Tichys Einblick
Nachtragshaushalt 2023:

Die Ampel will Verfassungsbruch durch Verfassungsbruch heilen

Die „außergewöhnliche Notsituation“ konnte die deutsche Regierung schon im Februar 2022 nicht für sich in Anspruch, sie kann es erst recht nicht im Jahr 2023. Nichts von dem, was sie bewusst und gezielt unternahm, entzog sich ihrer Kontrolle.

IMAGO/photothek

Die Bundesregierung hat aus dem Verfassungsbruch ihres Haushaltes nur die einzig falsche Lehre gezogen, noch einen größeren Bruch des Grundgesetzes herbeiführen zu wollen, gröber noch, dreister noch, offensichtlicher noch. Sie benötigt so dringend sehr viel Geld, auf welchem Wege sie es bekommt, ist ihr egal. Was sind Staaten anderes als große Räuberbanden, wenn ihnen das Recht fehlt, fragte Augustinus schon vor 1500 Jahren. Gestern billigte nun das Bundeskabinett im schriftlichen Umlaufverfahren den Nachtragshaushalt für 2023, d.h. Bundeskanzler und Bundesminister haben allem Anschein nach lustlos und desinteressiert ihr Häkchen an Lindners erneuten Verfassungsbruch gesetzt. Anscheinend war der Nachtragshaushalt 2023 den Mitgliedern der Bundesregierung nicht einmal eine Stunde Diskussion für die Schussfahrt in die ausufernde Staatsverschuldung, die der Nachtrag darstellt, wert. Sie wollen ja alle nur Geld, viel Geld, mehr Geld für ihre Projekte und Projektchen. Lindners Aufgabe besteht mit Unterstützung seines Parteifreundes Marco Buschmann nur noch darin, die Schuldenbremse der Verfassung auszusetzen. Mehr wird von ihm nicht erwartet.

Der Bundessubventionsminister Robert Habeck sieht trotz Verfassungsgerichtsurteil keinen Grund, auch nur einen Euro weniger auszugeben. So äußerte er nach einem Treffen mit den Wirtschafts- und Energieministern der Länder: „Alle Projekte, die wir konzipiert haben, müssen möglich gemacht werden“ Und wenn darüber Deutschland zugrunde geht, wenn deshalb die Nachhaltigkeitspartei „Die Grünen“ die künftigen Generation nachhaltig verschuldet.

Ein echter Scholz
Regierungserklärung von Scholz: Vorwärts immer, rückwärts nimmer
Am 15.11. hatte ich auf TE kommentiert: „In einer ersten Reaktion und überraschend kurzen Erklärung gingen Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck dünnlippig und denkbar schlecht gelaunt vor die Presse für ein Statement, das in zweierlei Hinsicht einmalig war, erstens in seiner Kürze und zweitens in seiner unverhohlenen Drohung den Bundesländern gegenüber – und damit gegenüber der CDU.“ Deshalb erstaunt es nun auch nicht, dass Robert Habeck versucht, einen Keil in die Union zu treiben, zwischen der Bundestagfraktion und den Länderchefs. Kein Wunder also, dass Robert Habeck assistierenden Zuspruch von Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Armin Willingmann von der Schulden Partei Deutschlands (SPD) erhält, der nicht auch nur einen Cent von den fast 10 Milliarden Euro für die Ansiedlung von Intel verlieren möchte.

Dass die Union nicht gegen die Aussetzung der Schuldenbremse, die die Bedingung für den Nachtragshaushalt 2023 stellt, klagen möchte, liegt auch daran, dass die Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen Anhalt um die Milliardensubventionen für die Chipfabriken in Dresden und Magdeburg fürchten. Selbst Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger stellt in der Frage wieder einmal seine legendenumwobene Wendigkeit unter Beweis, wenn er von „unverzichtbaren“ und „existenziell wichtigen“ Projekten spricht, damit „der Wirtschaftsstandort Deutschland in eine wettbewerbsfähige Zukunft geht.“ Oft meinen Politiker, wenn sie von der Zukunft, die sich eben jeder Kontrolle bis zu dem Tag, an dem sie Vergangenheit ist, entzieht, doch nur ihre Gegenwart. Man könnte den Wirtschaftsstandort attraktiv machen – und attraktiv wird er durch eine funktionierende Infrastruktur, digital wie analog, durch verfügbare Fachkräfte und vor allem durch konkurrenzfähige Energiepreise. Aber man kann einen unattraktiven Standort nicht auf Dauer dadurch attraktiv machen, dass man die Nachteile durch Subventionen ausgleicht, denn an dem Tag, an dem die Kreditlinie ausgeschöpft ist und dadurch die Subventionen wegfallen, sehen sich die Unternehmen mit den Nachteilen des Standorts konfrontiert – und wie dann ihre Entscheidung ausfällt, ist klar.

