Tichys Einblick
Stuttgart 2020 - Deutschland 2020

Der kurze Weg vom Biedermann zum Brandstifter

Die Ereignisse von Stuttgart und die Äußerungen der politischen und medialen Klasse zuvor lassen an den Dramatiker Max Frisch und sein Stück "Biedermann und die Brandstifter" denken.

Im Jahr 1958 schrieb Max Frisch (1911 – 1991) den Einakter „Biedermann und die Brandstifter“. Weil sich die politische und die mediale Klasse in Deutschland mittlerweile nicht nur wie Jakob Biedermann, sondern auch wie seine im Dachboden eingenisteten zwei Untermieter verhalten, hier ein kurzer literarischer Einstieg.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Der Haarwasserfabrikant Biedermann hat zwei zwielichtige Gestalten zu sich in Untermiete genommen. Es sind dies Josef Schmitz (ein Ringer) und Eisenring (ein Kellner). Naiv vertraut ihnen der Hausherr. Die Gefahr der drohenden Brandstiftung will er selbst dann noch nicht wahrhaben, als Schmitz und Eisenring Benzinfässer und Zündschnüre in den Speicher schleppen und bereits Nachbarhäuser brennen. Biedermann bietet sogar Streichhölzer an. Er will die Realität nicht wahrhaben: „Blinder als blind ist der Ängstliche, / Zitternd vor Hoffnung, es sei nicht das Böse, / Freundlich empfängt er`s, / Wehrlos, ach, müde der Angst, / Hoffend das Beste . . . / Bis es zu spät ist.“
Biedermänner als Orwell’sche „Verifikatoren“

Was hat das mit „Stuttgart“ zu tun? Sehr viel, deshalb hier in aller Kürze ein paar Fakten: In der Nacht von Samstag, 20. Juni, auf Sonntag, 21. Juni, haben Hunderte an Schlägern die Stuttgarter Innenstadt verwüstet, 40 Geschäfte schwer beschädigt oder ausgeplündert, 12 Polizeifahrzeuge demoliert und Polizisten zum Teil schwer verletzt. Unter anderem verwendeten sie Pflastersteine als Wurfgeschosse und haben den Tod von Polizisten zumindest in Kauf genommen. Von Millionenschäden berichten die ohnehin durch Corona schwer geprüften Geschäftsleute.

5 vor 12
Die "Partyszene" von Stuttgart
Die lange einstudierten Phrasenreflexe der „hohen“ Politik von wegen „Fassungslosigkeit“ und „Empörung“ ob der Gewalt „junger Männer“ können nicht über das bürgerkriegsähnliche Ausmaß hinwegtäuschen. Ebenso wenig die Genesungswünsche an die verletzten Polizeibeamten. Denn schon kommen die „Verifikatoren“ (wörtlich: Wahrheitsmacher) ins Spiel. Verifikatoren sind in George Orwells Dystopie „1984“ Mitarbeiter des MiniWahr (des Ministeriums für Wahrheit).

Für den Stuttgarter Polizeipräsidenten Frantz Lutz spielten bei den 500 Randalierern politische Hintergründe keine Rolle: „Wir können aus der momentanen Sicht der Dinge eine linkspolitische oder überhaupt eine politische Motivation für diese Gewalttaten ausschließen.“ Verantwortlich sei eine „Party- und Eventszene“. Sein Vize Thomas Berger ergänzt etwas weniger politisch korrekt: »Von 24 Festgenommenen seien 12 Deutsche, drei mit Migrationshintergrund. Die andere Hälfte stammte u. a. aus Bosnien, Portugal, Iran, Irak, Afghanistan. Sie seien aus der „Partyszene.“ Die Polizei legt Wert auf die Feststellung, dass von den 24 Festgenommen genau die Hälfte „Deutsche“ seien. (16 davon sind mittlerweile übrigens wieder auf freiem Fuß!) Gleichwohl: Alles halb sei schlimm, vernehmen wir aus der Mainstreampresse. „Kleingruppen“ und ein „bunter Mix rund um den Globus“ seien es gewesen sowie „Partygänger“, die sich spontan zusammengerottet hätten. Und dass „Allahu Akbar“ sowie „All Cops are Bastards“ (ACAB) gerufen worden sei, wie BILD berichtet, könnte laut STERN nichts anderes als ein technisch manipulierter Fake sein.

