Tichys Einblick
Das Volk der Ukraine

Das Volk, sein Selbstbestimmungsrecht – und die deutschen Politiker

Warum sprechen Steinmeier und Scholz vom Volk der Ukraine, meiden aber diese Bezeichnung für die Deutschen? Gedanken über einen merkwürdigen Widerspruch.

IMAGO / CHROMORANGE

Wer in diesen Tagen die Statements der führenden Politiker unseres Landes zum Krieg in der Ukraine verfolgt, wird immer wieder auf die Betonung des Selbstbestimmungsrechts oder der von Putins Armee verursachten Leiden des ukrainischen Volkes hingewiesen. Dies irritiert insofern, als man im öffentlichen Sprachgebrauch der Bundesrepublik die Selbstkennzeichnung „Deutsches Volk“ oder „Volk der Deutschen“ möglichst meidet. Bei Großdemonstrationen der linken Szene, kann man des Öfteren den Slogan von der „Einen Welt, in der alle Bewohner gleich sind“ auf den Plakaten und Spruchbändern lesen. Ein Grund dafür mag der gemeinsame Sprachstamm von „Volk“ und „völkisch“ sein. Schließlich war das Völkische der Deutschen als wesentliches und über allen qualitativ und über allen anderen stehendes Merkmal fester Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie, die im Holocaust mit der Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden, seinen grausamsten Ausdruck fand. Nur, kann es wirklich sein, dass ein Volk auf Grund seiner Geschichte jede Art von besonderer Eigenheit verliert? 

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Siehe da, eine Nation!
In keinem anderen Land unseres Planeten wird auf die Nationalität durch Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk verzichtet. Ganz selbstverständlich käme weder ein Franzose oder ein Brite, um nur zwei Beispiele zu nennen, auf die Idee, sich ausschließlich als Weltenburger einer Welt zu bezeichnen und zu fühlen. Ohne jedes Zögern, wird er sich immer mit Stolz als Franzose oder Brite bezeichnen. Ob das gestörte Verhältnis eines Teils der Deutschen zu ihrer Nation nun als positiv und verständlich charakterisiert werden kann, oder als negativ in Folge der selbstgewählten Isolation im Reigen aller anderen Folgen klassifiziert wird, mag jedem selbst überlassen sein. 

Natürlich ist die Unterscheidung der AfD zwischen „Deutschen“ und „Pass-Deutschen“ willkürlich und diskriminierend. Es kann keine zwei Klassen-Zugehörigkeit zu einem Volk geben. Wer den deutschen Pass besitzt, ist Deutscher. Alles andere hätte auf die Dauer auch jeweils unterschiedliche Rechte und Pflichten für die einen und die anderen zur Folge, womit wir unweigerlich das Rad der Geschichte in finstere Zeiten zurückdrehen würden. 

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Nun ist aber nicht zu bestreiten, dass zu uns kommende Menschen anderer Herkunft auch im Falle der verliehenen deutschen Staatsangehörigkeit erstmal dem Wesen nach keine Deutschen sind. Sie unterscheiden sich in der Regel durch Religion, Sozialisierung und kulturbedingte Eigenheiten. Dies kann im Zusammenleben zu Konflikten führen. Umso wichtiger ist es deshalb, dass die Vergabe der deutschen Staatsangehörigkeit an ein klares Bekenntnis zu den Werten unseres Grundgesetzes – insbesondere Artikel 1 bis 20 – gebunden wird. Wer dies verneint, kann schlicht und einfach nicht deutscher Staatsbürger, und damit verbrieftes Teil des deutschen Volkes werden.  

Die massenhafte Begehung von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, so geschehen in der Neujahrsnacht 2016 auf dem Kölner Domplatz, gehört zweifelsfrei nicht zum allgemeinen Verhalten der Deutschen. Immerhin finden aktuell in der Bundesrepublik Woche für Woche jeweils zwei Gruppenvergewaltigungen statt. Die Täter sind ausschließlich Personen mit Migrationshintergrund, wobei nicht fest steht, wer davon lediglich einen Aufenthaltstitel besitzt oder bereits deutscher Staatsangehöriger ist.