Vor allem aber verzichtet die Union darauf, gegen den nicht minder verfassungswidrigen Nachtragsaushalt 2023 Verfassungsklage einzureichen, weil dem Merkelianer Daniel Günther in Schleswig Holstein, dem Grünen mit dem schwarzen Parteibuch, der Landeshaushalt um die Ohren flöge, in ähnlicher Lage befindet sich auch der approbierte Lautsprecher der Merkelianer, Berlins Regierender Schuldenbürgermeister Kai Wegner. An seine Adresse hat Friedrich Merz in seiner exzellenten Entgegnung auf Scholzens weltfremde Regierungserklärung die Worte gerichtet: „Die Entscheidungen werden im Deutschen Bundestag und nicht im Rathaus von Berlin getroffen.“ Merz hat einen glasklaren Oppositionskurs vorgegeben, an dieser großen Rede wird er sich aber auch messen lassen müssen.

"Diktatur der Inkompetenz"
Mit Notlügen in die Notlage oder wie das Kabinett Scholz den Haushalt ruiniert
Friedrich Merz nannte den Zweiten Nachtragshaushalt zum Haushalt 2021, im Februar 2022 beschlossen, eine „Manipulation der Verfassung“. Der Nachtragshaushalt, den Lindner nun vorlegt, stellt eine nicht minder große Manipulation der Verfassung dar. Er versucht, die Aussetzung der Schuldenbremse zu rechtfertigen, die notwendig ist, damit Lindner den Wegfall der 60 Milliarden im Klima-Transformations-Fonds und den Wegfall des Wirtschaftsstabilisierungsfonds durch neue Schulden kompensieren kann. Die Verschuldungsorgie ist geblieben, sie heißt jetzt nur anders. Bundeskanzler Olaf Scholz behauptet in seiner Regierungserklärung, dass das Verfassungsgericht eine neue Realität geschaffen habe. Wie haben die Richter in Karlsruhe diese gewaltige Leistung vollbracht? Durch reine Geistschöpfung wie Zeus einst Athene zeugte? Wohnt Gott in Karlsruhe? Besteht die neue Realität darin, dass aus einem Rechtsspruch folgt, ihn zum Anlass zu nehmen, um Unrecht zu schaffen?

Damit der Nachtragshaushalt 2023 in Kraft treten kann, ist es erforderlich, dass die Schuldenbremse des Grundgesetzes wieder ausgesetzt wird. In Lindners „Entwurf eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan 2023 nebst Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2023 (Nachtragshaushaltsgesetz 2023)“, der TE vorliegt, heißt es zur Aussetzung der Schuldenbremse: „Die nunmehr mögliche Kreditaufnahme des WSF Energie ist bei der Feststellung der Kreditaufnahme nach Artikel 115 des Grundgesetzes zu berücksichtigen. Da die Regelgrenze der Kreditaufnahme nach Artikel 115 Grundgesetz bereits mit dem Bundeshaushalt ausgeschöpft wird, führt diese Kreditaufnahme zu einer entsprechenden Überschreitung dieser Regelgrenze. Daher muss der Deutsche Bundestag vor Inkrafttreten dieses Gesetzes mit der Mehrheit seiner Mitglieder gemäß Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 Grundgesetz beschließen, dass die Voraussetzungen für das Überschreiten der Kreditobergrenzen nach Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 Grundgesetz vorliegen.“ Das heißt im Klartext, dass das Parlament die Notlage feststellen muss. Im Artikel 115 des Grundgesetzes steht im Absatz 2 die Formulierung, mit der Lindner seinen verfassungswidrigen Nachtragshaushalt zu rechtfertigen versucht: „Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden.“

In Lindners Entwurf, dem sogar eine „Formulierungshilfe eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 und 7 des Grundgesetzes“ beiliegt, so sehr bemüht man sich, das Recht zu biegen bis es bricht, wird die „außergewöhnliche Notsituation“ mit „dem völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine“, mit den damit „verbundenen tiefgreifenden humanitären, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die sich aufgrund dieses exogenen Ereignisses der Kontrolle des Staates“ entzögen und die „im Jahr 2023 weiter fort“ bestehen, begründet. Es wird behauptet, dass „auch im Jahr 2023 einnahme- und ausgabeseitig erheblich die staatliche Finanzlage“ betroffen werde.

Nachtragshaushalt 2023
Im Schweinsgalopp in die nächste Haushaltskrise
Das Grundgesetz spricht eindeutig von Naturkatastrophen und von „außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen.“ Der Krieg in der Ukraine mag vieles sein, aber eine Naturkatastrophe ist er nicht. Mit der Formulierung der „außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates“ entzieht, meint der Gesetzgeber, dass die Notsituation plötzlich eingetreten ist, wie die Pandemie, und der Staat keine Möglichkeit besitzt, vorsorgend darauf zu reagieren. Der Krieg in der Ukraine kann in diesem Zusammenhang nicht angeführt werden und fällt als Begründung weg, denn:

1. Mag der Ausbruch des Krieges im Februar 2022 „außergewöhnlich“, plötzlich und unvorhersehbar gewesen sein, so ist er im Jahr 2023 eine bekannte Tatsache und keineswegs überraschend für den Staat. Ihm ist also die Möglichkeit geben, Vorsorge zu treffen. Die „außergewöhnliche Notsituation“, die sich der Kontrolle des Staates“ entzieht, ist folglich nicht gegeben.