Es ist nicht, was ist, sondern wie es heißt
Newspeak nach Stuttgarter Krawallen
In einer innerhalb von 24 Stunden 30.000mal aufgerufenen Audiobotschaft eines beteiligten Polizisten schildert er, was dort passiert ist. Unter anderem sagt er: „Hier in Stuttgart ist Krieg, wenn Du eine Uniform trägst, dann bist Du nur Opfer, ein Wunder, dass keiner erschossen worden ist. Da kommt noch was auf uns zu!“

Andere Verifikatoren geben sich als Alles-Versteher und Alles-Erklärer. Sie biegen die Stuttgarter Auswüchse so hin, dass sie schier entschuldbar sind. Christian Pfeifer, „Kriminologe“ und vormaliger niedersächsischer SPD-Justizminister, ist ein solcher. Er sieht ebenfalls keine politischen Motive, sondern als Hauptursache für die Randale den Corona-Lockdown: „Da ist viel aufgestauter Ärger vorhanden … Menschen, die eingesperrt waren, sind aggressiver … Wir haben viele Verlierer durch Corona.“ Nun, Pfeiffer ist ja bekannt dafür, dass er für jede Form von Gewalt Erklärungen hat, die nie etwas mit Eigenverantwortung der Täter zu tun haben. Er ist auch bekannt dafür, dass er jede Kriminalstatistik, die er sich nicht selbst zusammengereimt hat, für übertrieben falsch hält.

Da ist sie also wieder: die Ideologie vom traumatisierten „Schutzsuchenden“ und die Ideologie von (500!) Einzelfällen. Aber eine „kultursensible“ Betrachtung hat hier keinen Platz. Es spielen hier natürlich kulturelle Prägungen eine Rolle. Immerhin deutet das auch der grüne (aber in seiner Partei schlecht gelittene) Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer an, wenn er von „südländischen“ und „dunkelhäutigen“ Tätern spricht. Klartext spricht der aus einer arabisch-israelischen Familie stammende Ahmad Mansour, mutiger Psychologe und Islamkritiker; er hat sich seinen klaren Blick bewahrt: Bei den Gewalttätern gehe es nicht um Corona, sondern um Ideologie und um pure Lust an Gewalt.

Brandstifter und Brandbeschleuniger

Den biederen Verifikatoren gingen die Brandstifter und Brandbeschleuniger voraus: die Tageszeitung (Taz) nicht zuletzt mit einer „Satire“  – geschrieben am 15. Juni von der „Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik“ namens Hengameh Yaghoobifarah. Der Artikel ist überschrieben mit „All cops are berufsunfähig“ – eine Anspielung auf den Schlachtruf „All Cops are Bastards“ (ACAB). Die „Autorin“, Tochter iranischer Eltern, die sich sexuell als „nichtbinär“ outet, war schon 2017 aufgefallen, als sie die deutsche Kultur als „Dreckskultur“ bezeichnet hatte, rief nun zu einer Entsorgung der Polizisten auf der Müllkippe auf. Ob Bundesinnenminister Seehofer nun tatsächlich gegen die Taz eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung loslässt oder ob er sich hier von Merkel hat zurückpfeifen lassen, sei dahingestellt. Gut beraten war er mit dieser Androhung nicht. Nicht weil er damit einen Angriff auf die Pressefreiheit gestartet hätte, sondern weil diese Klage wohl keinen Erfolg gehabt hätte in einem Land, in dem man seit 1995 – hochrichterlich abgesegnet – Soldaten als „Mörder“ bezeichnen darf, solange man nicht namentlich bestimmte Soldaten meint.

Mob ist Mob
Stuttgart ist ein Ergebnis der grünen Politik
Die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken ist aus ähnlichem ideologischem Holz geschnitzt. Am 7. Juni 2020 diagnostizierte sie bei deutschen Sicherheitskräften einen latenten Rassismus. Der Tod von George Floyd in den USA sei kein Einzelfall, meinte sie. Sie eiferte damit ihrer SPD-Genossin Eva Högl nach, die – kaum im Amt als neue Wehrbeauftragte – bei der Bundeswehr und speziell beim Kommando Spezialkräfte (KSK) einen strukturellen Rassismus meinte entdeckt zu haben.

„Kein Öl ins Feuer gießen!“ – Das ist eine der Lieblingsfloskeln der Biedermänner und „Verifikatoren“. Öl ins Feuer gießen – Genau das tun sie aber selbst. Sie legitimieren die Gewalttaten des Mobs von der Straße, indem sie sie psychologisieren. Und sie motivieren sie geradezu, ebenso weiterzumachen, bis der Rechtsstaat samt Gewaltmonopol am Rande seiner Insolvenz steht. Und der sogenannten Zivilgesellschaft sei noch einmal Max Frisch ins Stammbuch geschrieben: „Blinder als blind ist der Ängstliche, / Zitternd vor Hoffnung, es sei nicht das Böse, / Freundlich empfängt er`s, / Wehrlos, ach, müde der Angst, / Hoffend das Beste . . . / Bis es zu spät ist.“

Anzeige