Tichys Einblick
Noch schlechter geht immer

Der Kongress der Weißwäscher

Die Verteidiger des Framing-Manuals erweisen der ARD einen Bärendienst obendrauf.

Im Jahr 1954 schrieb Bertolt Brecht mal wieder ein Agitprop Stück, diesmal unter dem Titel „Turandot oder Der Kongress der Weißwäscher“, in dem der Kaiser in Bedrängnis gerät, weil die Tuis (die Hofmeinungsmacher) den Baumwollmangel bei aller Manipulationskunst nicht mehr bemänteln können. Der Kaiser ist empört: „Ich muss mir anhören, dass der Staat durch Misswirtschaft und Korruption zugrunder gerichtet wird, schön. Aber mir deshalb meine zweite Frühstückspfeife streichen! Das ist zuviel?“

Die Tuis veranstalten daraufhin einen Kongress der Weißwäscher, um eine neues Framing zu finden. Es geht ihnen nicht darum, die Missstände abzustellen, sondern sie zu einem Erfolg zu verklären.

Relotius bei der ARD
ARD: Rundfunk-Sozialismus
Der Umgang mit dem Framing-Skandal der ARD erinnert an die Brechtsche Parabel. Das Thema des Kongresses der Weißwäscher gab die ARD selbst vor: Rainald Becker kann „keinen Skandal entdecken, wie einige das getan haben. Wir haben niemanden unter Mindestlohn bezahlt …“ Stimmt, angesichts der eingestandenen 120.000 Euro, die an Elisabeth Wehling geflossen sind, kann man wahrlich nicht von „Mindestlohn“ sprechen. Diesen Vorwurf hat übrigens auch niemand gegen die ARD erhoben. Er ist perfektes Framing von Rainald Becker nach der Devise: ich setze mich nur mit Vorwürfen auseinander, die ich selbst konstruiert habe, um nicht zur Sache reden zu müssen.

Die Sache ist beispielsweise, dass die ARD eine Kommunikationsstrategie in Auftrag gibt und ihre Mitarbeiter darin schult, in der es heißt: „Kontrollierte Demokratie statt jeder wie er will.“ Wer soll kontrollieren? Die ARD? Brechts Tuis? Ein Wahrheitsministerium? Gehört es nicht zum Wesen der Demokratie, dass sie erstens nicht kontrolliert wird und zweitens eben jeder darf, wie er will, solange er nicht mit den bisher klar formulierten Gesetzen in Konflikt gerät?

Die Framing-Manual-Affäre der ARD
Illusion öffentlich-rechtlicher Rundfunk
Es wundert nicht, dass die Süddeutsche Zeitung, die einen Rechercheverbund mit dem NDR und dem WDR unterhält, der ARD beispringt, erstaunlich ist nur die Plattheit der Argumentation, denn Detlev Esslinger, der laut Wikipedia Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften studiert hat, verblüfft mit der Aussage: „Mehrere Autoren nutzen die Werkzeuge der Linguistik, um eine Linguistin zu diskreditieren, weil sie der ARD empfiehlt, sich mithilfe ihres Fachs gegen die Feinde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu wehren.“ Populismus ist also, wenn Fachleute auf der Grundlage von Fachwissen, ihrer Expertise diskutieren. Von welchen „Werkzeugen der Linguistik“ Esslinger schreibt, erwähnt er nicht. Kennt er sie denn?  Man kann durchaus mit Wehling eine linguistische Debatte darüber führen, inwieweit sie Linguistik betreibt und ob hier nicht die Auseinandersetzung mit der Propaganda der Nationalsozialisten zu einem technischen know how führte, das in einer Demokratie, in der es nicht um Gesinnung, sondern um Argumente geht, als nicht wünschenswert betrachtet werden müsste. Wir könnten auch – beim Thema Linguistik – über das LTI von Victor Klemperer reden, der das „Framing“ präzise analysiert hat. Und Framing in der von Wehling beschriebenen Weise ist das Gegenteil von Aufklärung, von kritischem Rationalismus und vom demokratischen Diskurs, das Gegenteil von Freiheit. Jeder, der sich einigermaßen in der Linguistik auskennt, steht Wehlings Erkenntnisse zumindest mit größerer Reserve gegenüber, bei denen es sich bestenfalls um des Kaisers neue Kleider handelt, um eine Neuetikettierung altbekannten Grundlagenwissens.

Doch eine andere Meinung gilt nicht länger nur als eine andere Meinung und kommt auch nicht von gleichberechtigten Diskursteilnehmern, sondern nach neuester Lehre von „Feinden“.

