Tichys Einblick
Linksradikalisierung der Union

CDU: Verbotsforderungen für die AfD, Koalitionsempfehlungen für die Linkspartei

Ministerpräsident Daniel Günther und der Ex-Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (beide CDU) unterstützen ein AfD-Verbot - und wollen auf Parteichef Friedrich Merz einwirken, um dieses durchzusetzen. Dafür schwärmen sie von der Linkspartei als Koalitionspartner.

IMAGO - Collage: TE
Ist es wirklich die AfD, die sich in den letzten Jahren radikalisiert hat? Folgt man der historischen Linie ab Andreas Hermes und Konrad Adenauer, dann ist es wohl eher die CDU, von der man dies sagen muss: als ehemalige Vorkämpferin des Anti-Kommunismus in der alten Bundesrepublik will man nun mit den SED-Erben zusammenarbeiten. Das ist kein neuer Gedanke. Spätestens seit der künstlich herbeigeführten Unregierbarkeit Thüringens ergaben sich Spekulationen über eine CDU-Regierung mit Linkshilfe gegen die AfD.

Das war im Herbst 2019. Nun, zum Jahresbeginn 2024 im Zuge einer Operette, die man mehr als Correctiv-Affäre denn als vermeintliche Wiederauflage der Wannsee-Konferenz bezeichnen müsste, versucht man, innerparteiliches Kapital aus den Vorgängen zu schlagen. Womit wir wieder bei Adenauer wären, der die Steigerung „Feind, Erzfeind, Parteifreund“ prägte. Denn die derzeitige Geisterjagd richtet sich nicht nur nach außen, gegen die rivalisierende AfD, der sich neben Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang (CDU), auch der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und der ehemalige Ostbeauftragte Marco Wanderwitz (CDU) angeschlossen haben.

Man kann nicht zuletzt deswegen Zweifel daran hegen, wie ernst es letztere mit der Brandmauer gegen eine Bedrohung von Hitler- und Himmler-Wiedergängern meinen, wenn sie die Angelegenheit dazu nutzen, die Causa innerparteilich zu instrumentalisieren. Bei Günther und Wanderwitz gibt es frappierende Parallelen in der Argumentationsführung. Die Gleichzeitigkeit polittaktischen Denkens lässt eher darauf schließen, dass die Merkelianer innerhalb der Union ihre Zeit gekommen sehen, die Weichen für das eigene Parteilager zu stellen, die man dann mit hehren Ansprüchen tarnt.

Günther hat sich heute für ein Verbotsverfahren gegen die AfD stark gemacht. „Wir haben es mit einer Partei zu tun, die in drei Bundesländern als gesichert rechtsextrem eingestuft worden ist, in zwei dieser Länder hat sie bei den Landtagswahlen im Herbst zugleich gute Aussichten, stärkste Kraft zu werden“, sagte Günther der Welt am Sonntag. „In einem solchen Moment sollte eine wehrhafte Demokratie die Instrumente, die ihr zu ihrem eigenen Schutz zur Verfügung stehen, auch nutzen.“

Die AfD, so Günther sei „schlicht eine Bedrohung für unsere Demokratie“. Bezeichnend, dass der Ministerpräsident noch am Donnerstag in Richtung Linksaußen hingegen einen kompetenten und verlässlichen Partner erblickte. Hinsichtlich der Linkspartei müsse die CDU „pragmatisch“ sein. „Wenn da vernünftige Menschen in der Linkspartei am Werk sind, vertut man sich nichts damit, nach vernünftigen Lösungen zu suchen“, erklärte er gegenüber der Rheinischen Post. 30 Jahre nach dem Mauerfall gebe es „durch eine Reihe regionaler Kooperationen ein gutes Stück Normalisierung zwischen CDU und Linken“. Da sei es gut, auf Scheuklappen zu verzichten.

