Tichys Einblick
McCarthy

Der SPIEGEL bläst zur Hexenjagd

Das Verstörende an dem SPIEGEL-Artikel ist die perfide Strategie, die er in der Tiefe verfolgt. Es geht ihm vor allem darum, ein Klima der Einschüchterung, des Misstrauens, des allgegenwärtigen Verdachts und der Denunziation zu erzeugen, ein Klima der Hexenjagd.

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Die vom SPIEGEL sehen nicht nur Hexen, sie gehen nun auch zur Hexenjagd über. Festzulegen, wer zu den neuen Hexen, zu den „Reaktionären“, zu den Sympathisanten und Helfern von „AfD und Konsorten“ gehört, obliegt selbstverständlich der SPIEGEL-Redaktion. Das Hamburger Kampagneblättchen entdeckt als neue Hexen oder als ihre Unterstützer alle Beamten und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings und alle „Provinzfürsten“, von Winfried Kretschmann über Markus Söder, Volker Bouffet, Stephan Weil bis Daniel Günther. Denn gerade „den Provinzfürsten in der Landesverwaltung ist die Berliner Republik mit ihrem Hang zu Liberalismus, Multikulti und eben Zentralismus ein Dorn im Auge“.

Wer sich allerdings vor der Wirklichkeit fürchtet wie der SPIEGEL, sucht Zuflucht in Verschwörungen, denn die Realität kann nicht so sein, wie sie ist, sondern sie muss, insofern sie der eigenen Ideologie widerspricht, Werk finsterer Verschwörer sein.

Totschweigen und Skandalisieren
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Beschützt fühlen sich SPIEGEL-Autoren inzwischen nur noch innerhalb des „Berliner S-Bahn-Ringes“ von einer rot-rot-grünen Regierung, der bisher einzig die Verwahrlosung des öffentlichen Raums gelingt. Sicher fühlen sie sich also nur noch auf Unisex-Toiletten und zwischen Schulen, die zerfallen, für die sich keine Direktoren mehr finden, die für die Schüler am ersten Schultag wegen baulicher oder hygienischer Mängel nicht geöffnet werden können und Schulklassen deshalb statt im Klassenraum in Berliner Parks unterrichtet werden. Sicher fühlen sie sich nur dort, wo deutsche Schüler gemobbt werden und jüdische Kinder bedroht. Darin scheint die soziale Utopie des SPIEGELS zu bestehen. Da Bildungszerfall den SPIEGEL noch vor dem Absatzfiasko bewahrt, dürfte diese Entwicklung dem SPIEGEL-Autor nur recht sein, der bleichen Gesichtes außerhalb des Berliner S-Bahn-Ringes nur AfD-Sympathisanten und Reaktionäre in einer „verkalkten“ Nation wahrnimmt.

Außerhalb des Berliner S-Bahn-Ringes arbeitet in den öffentlichen Institutionen aus Sicht des SPIEGELS nur „Matsch“, überall nur auf „Lebenszeit alimentierte Sachbearbeiter“, die „ohne einen Hauch von Effizienz alles doppelt und dreifach“ abstempeln. In dieser Welt des Matsches, die der Autor in allen öffentlichen Institutionen Deutschlands außerhalb des Berliner-S-Bahn-Ringes am Werke sieht, gedeiht alles Finstere, denn die öffentlichen Institutionen stellen ein „natürliches Biotop und eine Brutstätte für alles Reaktionäre“ dar. Mehr noch: die öffentliche Verwaltung, die Polizei, die Armee – zumindest, was davon noch übrig ist – und die Schulen, Hochschulen und Universitäten ziehen das „Reaktionäre“ nicht nur an, sondern sie bringen es „sogar noch hervor“.

Ist das für den SPIEGEL nicht alles schon schlimm genug, so wird die Berliner Republik innerhalb des S-Bahn-Ringes auch noch vom deutschen Föderalismus bedroht, von Deutschlands Provinzfürsten, denen „die Berliner Republik mit ihrem Hang zum Liberalismus, Multikulti und eben Zentralismus ein Dorn im Auge“ ist.

