Tichys Einblick
Dead end

Der deutsche Hang zum Sonderweg ist nicht solidarisch

Das Geschick der Deutschen, sich stets auf die falsche Seite der Geschichte zu stellen, ist wirklich einzigartig: und jedes Mal getragen von einem moralischen Hochmut, der seinesgleichen sucht.

© Sean Gallup/Getty Images

„Sondierungen“ für mögliche Koalitionsgespräche: Früher hat man einfach Koalitionsgespräche geführt, die konnten scheitern oder auch nicht, aber das musste man nicht vorher „sondieren“. Schon gar nicht, wenn man gerade vier Jahre in einer Koalition war, die beiden „Volksparteien“ scheinen ihren Ehrgeiz darin zu sehen, Dick und Doof solidarisch nachzueifern (nein, fragen Sie mich jetzt nicht, wer dick und wer doof ist!).

Die SPD machte eine Wunschliste für den Weihnachtsmann. Die letzten „unverhandelbaren“ Forderungen kamen von Gabriel und betreffen die Bürgerversicherung, die in ihren Folgen ebenso gut durchdacht ist wie die Einführung des Euro, sowie des Schengen – Raums (ohne Grenzsicherung nach außen) und der Bau des  Hauptstadtflughafens. Zusätzlich sind noch „EU – Reformen“ unverhandelbar, was letzteres konkret heißt, wissen wir nicht. Da das Sammelbecken politischer Dummköpfe aber bekanntlich Deutschland hasst und konsequent abschaffen will, marschiert dieser spezielle brain pool der politischen Eliten stracks in Richtung Vereinigte Staaten von Europa. Ob das die Bürger wollen, ist der politischen Kaste total egal.

Justice delayed is justice denied
Ruine Rechtsstaat?
So wird das Lied „Morgen Kinder wird‘s was geben“ gespielt –  vielleicht einen „auf die Fresse” von Frau Nahles? Allerdings wäre es aus Sicht der CDU fatal zu glauben, das Sammelbecken politischer Dummköpfe sei nun derart senil geworden, dass es die infantile Phase erreicht habe und Merkel mit dem Weihnachtsmann verwechsle. Nein, das ganze ist durchaus politisches Kalkül, denn die SPD will nicht allein in den Untergang reiten, die CDU soll sie auch auf ihrem letzten Weg begleiten. Denn egal, wie man es dreht und wendet, die CDU kommt da nicht unbeschadet heraus.

Gehen wir doch einmal die Szenarien durch:

♦ Die CDU geht auf die Forderungen ein. Das ist der „fast track“ zum Stimmenverlust, als erstes wird es die CSU bei der Landtagswahl merken. Da hilft dann auch ein Söder nichts mehr. Wobei – um eine Partei, die uns Bundesbürgern die Maut als nächstes Milliardengrab beschert hat, ist es nicht schade.

Die CDU ist über die Jahre zum konservativen Flügel der SPD geworden, was natürlich auf Kosten der SPD ging, aber mit dem Preis der Neugründung einer konservativen Partei bezahlt wurde. Was die CDU an der einen Seite gewann, verlor sie auf der anderen. Wird sie noch linker, verliert sie noch mehr Stimmen an das konservativ–liberalen Spektrum, sie ist in der Zwickmühle.

♦ Die SPD knickt ein. Unwahrscheinlich, denn dann wird sie die 5% – Hürde anvisieren. Aber auch dann hielte man der CDU vor, sie würde herrschen ohne Rücksicht auf Verluste, abgehoben sein und rücksichtslos, dauerhaft gewinnen kann sie so auch nicht.

♦ Beide machen eigenartige Kompromisse (und diese sind immer eigenartig), überzuckern das ganze aber mit einer Geschenkorgie.

Der alte Mann und das Messer
Kündigt der Staat sein Versprechen auf Sicherheit?
Das wird beiden Parteien in gleichem Maße schaden, denn wir erleben eine Renaissance des Rückgrats. Kennt man in heutigen Zeiten der Plaste und Elaste im politischen Betrieb kaum noch, wird aber wieder modern. Nichts, was den Schutz der Bevölkerung auch nur geringfügig stärker gefährdet oder belastet, dürfte von der Bevölkerung honoriert werden. Familiennachzug ist so ein Thema, denn die meisten Bürger wollen durchaus die Zusammenführung der Familien, aber in deren  Heimatland. Nicht dass man keine Kompromisse schließen könnte oder gar müsste, aber das geht eben nur in einem gewissen Rahmen, der in den letzten Jahre extrem eng geworden ist.

Das Verteilen von Geschenken an die Bürger – so wie früher die Gutsherrin mildtätige Gaben an die Armen ausgab (oder im Weihnachtsfilm die Mutter von little Lord Fauntleroy) –  kommt bei einer Bevölkerung, der man das Geld für diese Gaben erst wegnimmt, auch nicht mehr wirklich gut an.