Linke und Rechte, so sagt man, unterscheiden sich vor allem in der Bewertung von Theorie und Praxis, von Zukunft und Vergangenheit, von Modell und Erfahrung. In diesem Sinne will Günther nicht nur mit der Linken koalieren, sondern ist auch intellektuell als links einzuordnen: die Partei, die in ihrer Vergangenheit tatsächlich einer Diktatur vorgestanden hat, in Thüringen eine nicht-legitimierte Regierung führt und deren Früchte man in jeder Regierung erkennen kann, an der sie beteiligt war, gilt als weniger gefährlich als eine erst seit zehn Jahre existierende Partei, von der man gar nicht weiß, ob sie angesichts des Aufbaus der Bundesrepublik ein einziges ihrer Projekte durchsetzen könnte.

Wanderwitz, der bei vielen ostdeutschen Mitbürgern einen bereits zweifelhaften Ruf genießt, ist mit einer Wortmeldung aufgefallen, die sehr ähnlich klingt. Bundeskanzler Olaf Scholz und CDU-Parteichef Friedrich Merz sollten für ein AfD-Verbot zusammenarbeiten. „Ich wünsche mir von beiden, dass sie die Dramatik der Lage und die Größe des Problems sehen und ein Verbotsverfahren unterstützen“, sagte Wanderwitz dem Stern. „Die AfD radikalisiert sich immer weiter. Und das bleibt nicht ohne Folgen“, so der ehemalige Ostbeauftragte. „In allen anderen Parteien ist die Sensibilität gewachsen, dass hier große Gefahr für unser Land und unsere Demokratie droht. Das Thema AfD-Verbot gewinnt an Fahrt.“

Zu den Anekdoten des Stern-Gesprächs gehört, dass Wanderwitz stolz erklärt, er erhalte den meisten Zuspruch von Anhängern der Grünen. Aber auch aus „Union, SPD, Linkspartei“ und bei Parteilosen. Womit wir beim unausweichlichen Thema wären. „So wie sich die Linkspartei sich in den letzten Jahren entwickelt hat, müssen wir als Union noch einmal neu ausbuchstabieren, ob im Unvereinbarkeitsbeschluss tatsächlich die Linke mit der AfD in einem Atemzug und mit dem gleichen Ergebnis behandelt werden sollte“, führte Wanderwitz gegenüber dem Tagesspiegel aus.

Es dürfte auf der Hand liegen, dass die Correctiv-Affäre für die Ampel nicht nur deswegen eine Atempause bedeutet, weil sie die Bauernproteste klein- und den AfD-Umsturz großreden kann. Die Union zerlegt sich über die Ausschluss- und Koalitionsoptionen. Die Merkelianer wittern Morgenluft und machen die Ausrichtung der Partei zur moralischen Frage. Das alte Dilemma, ob die CDU je wieder eine Mehrheit rechts der Mitte finden kann oder auf Gedeih und Verderb Koalitionen mit der Linken ausgeliefert ist, stellt sich neu – und die Merkelerben begrüßen die Vereinigung der „demokratischen Parteien“ unter Einschluss von Linksradikalen voller Wonne.

Ostdeutsche machen westdeutschen Autoren gerne den Vorwurf, ihnen mangele es an Erfahrung mit dem Sozialismus. Italiener könnten im selben Ton den Deutschen vorwerfen, ihnen mangele es an Erfahrung mit dem Katho-Kommunismus. Die Christdemokraten haben schon in der Großen Koalition unter Angela Merkel die Erfahrung gemacht, dass sich die Kanzlerin im Grunde mehr mit dem Koalitionspartner als der eigenen Partei identifiziert hat. Und hat Papst Franziskus nicht erst kürzlich verkündet, dass Christentum und Marxismus ganz ähnliche Ziele hätten? Mit Ruprecht Polenz hat die Union bereits ein formidables Aushängeschild dieser bemerkenswerten Symbiose.

Warum also nicht Nägel mit Köpfen machen? Merkels geistigem Vater Giulio Andreotti war es zuletzt auch egal, ob er mit den Sozialisten, Krypto-Kommunisten oder fünf Parteien regieren musste. Hauptsache, er wurde sieben Mal zum Ministerpräsidenten gewählt. Merkels Zauberlehrlingen Günther und Wanderwitz sei allerdings ans Herz gelegt: nach Andreotti hat sich die Democrazia Cristiana selbst erledigt.

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