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Man könnte den Zorn verstehen, wenn Großberlin ein Vorbild an Verwaltung, Bürgernähe und Wirtschaftlichkeit wäre und alle anderen deutschen Bundesländer alimentieren würde, doch ist es ausgerechnet Berlin, das über seine Verhältnisse leben kann, weil andere Bundesländer zahlen. Neben maroden Schulen und einer zerfallenden Infrastruktur, einer überforderten Verwaltung brilliert die Berliner Politik gerade in der Fertigstellung des BER. Zumindest zur Globalisierung, die der SPIEGEL-Autor gläubig anbetet, zur Globalisierung des Humors hat die Berliner Regierung Entscheidendes beigetragen, denn über Berlin lacht die ganze Welt. Aber die ist natürlich auch reaktionär. Insofern erinnert das Hamburger Kampagneblättchen an den Autofahrer, der im Verkehrsfunk hört: „Vorsicht auf der A 24 ist ein Geisterfahrer unterwegs“ und mit Schweiß auf der Stirn ausruft: „Einer? Das sind ja viele.“

Übrigens nach gründlichen und flächendeckenden Recherchen, wie man von einem Journalisten erwarten darf, hat der SPIEGEL-Autor herausgefunden, dass außer in Müllers Paradies innerhalb des S-Bahn-Rings in den Klassenzimmern und Hörsälen die Sympathisanten einen „reaktionären Einfluss auf Lehre und Forschung“ nehmen – und dass die reaktionären Verschwörer auch noch mit Steuergeldern finanziert werden. Dafür ist innerhalb des „S-Bahn-Ringes“ eine harte Quotierung möglich, wenn das Studentenparlament der Humboldt Universität beschließt: „„Eine sich weiblich identifizierende Person“ soll auf der Rednerliste vor die erste „sich männlich identifizierende Person“ gezogen werden, sofern davor nicht bereits eine „sich weiblich identifizierende Person“ steht. Stehen nur noch drei „sich männlich identifizierende Personen“ auf der Redeliste, wird die Debatte beendet.“ (Quelle: hier) In vulgo: Wenn keine Frau, oder sich weiblich identifizierende Person mehr diskutieren möchte, haben auch die Männer den Mund zu halten. Das Geschlecht ist das Maß.

Vertrauen verspielt
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Der SPIEGEL-Autor klagt den Versuch an, „Prozesse auf inkompetente Weise zu rationalisieren“. Es fragt sich nur, in welchem Land, auf welchem Kontinent, auf welchem Planeten der SPIEGEL diesen Rationalisierungsversuch entdeckt haben will, denn in Deutschland ist im Gegenteil, ein steuerfinanzierter Anstieg der Klagen gegen die Ablehnung des Asylantrages zu beobachten und die damit verbundene Möglichkeit, ein Aufenthaltsrecht de facto über die Fristen der Widerspruchsverfahren über die Instanzen hinweg zu ersitzen.

Fasst man die Forderungen des SPIEGELs zusammen, so ergibt sich folgender Schluss. Der Föderalismus ist, durch einen Berliner Zentralismus zu ersetzen, der möglicherweise die Vorstufe für einen Brüsseler Zentralismus bildet. In diesem Zentralismus wird dann der Bürger zum Rädchen und Schräubchen einer Maschine, die Zentralstaat heißt. All das soll im Namen des Fortschritts und der Zukunft geschehen. Die Errungenschaften des Fortschritts und der Zukunft zeigten sich schon einmal in Workuta, im Archipel Gulag, in Hohenschönhausen. Der Linksliberalismus scheint, wie ich es letztens bei Robert Harbeck gezeigt habe, in den Neostalinismus zu kippen. Aus einer föderalen Republik würde schließlich eine Kafkaeske Strafkolonie.

