Tatsache.

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Aber Habeck und seine Mistreiterin machen der Regierung Merkel zum anderen auch den Vorwurf, sich auf die Vorschläge aus Paris und Rom zur Umgestaltung der Eurozone zu einer möglichst umfassenden Transfergemeinschaft nicht einzulassen. Angeblich habe es in den letzten Jahren viel zu wenig deutsche Solidarität gegeben. Oder wie die Autoren schreiben: „Die deutschen Grünen werden sich daran gewöhnen müssen, dass wo immer wir Deutschen es in den letzten Jahren und Jahrzehnten an europäischer Solidarität fehlen ließen, die Erwartungen an uns heute umso größer sind, für diese Fehlleistungen aufzukommen.“

Diesen Satz muss man sich in der Tat auf der Zunge zergehen lassen. Dabei wird dem Leser natürlich verschwiegen, dass der französische Sozialstaat immer noch deutlich großzügiger ist als der deutsche, nicht zuletzt mit Blick auf das Rentensystem und dass dies eben auch ein wesentlicher Grund für die hohe Verschuldung Frankreichs ist. Dazu kommt ein aufgeblähter und hoch privilegierter öffentlicher Dienst, den Präsident Macron sicherlich gerne reformieren würde, der sich aber bislang fast immer als reformresistent erwiesen hat.

Der italienische Fall mag komplizierter sein, weil es hier tatsächlich seit 20 Jahren per saldo kein Wirtschaftswachstum mehr gegeben hat, was zumindest zum Teil auf die für Italien ungünstige Mitgliedschaft in der Eurozone zurückzuführen ist. Auch hier ist das Rentensystem aber einstweilen recht großzügig, großzügiger als das deutsche, wie die Zahlen der OECD belegen. Nun gut, als Kämpfer für das Gute ignoriert man solche Zahlen natürlich gerne, weil sie wie andere Fakten per se politisch inkorrekt sind. Die wirtschaftliche Misere Italiens ist im übrigen auch wesentlich dadurch mitbedingt, dass die Justiz ineffizient und das Wirtschaftsleben bürokratisch überreguliert ist. Im internationalen Korruptionsindex rangiert Italien außerdem, wie man wissen sollte, hinter nicht wenigen afrikanischen Staaten auf Platz 57 hinter Ländern wie Botswana und Namibia, Dänemark auf Platz 1 und Deutschland auf Platz 11. Reformen hat es kurzfristig unter dem Ministerpräsidenten Monti (2011-2013) gegeben, als die Zinsen für italienische Anleihen durch die Decke gingen. Dass sich das so bald nicht wiederholen muss, dafür hat mittlerweile Draghi gesorgt, der vielleicht nicht rein zufällig selber Italiener ist.

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Im übrigen verschweigen Habeck und Brantner, dass gerade Italien mit seinen enormen Staatsschulden sehr stark von der Niedrigzinspolitik der EZB profitiert und heute faktisch trotz höherer Schulden in der Summe deutlich weniger Zinsen (S. 50)  für seine Anleihen zahlen muss als vor gut 20 Jahren, als es den Euro noch nicht gab (2016 ca. 4 % des BIP, 1998 hingegen knapp 8 % als Ausgaben des Staates für Zinszahlungen). Das Land wird also schon stark subventioniert, und zwar letzten Endes auf Kosten der Sparer, nicht zuletzt auch in Deutschland. Aber diese Sparer gehören ja oft der unteren Mittelschicht an, und genau das sind die Leute, die die Habecks und Brantners dieser Welt, die klassischen „anywheres“, als Repräsentanten eines wohlsituierten linksliberalen Bürgertums in der Regel wohl ohnehin verachten.
Die Entmachtung der Nationalstaaten als Programm

Freilich haben die Grünen sehr wohl erkannt, dass ihnen eine sehr großzügig – mit einer Billion Euro (!) über den Zeitraum von 10 Jahren, wie es im zitierten Beitrag heißt – finanzierte gemeinsame Umweltpolitik auf EU-Ebene eine enorme Chance bietet. Einmal können die Nationalstaaten mit dem kategorischen Imperativ der Rettung vor der Klimakatastrophe final entmachtet werden, weil hier ja in der Tat rein nationales Handeln wenig vielversprechend ist, wie man einräumen  muss. Zum anderen lassen sich unpopuläre und kontroverse ökologische Maßnahmen wie das Verbot des Verbrennungsmotors oder generell fossiler Brennstoffe auf EU-Ebene leichter durchsetzen, weil die Wähler in einem System, in dem es kein Wechselspiel von Regierung und Opposition gibt, und wo die Verantwortung für konkrete Entscheidungen leicht hinter der Fassade kollektiver Konsensmechanismen verborgen werden, kaum wirklich gegen eine von oben verordnete Politik protestieren können, indem sie eine entsprechende Regierung abwählen. In Brüssel kann man im Grunde genommen niemanden abwählen, das ist ja das Schöne. Allerdings könnte den Grünen in Brüssel noch manch eine Überraschung bevorstehen, denn ihre Kernkraftwerke werden sich die Franzosen und andere Länder dann eben doch nicht so schnell von Brüssel wegnehmen lassen und von deutschen Grünen erst recht nicht.

Was bringt die Zukunft?

Besorgniserregend an dem Artikel von Brantner und Habeck ist einerseits die offensichtliche Überzeugung der Autoren, dass es legitime deutsche Interesse auf europäischer Ebene grundsätzlich nicht geben kann. Zum anderen fällt auf, wie wenig oder wie oberflächlich man sich mit wirtschaftlichen Zusammenhängen auseinandersetzt. Man kann mit Spannung der Zeit entgegenblicken, wenn Habeck, Brantner und andere grüne Minister und Ministerinnen in rund zwei Jahren gut 40 % der Posten in einem neuen schwarz-grünen Kabinett in Berlin besetzen werden. Das könnte dann theoretisch ein Anlass zur Freude für Rom und Paris sein, wenn es da nicht ein kleines Problem gäbe.

Die Linke stößt auf einen höchst gefährlichen Gegner: die Realität
In Deutschland deutet sich schon jetzt ein struktureller wirtschaftlicher Niedergang an, da das Land zu sehr von der kriselnden Autoindustrie und verwandten Branchen abhängig ist, von den überhöhten Energiepreisen und anderen oft auch hausgemachten Problemen einmal abgesehen. Unter einer schwarz-grünen Regierung könnte sich dieser Niedergang noch einmal beschleunigen. Unwahrscheinlich wäre das nicht. Ob ein wirtschaftlich geschwächtes Deutschland dann wirklich noch dazu in der Lage wäre, nicht nur, wie Habeck und Brantner es explizit wollen, die Umweltpolitik der südlichen und westlichen Nachbarn, sondern am Ende auch ihren Sozialstaat zu subventionieren, erscheint doch ein wenig zweifelhaft, jedenfalls wenn man ein wenig genauer nachrechnet. Aber das wollen wir ja nicht. Das wäre ja irgendwie „rechts“.

Dennoch sollte man auch bei den Nachbarn Deutschlands, bei denen solche Artikel wie der hier erörterte aus der FAZ natürlich große Hoffnungen auf wahrhaft goldene Zeiten wecken, den Satz von Mrs. Thatcher, der „Iron Lady“, bedenken: „The problem with socialism is that you eventually run out of other peoples‘ money.“ Was auf nationaler Ebene gilt, das gilt leider oft auch für den von Habeck und Brantner befürworteten transnationalen Schuldensozialismus, so traurig das auch sein mag.

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