Der inzwischen inflationäre Gebrauch des Wortes „Feind“ sollte jedem einen kalten Schauer über den Rücken jagen, denn das gab es schon einmal: den Klassenfeind, den Volksfeind. Auch bleibt Esslinger die Erläuterung schuldig, was in diesem Zusammenhang das „Fach“ der ARD sei. Zu Informieren oder zu manipulieren? Der Kritiker ist eben nicht als Feind, sondern als Diskussionspartner zu sehen, nur so würde aus der ARD „unsere ARD“, wie es Elisabeth Wehling vorschlägt. Man kann Akzeptanz nicht herbeiframen, sie muss in der Realität durch Erfahrungen, nicht durch Frames entstehen. Liest man das Framing Manual, wirkt es wie eine Anleitung, den Gebührenzahler hinter die berühmte Fichte zu führen. Verliert die ARD nicht auch deshalb an Akzeptanz, weil man das Framing merkt, oder um es bildlich auszudrücken, weil man die Absicht spürt und deshalb verstimmt ist? Wurde den Medien – auch der ARD – in einem Gutachten nicht beispielsweise bescheinigt, in der Flüchtlingskrise mit den Mitteln medialer Überwältigung gearbeitet zu haben. Schadet am Ende diese Framing-Strategie nicht der ARD? Und dabei hat sie es nicht einmal nötig. Mir würden einige Sendungen einfallen, die akzeptiert werden und mit denen sie ihren Sendeauftrag erfüllt.

Totalitäre Herkunft
Sie werden geframed: von Ihrer ARD
Esslinger fordert am Ende seines Textes: „Wer redliche Debatten fördern will, sollte sich dringend mit den Erkenntnissen und Werkzeugen der Linguistik vertraut machen.“ Nichts hindert Detlev Esslinger daran, damit zu beginnen. Vielleicht bestünde ein Anfang darin, sich grundsätzlich mit Semiotik zu beschäftigen und ein Verständnis von Denotation und Konnotation zu entwickeln. Im Übrigen will derjenige, der eine „redliche Debatte“ fordert, keine Debatte, weil er in aller Regel entscheiden möchte, was redlich ist und was nicht. Nur der erlaubte, der redliche, der kontrollierte Diskurs wäre dann einzig zugelassen. Eben der Kongress der Weißwäscher.

Unter den Weißwäschern dürfen natürlich auch die Journalisten der ZEIT nicht fehlen, die wie Rainald Becker keinen Skandal entdecken können. Auch ihnen sei Victor Klemperes LTI wärmstens empfohlen. Der neue Frame lautet, es handele sich nur um Werbung, nur um eine Kommunikationsstrategie, kein Grund zur Aufregung: „Nur das ich es verstehe: Die ARD entwirft wie jedes Unternehmen eine Kommunikationsstrategie. Dabei bedient sie sich einer lächerlichen Methodik. Eine gute Idee? Sicher nicht aber wo ist noch einmal der Skandal?“, twittert Mark Schieritz von der ZEIT. Da hilft jedoch kein Kleinreden, die Methodik ist natürlich nicht lächerlich, denn sie hat schon einmal hervorragend schlechte Dienste geleistet.

Untrennbare Entitäten
ARD: Läuft das Gehirnwäscheprogramm schon?
Im SPIEGEL meldete sich der Steinmeier-Biograph Torben Lütjen zum Kongress der Weißwäscher an. Wie nennt man jemanden, der um sich herum nur „Paranoide“ sieht? Paranoid? Lütjen kommt jedenfalls zu der erstaunlichen Feststellung, dass die ARD alles Recht hat, ein Framing-Manual in Auftrag zu geben und zu nutzen, um „Waffengleichheit“ herzustellen. Waffen soll laut Lütjen die ARD gegen die „paranoide Rechte“ in Stellung bringen. Wer der von ihm kreierte Popanz „paranoide Rechte“ ist, lässt er offen, aber in Anbetracht von Lütjens allzu großzügigen Wortgebrauch wohl jeder Kritiker des Framing Manuals. Lütjen merkt nicht einmal, wie lächerlich es ist, wenn er einer den mächtigsten Medien in der Bundesrepublik attestiert, dass sie „Waffengleichheit“ herzustellen hätte. Würde man im Sprachgebrauch des Steinmeier-Biographen argumentieren und sich seine Überlegungen zu eigen machen, dann würde die Forderung nach „Waffengleichheit“ in der „Abrüstung der ARD“ bestehen.

Hat schon das Framing-Manual der ARD geschadet, so dürften die Verteidiger des Manuals der Anstalt öffentlichen Rechts einen Bärendienst erweisen, weil sie das Framing Manual richtig als Manipulationsanleitung erkannt haben und nun die Manipulation zu rechtfertigen versuchen, weil „Waffengleichheit“ hergestellt werden soll.

Es wird relativiert, wo nicht relativiert werden darf, so im Blick auf die Werte der Aufklärung, die im kritischen Diskurs bestehen und dessen Garant der von den Aufklärern von Immanuel Kant bis Friedrich dem Großen in seinem „Antimachiavell“ immer wieder geforderte mündige Bürger als Staatsbürger ist, die nun hemdsärmelig abgeräumt werden soll. Der mündige Bürger wird unter Ignoranz der über zweihundertjährigen Begriffsgeschichte anachronistisch als AfD-Propaganda denunziert, Kritiker werden zu „Feinden“ erklärt und Diskurse sollen anscheinend in einer „kontrollierten Demokratie“ nur noch dann zugelassen werden, wenn sie „redlich“ sind.