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Der öffentliche Dienst, der samt und sonders und zur Gänze ein „reaktionäres Paralleluniversum“ darstellt, in dem „auf Lebenszeit alimentierte Sachbearbeiter ohne einen Hauch von Effizienz“ arbeiten, die „viel zu viel Zeit“ besitzen und der ein „natürliches Biotop und eine Bruststätte für alles Reaktionäre bildet“, soll anscheinend gesäubert werden. Stalin nannte diese Säuberung Schistka – ihr fielen 20 Millionen Menschen zum Opfer, die von Heute auf Morgen ohne Grund, zwar nicht zu „Matsch“, aber zu Volksfeinden erklärt wurden.

Wer Menschen, weil sie einer bestimmten Tätigkeit nachgehen, zu „Matsch“ erklärt, wer Institutionen des Staates zu „Brutstätten für alles Reaktionäre“ deklariert, wer in der Lehrer- und Professorenschaft nur Sympathisanten der AfD erblickt, die „nicht eben im Verborgenen, sondern in Klassenzimmern und Hörsälen durch reaktionären Einfluss Lehre und Forschung“ behindern und dabei „mit Steuergeldern finanziert“ werden, der ruft zu einer Gleichschaltung des öffentlichen Dienst auf. Was dem SPIEGEL offensichtlich vorschwebt, ist eine Hetzjagd im öffentlichen Dienst zu eröffnen und die verbindliche Gesinnungsprüfung einzuführen. Das wäre grob grundgesetzwidrig.

Papier ade´
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Man schaue sich die Konsequenz der hassgetriebenen Pauschalisierung des SPIEGELs an. Der SPIEGEL behauptet allen Ernstes, dass der öffentliche Dienst – auch in Lehre und Forschung – mit den Rechten verflochten ist. Sieht er tatsächlich in Naika Fourutan, in Herfried Münkler, in Andreas Wirsching, in Anatol Stefanowitsch, in Gesine Schwan, in den vielen Inhabern von Lehrstühlen für Gender Studies – und die Liste ließe sich eine ganze Druckausgabe von TE lang fortsetzen – tatsächlich „Sympathisanten der Rechten“?

Rhetorisch liegt der Artikel in seiner Mischung aus Pauschalisierungen, Unterstellungen, Herabsetzungen, Verdrehungen und der Aufforderung zur Jagd auf Andersdenkende in der Tradition von Saint Just, in der von Josef Stalin und von Mao, dessen Herrschaft konservativ geschätzt mindestens 80 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Vielleicht träumt der SPIEGEL auch davon, dass Berliner Zentralisten endlich eine „Außerordentliche Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage“, eine neue Tscheka, aus der der KGB hervorging, eine neue Stasi ins Leben rufen. Und damit das ganze auch menschlich aussieht, wird natürlich niemand mehr in ein Lager, in den Gulag geschickt, sondern die regierungsamtlichen Säuberungsbrigaden zerstören nur die Existenzgrundlage des Bauamtsdezernenten, des Polizisten, des Lehrers, des Professors, der nicht auf rot-grüner Linie ist und nicht als Zentralorgan den SPIEGEL abonniert hat.

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 Das Verstörende an dem Artikel ist die perfide Strategie, die er in der Tiefe verfolgt. Es geht ihm vor allem darum, ein Klima der Einschüchterung, des Misstrauens, des allgegenwärtigen Verdachts und der Denunziation zu erzeugen, ein Klima der Hexenjagd. Aus der Geschichte ist das alles nur allzu gut bekannt, auch diejenigen, die es betrieben haben. Reaktionär ist vor allem der SPIEGEL selbst.

Aber vielleicht irre ich mich auch und habe die Ironie des Beitrages nicht verstanden – und der SPIEGEL ist dazu übergegangen, Wahlkampfhilfe für die AfD zu leisten, bei den vielen Sympathisanten, die er für die AfD ausmacht?

Sicher ist indes nur eins, das einstige Nachrichtenmagazin ist auf dem Wege zum (un-) geistigen Vademecum, zur Postille des homo prenzlauerberginensis zu werden und wird wohl bald nur noch innerhalb des Berliner-S-Bahn-Ringes gekauft und gelesen.