Es ist also das Spiel „Keiner kann gewinnen“. Und die SPD treibt den Einsatz so hoch, dass der Verlust für alle maximal wird.

Haben die Herrschaften das eigentlich mitbekommen? Zum Teil vielleicht. Immerhin hat der eine oder andere schon etwas davon gemurmelt, dass eine Minderheitenregierung doch gar nicht so übel wäre. Die aber will Merkel nicht, denn dann muss sie sich Mehrheiten suchen und kann nicht mehr wie in einem totalitären Staat durchregieren. So etwas ist wirklich zu unbequem!

Es kommt aber noch ein Problem hinzu: Mehrheiten gibt es vor allem im linken Spektrum, denn die AfD wird gemieden wie der Antichrist. Damit sind wir beim ersten Punkt, nur linke politische Ideen haben eine Chance auf Realisierung. Wenn die CDU das macht, wird sie verlieren.

Egal, in welche Richtung man es dreht und wendet, die CDU verliert, sie ist mit Volldampf in die Sackgasse gefahren, hat das dead end erreicht. Und das weiß die SPD sehr genau. Verschwörungstheoretiker könnten meinen, dass die AfD das ganze Spektakel sponsert, denn sie ist der Gewinner dieser merkwürdigen Scharade.

Emotionale Intelligenz
Change Management
Was macht man in einer solchen Situation? Wenn man das Ende einer Sackgasse erreicht hat, das dead end, dann muss man umkehren. Aber wie? Natürlich geht es nur ohne Merkel, so weit ist man gedanklich schon. Aber – wer soll es dann  richten? Versucht man denselben Weg wieder und setzt auf eine Frau, hat man das Spiel schon verloren. Nach all den Jahren Merkel ist diese Karte ausgereizt, davon haben alle die Nase voll. Also ein Mann, aber wer? Jens Spahn hat nicht das Profil, auch wenn er (wohl vor allem aus privaten Gründen) der Migrationspolitik sehr skeptisch gegenüber steht. Ansonsten trat er nie in Erscheinung. Carsten Linnemann  von der Mittelstandsvereinigung ist ein kluger Kopf mit den richtigen Ideen, aber wie  sonstige Namen, die gehandelt werden,  noch  farblos. Ohne breiten Bekanntheitsgrad aber kommt man nicht weiter. Erfahrung als Ministerpräsident, volksnah, Europa erfahren und nicht durch die derzeitige Bundespolitik beschädigt ist McAllister. Aber will er? Keiner weiß es.

Und dann? Die CDU hat die AfD dermaßen verteufelt, dass eine vernünftige parlamentarische Zusammenarbeit fast unmöglich scheint. Ähnliches gilt für die FDP, aber nur so käme eine bürgerliche Mehrheit zustande.

Hätte irgendjemand „vom Ende her“ gedacht, was Frau Merkel – entgegen anderslautenden Botschaften – definitiv nie getan hat, oder auch nur mal eine Sekunde über die Folgen des eigenen Handelns nachgedacht, wäre diese Situation vermieden worden. Hätte – hat man aber nicht.

Lingua Reipublicae Foederatae
LRF vergiftet den Konsens in Deutschland
Es ist auch verkehrt, die „Flüchtlingskrise” als Ursache des Endes der Ära Merkel zu sehen (und dass sie zu Ende ist, ist sicherlich allen klar). Sie hat als Beschleuniger gewirkt, war aber nicht die Ursache, denn die AfD wurde wegen der „Euro-Rettung“ gegründet, als die Herrschenden meinten, sich nicht mehr an das Recht halten zu müssen. Das Recht gilt seither nur noch für den kleinen Mann, der an einer immer kürzeren Leine gehalten wird. Zugleich wurde das Solidaritätsprinzip überstrapaziert.

Jede Solidarität beruht auf zwei Säulen: Auf Gegenseitigkeit und auf einem Zusammengehörigkeitsgefühl. Man hilft natürlich, wenn jemand in einer Notsituation ist, aber nur solange diese besteht. Und der Betreffende muss selber alles tun, um sich aus dieser misslichen Lage zu befreien. Dies gilt  z. B. nicht beim sogenannten Sozialhilfeadel, der in mittlerweile dritter Generation Sozialhilfe bezieht, weder für sich noch für die Kinder sorgen kann, aber das auch völlig in Ordnung findet. Das geht natürlich nicht, das ist schlicht nassauern und damit un-solidarisch. Genau so wenig waren wir für die maroden griechischen Verhältnisse verantwortlich, es gab keinen Anlass, uns solidarisch zu zeigen. Das war keine unverschuldete, sondern eine selbst verschuldete Notlage.