Auch die nach wie vor übliche, von den gesetzlichen Normen der Bundesrepublik abweichende Verhaltensweisen, wie die Zwangsverheiratung auch noch minderjähriger Frauen, oder das immer wieder praktizierte Ritual der Blutrache oder des Ehrenmordes müssten eine deutsche Staatsbürgerschaft ausschließen. Hintergrund für all das ist nämlich ein gänzlich anderes Frauenbild, das bis hin zum Züchtigungsrecht des Mannes geht. Eine ähnliche von deutschen allgemeinen Regeln abweichende Praxis ist das Verweigern des Schulbesuches der eigenen Kinder, die stattdessen in Koranschulen unterrichtet werden. Ganz zu schweigen von einer eigenen Gerichtsbarkeit, die durch Imane nach den Regeln der Scharia und fernab der deutschen Rechtspflege in den bereits bestehenden Parallelgesellschaften in Großstädten praktiziert wird. All dies ist den Behörden seit langem bekannt. Doch scheint man längst resigniert zu haben und lässt die Dinge einfach laufen. 

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Kein Wunder, dass dort mittlerweile sogenannte „No-Go Areas“ entstanden sind, in denen die Regeln der jeweiligen Clans gelten – aber nicht das bürgerliche Gesetzbuch. Während auf vielen Straßen und dem öffentlichen Nahverkehr beispielsweise in den vergangenen zwei Jahren streng auf das Tragen von Corona-Masken geachtet wird, gibt es in Berlin ganze Stadtbezirke, wie Neukölln, in denen niemand eine Maske trägt, aber auch niemals die Polizei zu sehen ist. Das Entstehen von sogenannter „Ausländerfeindlichkeit“ ist da nur eine Frage der Zeit. Genauso wenig muss jemand überzeugter Nazi sein, um diese Zustände nicht normal zu finden.

Wenn Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist, und daran kann es keinen Zweifel geben, muss sowohl das Aufenthaltsrecht und schon gar die Staatsbürgerschaft an die Akzeptanz gewisser Grundregeln des Zusammenlebens, die in der Entwicklung von der Antike über die christliche Religion bis hin zur Aufklärung gewachsen sind, gebunden sein. Wer diese nicht akzeptieren kann oder will, muss sanktioniert werden oder im Zweifel Deutschland verlassen. Dies hat weder etwas mit Ausländerfeindlichkeit oder Rassismus zu tun, sondern mit der Bewahrung des Rechtsfriedens einer Gesellschaft. 

All dies allerdings darf einer geregelten Zuwanderung nicht im Wege stehen. Jeder, der diese kritisiert, muss sich heute beispielsweise die Frage stellen, wer ihm im Alter bei Pflegebedürftigkeit das Kopfkissen aufschüttelt und eine Tasse Tee bringt. Seit 1971 ist in der Bundesrepublik die Geburtenrate unter die zur Erhaltung der Bevölkerungsgröße notwendige Rate gesunken. Ein gravierender Fachkräftemangel bei gleichzeitiger sprunghaften Überalterung der Gesellschaft ist die Folge. Wer den Hedonismus und die sogenannte Selbstverwirklichung, bei gleichzeitiger Ablehnung von Verantwortung für Kinder, zum Lebensinhalt erklärt, muss dann auch die Konsequenzen tragen. Im Klartext: Ohne Zuwanderung ist weder das soziale Netz dieses Landes, noch sein Wohlstand zu halten. Auch die volle Ausschöpfung des weiblichen Teiles der Bevölkerung für den Arbeitsprozess, verbunden mit einer permanenten Diffamierung der „nur“ Mutter- und Hausfrauentätigkeit – Stichwort „Herdprämie“ – setzt die seit mittlerweile ein halbes Jahrhundert andauernde Veränderung der demographischen Fakten fort. Da das so gewollt ist, und die gesellschaftlichen Leitbilder darauf ausgerichtet sind, sind auch die Folgen zu akzeptieren.

Ganz davon abgesehen entspricht Zuwanderung auch den Gegebenheiten unserer heutigen globalen Arbeitswelt. Dies trägt löblicherweise zu mehr Toleranz und Verständnis auf unserem Planeten bei. Besonders die neuen Bundesländer haben sich über Jahrzehnte der SED-Diktatur der Öffnung nach außen verschlossen. Die Enge der Kleinstädte und des spießbürgerlichen Wohnzimmer-Milieus im SED-Staat ließen eine mentale Trägheit und eine Ablehnung jeder Veränderung, zu der auch Toleranz gehört, zum Teil der eigenen Wohnzimmer-Identität werden. Dies gilt natürlich auch für gewisse Bereiche der alt-bundesdeutschen Gesellschaft. Nur in der DDR war dies eben viel manifester.