2. Die Bundesrepublik Deutschland wurde nicht von Russland überfallen und befindet sich auch nicht im Krieg mit Russland, was immer die Frau aus dem Völkerrecht auch halluzinieren mag. Deshalb trifft die „außergewöhnliche Notsituation“ zwar für die Ukraine zu, nicht aber für Deutschland. Mehr noch: Deutschland ist politisch frei in seinen Entscheidungen. Wenn die deutsche Regierung politische und wirtschaftliche Entscheidungen trifft, obliegt es ihr, für die Konsequenzen ihrer Entscheidung vorzusorgen, sie mit anderen Worten zu kontrollieren. Eine „außergewöhnliche Notsituation“ kann nicht festgestellt werden, wenn die Regierung den Staat in eine Notsituation treibt.

3. Es wird an den allerdünnsten Haaren herbeigezogen, dass die Regierung mit dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds die Strompreise und die Gaspreise stützen musste. Wenn in einer politischen und wirtschaftlichen Krise die Regierung bewusst eine Gasmangellage und eine Strommangellage herbeiführt, kann nämlich keine „außergewöhnliche Notsituation, die sich der Kontrolle des Staates“ entzieht, festgestellt werden, denn was die Regierung willentlich und wissentlich verursacht, entzieht sich ja nicht ihrer Kontrolle. Die Strommangellage hat nicht der Überfall Russlands auf die Ukraine zur Ursache, sondern die Energiewende. Wer in einer Verknappung von Energie, selbst noch Energie verknappt, indem er drei Kernkraftwerke abschaltet, kann sich nicht auf „außergewöhnliche Notsituationen“ herausreden, denn die Abschaltung der drei Kernkraftwerke entzog sich ja nicht der Kontrolle der Regierung. Oder hat sie das schlafwandelnd vorllbracht?

4. Wenn Regierungsmitglieder wie der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock laut als Ziel verkünden, von Russland nie wieder Erdöl und Erdgas zu beziehen, dann führen sie den Zustand, dass Russland die Lieferung von Erdgas erst einschränkt und dann abbricht, bewusst und vorsätzlich herbei. Was sie tun können, wenn sie Vorsorge treffen. In Riga verkündete Annalena Baerbock im Frühjahr 2022 – als stünde sie auf der Tribüne eines grünen Kreis-Parteitages: „Was wir mehr denn je tun müssen, ist, unsere Energieimporte von Russland ein für alle Mal zu beenden.“ Sie fügte hinzu, damit es auch der letzte Unterabteilungsleiter im Kreml verstehen musste: „Wenn wir diesen Schritt jetzt gehen, uns unabhängig zu machen von russischen fossilen Importen, dann muss das der Schritt für immer sein.“ Wer so auf außenpolitischer Bühne agiert, kann sich als Regierung nicht darauf berufen, dass die Entstehung der Gasmangellage sich seiner Kontrolle entzog.

Redaktionsschluss mit David Boos
Aufbruch statt umfallen!
Die „außergewöhnliche Notsituation“ konnte die deutsche Regierung schon im Februar 2022 nicht für sich in Anspruch, sie kann es erst recht nicht im Jahr 2023. Nichts von dem, was sie bewusst und gezielt unternahm, entzog sich ihrer Kontrolle. In jeder Situation war sie frei in ihren politischen Entscheidungen. Noch stärker gilt das für die Behauptung, dass Deutschland unkalkulierbare Risiken ins Haus stünden, weil sich Deutschland am Wiederaufbau der Ukraine zu beteiligen hat Dieses Vorhaben ist kein Verhängnis, sondern Gegenstand einer politischen Entscheidung, die sich nicht der Kontrolle der Regierung entzieht. Deutschland ist aus eigener Entscheidung nach den USA der zweitgrößte Geldgeber der Ukraine. Wäre diese Entscheidung nicht kontrolliert und in Freiwilligkeit erfolgt, besäße die Bundesrepublik keine Souveränität und wäre eine Provinz der Ukraine. Wäre die Bundesrepublik eine Provinz der Ukraine, würde die „außergewöhnliche Notsituation“ Anwendung finden, weil sich dann die Entscheidungen bezüglich der Ukraine sich der Kontrolle der Bundesregierung entzögen. Da dies aber nicht der Fall ist, kann sich die Bundesregierung nicht auf die „außergewöhnliche Notsituation“ und den Artikel 115 Absatz 2 des Grundgesetzes beziehen.

Vermutlich wissen das die Juristen der Bundesregierung, denn so redundant liest sich ihre elfseitige Formulierungshilfe, die in keinem Punkt zutreffend ist.

Die Bundesregierung versucht, eine Notlage herbeizureden, um eine Notlage konstatieren zu können. Sie möchte den Verfassungsbruch durch den Verfassungsbruch heilen.

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