Solidarisch ist man auch nur mit denjenigen, denen man sich verbunden fühlt. Das ist die Familie, das mag – in abgemilderter Form – der „Clan“ sein, aber dann hört es bald auf. Man ist aber nicht mit aller Welt „verbunden“. Eine solidarische Gesellschaft funktioniert nur in einem eng begrenzten Bezugsrahmen, so wie offene Gesellschaften klare Grenzen benötigen, „open societies need defined borders“, wie die gewiss nicht rechtsradikale Washington Post ausführt.

Das Prinzip der grenzenlosen Solidarität verbunden mit der verloren gegangenen Bindung der Herrschenden an Recht und Gesetz mutierte in den Folgejahren zu einem extremen Verhaltensmuster.

Die Kernaufgaben des Staates wurden nicht nur vernachlässigt, sondern man muss in vielen Bereichen von einem failed state sprechen. Innere und äußere Sicherheit gibt es nicht, die Bundeswehr ist eher eine Einladung an jeden Feind, unser Land zu überrennen. Das geht nämlich ganz einfach. Dabei sei an den Spruch Adenauers erinnert: „Meine Feinde kenne ich und vor meinen Freunden muss ich mich hüten“. Dieses Prinzip ist jedem  Menschen mit etwas Klugheit und Lebenserfahrung bekannt, was natürlich heißt: Unsere politische „Elite“ hat davon keine Ahnung.

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Streitschrift: Wovon lebt Demokratie?
Tatsache ist, dass Deutschland hohe Einnahmen hat, aber keinen „Julius-Turm“. So etwas hatten wir einmal und zwar in viel härteren Zeiten, Norwegen und andere Länder haben noch heute Staatsfonds (und nicht alle haben Erdöl), aber ordentliches Wirtschaften ist die Sache unserer politischen „Eliten“ nicht. Wir haben auch keine ausreichende Infrastruktur, die vorhandene ist in schauderhaftem Zustand, unsere „Energiewende“ ist ein schlechter Witz, die Schulen sind grottenschlecht – kein Wunder, wenn der Staat selber die Dienstleistung „Bildung“ übernimmt. Dabei kommt dann die „Konsum“-Qualität heraus. Der Staat müsste das keineswegs selber machen, aber er will sich die Gelegenheit, „Untertanen“ heran zu ziehen, natürlich nicht entgehen lassen.

Dabei braucht jedes hoch entwickelte Land Bürger, die möglichst viele Aufgaben eigenständig erledigen. Es ist die einzige Art, der Komplexität Herr zu werden. Dafür brauchen sie Geld und Zeit. Beides ist nicht vorhanden, denn den Bürgern wird ihr Geld vom Staat weitgehend weggenommen, womit dieser unvorstellbar schlecht wirtschaftet und es für Dinge ausgibt, die viele Bürger sogar ablehnen. Viel Zeit bleibt die Bürgern auch nicht, denn da die Abgabenlast so hoch ist, müssen alle hart arbeiten um über die Runden zu kommen.

Nur mal ein kurzes Beispiel:

Nimmt man ein Durchschnittsgehalt von € 3.600,- , so bleiben davon netto € 2.100,- übrig (ledig, ohne Kind und ohne Kirchensteuer), das sind Abzüge von 41.1%. Von diesem Restbetrag müssen zusätzlich noch Mehrwertsteuer, Ökosteuer, Mineralölsteuer, Versicherungssteuer, Stromsteuer und EEG-Umlage, ggf. Sektsteuer, Grundsteuer, Grunderwerbsteuer usw. gezahlt werden. Verschiedene Steuern addieren sich, so besteht der Strompreis z. B. nur zu 19 % aus dem Faktor Stromerzeugung, der Rest sind Stromsteuer, EEG-Umlage, Umsatzsteuer etc. Insgesamt mindern die öffentlichen Lasten die privaten Einkommen erheblich.

Den Unternehmen geht es übrigens nicht wesentlich besser, jedenfalls nicht denen, die ihre Steuerlast nicht verlagern können. Allein die Unternehmenssteuer bei uns beträgt 30 %, in den USA zukünftig nur 21 %, Frankreich will sie auf 25 % senken. Dass das den Fachkräftemangel auf ungute Art beheben kann, weil manche Unternehmen abwandern werden, ist naheliegend.

Man stelle sich für einen Augenblick einmal vor, es sei keine Parteienoligarchie an der Macht, sondern ein König, der zusammen mit seinen Landesfürsten das Volk derart ausbeuten würde. Der von den Bürgern nimmt ohne Ende, sie schuften lässt, so dass sie nicht mal Zeit für ihre Kinder haben und sie dann nicht einmal schützt. Der jede Aufgabe, die er übernimmt, grottenschlecht ausführt und sich dann mit anderen Königen zu einem großen Reich zusammen schlösse. Dieses Großreich hätte einen Kaiser, der ebenfalls einen hohen Tribut verlangte, wobei die Herrschenden sich nicht an Recht und Gesetz hielten, aber das Volk mit Regeln knebelten und gnadenlos jede geringfügige Verfehlung verfolgten.

Wie würde das enden?