Die aus gutem Grunde gewachsenen und auch erkämpften Standards der aufgeklärten Welt des Westens müssen im Kern der Maßstab sein. Dies hat nichts mit Arroganz oder gar „neu-kolonialer Überheblichkeit“ zu tun, sondern mit der erwiesenen Funktionalität und Liberalität unserer Gesellschaften. 

Ein Beispiel für die Durchsetzung gewisser Regeln der gegenseitigen Achtung lieferte vor einigen Jahren die damalige Bezirksbürgermeisterin des Problembezirks Berlin-Neukölln, Franziska Giffey, – heute bekleidet die SPD-Politikerin das Amt der Regierenden Bürgermeisterin Berlins. Als sie erfuhr, dass bei einer feierlichen Veranstaltung zur Übergabe der deutschen Pässe an Personen mit Migrationshintergrund, die Männer sich weigern würden, ihr als Frau die Hand zu geben, sagte sie die Veranstaltung ab. Vor die Alternative gestellt, auf die vielen Rechte und Privilegien, die mit dem deutschen Pass verbunden sind, zu verzichten, oder es „einmal im Leben“ übers Herz zu bringen, einer Frau die Hand zu geben, entschlossen sich die meisten, die in unseren Breitengraden übliche Form der Begrüßung zwischen Mann und Frau mitzuvollziehen.

Ein konsequentes und couragiertes Verhalten dieser Politikerin, das man sich öfter wünschen würde. Ein häufig gehörtes Argument gegen diese Forderung ist der Verweis auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Dort lebten ja auch die unterschiedlichsten Ethnien zusammen oder sogar nebeneinander und dabei vielfach auch noch nach eigenen kulturellen Regeln. Was dabei oft übersehen wird, ist das allen gemeinsame Bekenntnis dazu, Amerikaner zu sein. Die amerikanische Fahne weht heute in den gesamten USA an nahezu jedem Haus, völlig unabhängig, ob es sich um eine weiße, schwarze, latino oder asiatische Neighborhood handelt. Damit verbunden ist auch das Bekenntnis zu den sogenannten amerikanischen Werten. An erster Stelle ist hier die Wertschätzung der Rechte jedes einzelnen Individuums gegenüber jeder Form des Kollektivismus, sowie der Stolz auf die Amerikanische Revolution des 18. Jahrhunderts zu nennen. Dies gilt für die Anhänger aller politischen Überzeugungen und Parteien. Ein Umstand, der die europäische Linke bei ersten Besuchen jenseits des Atlantiks jedes Mal einem Schock-Erlebnis aussetzt. Die Voraussetzung für ein solches Selbstverständnis ist allerdings das Wissen über die eigenen ideellen Grundlagen und die Bereitschaft zur Verteidigung derselben. 

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an einen Disput mit einem ranghohen saudi-arabischen Diplomaten. Ich kritisierte die Einreiseverweigerung von, falls bekannt, homosexuellen Personen in das Königreich. Dabei verwies ich auf die regelmäßig zu beobachtende ungehinderte Einreise männlicher saudischer Staatsbürger mit ihren jeweils bis zu 4 Frauen. Immerhin ist die Viel-Ehe in Deutschland untersagt und kann nicht praktiziert werden. Ich wollte wissen, ob nicht unser Verhalten viel toleranter sei. Der Mann lächelte mich verständnislos an und sagte: „Das Verhalten Ihres Landes ist Zeichen einer erbärmlichen Schwäche. So wie wir Homosexualität, welche bei uns als schwere Krankheit gilt, verdammen, sollten Sie auch konsequent an Ihren Grenzen gegen die Einreise von mehr als einer Ehefrau vorgehen. Eine Gesellschaft, die nicht konsequent für ihre Überzeugungen eintritt, wird auf Dauer nicht überleben, sondern von einer stärkeren übernommen.“ Ein erklärter Missionsdrang, der uns nachdenklich stimmen sollte. 

Offensichtlich ist selbst dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler bewusst, dass die Vorstellung vom Weltbürger mit gleicher Identität nicht mit der Realität auf unserer Erde übereinstimmt. Warum sonst würden sie so selbstverständlich vom ukrainischen Volk und seinen Rechten sprechen?

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