Tichys Einblick
Aufstehen für Sarah

So wird das nichts

Die Sammlungsbewegung „Aufstehen“ von Sarah Wagenknecht beginnt im SPIEGEL nicht mit einem Paukenschlag, sondern inks-grünen Plattitüden und Ladenhütern. Die weitere Abwanderung von Wählern von SPD und LINKEN zur AfD stoppt sie damit nicht.

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Im aktuellen SPIEGEL wird unter dem Titel „Aufstehen für Sarah“ die Geburt der schon seit einiger Zeit von Sarah Wagenknecht angekündigten linken Sammelbewegung bekannt gegeben. Der Name des Babys lautet „Aufstehen“. Entstanden ist die Idee zum einen aufgrund des Sachverhalts, dass seit der Bundestagswahl die bisherige rechnerische Mehrheit aus SPD, LINKEN und GRÜNEN verloren ging und aufgrund des anhaltenden Abwärtstrends der SPD im Bund keine Aussicht auf ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis mehr besteht. Zum zweiten hat sich Wagenknecht in der Migrations- und Flüchtlingsfrage mit ihrer Parteiführung überworfen. Anders als die Mehrheit der Parteimitglieder der LINKEN kritisiert sie Merkels neoliberale Politik der Öffnung des Arbeitsmarktes für eine grenzenlose Zahl von Asylbewerbern, die insbesondere die bisherigen (Stamm-)Wähler der LINKEN aus dem Niedriglohnsektor sowie aus den Bereichen prekärer Beschäftigung und Arbeitslosigkeit unter einen erheblichen Druck an den Arbeits- und Wohnungsmärkten setzt.

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Diese Wähler wählen deswegen zusehends weder die SPD noch die LINKE, sondern die AfD, die sich entschieden für eine protektionistische Begrenzung des Zustroms ausländischer Arbeitskräfte ausspricht. Sie folgen damit einer Entwicklung, die sich seit Jahren schon in anderen europäischen Ländern und neuerdings auch in den USA abzeichnet: der Wanderung der Wähler aus der Arbeiterschaft und den unteren Angestellten weg von den etablierten „linken“ Parteien hin zu neuen „rechts-populistischen“ Parteien oder Bewegungen. Anders als die etablierten Parteien wenden sich diese neuen Parteien gegen die unter den „Globalisierungsgewinnern“ in Wirtschaft und Gesellschaft weit verbreitete Haltung des „No Borders, No Nations“. Sie fordern stattdessen eine Stärkung der nationalen Interessenpolitik zum Schutz der „Globalisierungsverlierer“ vor einer anhaltenden Massenzuwanderung in die Arbeitsmärkte und einer damit drohenden kulturellen Überfremdung.

Damit treffen sie nicht nur die Interessen vieler ehemaliger Wähler „linker“, sondern auch „rechter“ Parteien, die sich unter anderem gegen die allmähliche Auflösung nationaler Souveränität und Identität in supra- und transnationalen Strukturen und Gebilden wenden. Die AfD füllt so zum einen eine „Repräsentationslücke“, die durch die schrittweise „Sozialdemokratisierung“ der CDU auf der „rechten“ Seite des politischen Spektrums entstanden ist; sie füllt darüber hinaus jedoch vor allem auch eine „Repräsentationslücke“, die sich auf der „linken“ Seite des politischen Spektrums insbesondere dadurch aufgetan hat, dass die SPD wie die LINKE in Fragen der Migration in das deutsche Sozialsystem und in den Arbeitsmarkt via Asyl eine dezidiert neoliberale Position des freien (Arbeits-)Marktes einnehmen.

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Diese Position entspricht nicht den Interessen ihrer klassischen (Stamm-)Wähler aus der Arbeitnehmerschaft. Diese wissen sehr wohl, dass der deutsche Sozialstaat unter anderem darauf beruht, dass nicht jede Person auf dieser Welt via Asyl zu ihm Zutritt erhalten darf, die dies wünscht. Die ihm zugrunde liegenden Versicherungs- und Umlagesysteme sind national-staatlich und insofern exklusiv verfasst. Eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Voraussetzung des bestehenden Sozialversicherungssystems ist somit der deutsche Nationalstaat mit seiner National-Ökonomie. Seine Verteidigung, nicht zuletzt gegen illegale Zuwanderer aus dem Ausland, liegt daher vor allem auch im Interesse all der Bürger, die auf seine Leistungen besonders angewiesen sind. Eine sozialpolitisch „linke“ Politik basiert nachgerade sogar auf einem starken National-Staat. Erstaunlicherweise gibt es in Deutschland bislang gleichwohl keine sich offensiv als links-national verstehende Partei.

Auf diese „Repräsentationslücke“ hat jüngst der Frankfurter Politologe Andreas Nölke mit seinem Buch „Linkspopulär“ aufmerksam gemacht. Neben dem sozialpolitischen Links/Rechts-Gegensatz hat sich seiner Diagnose nach ein weiterer Gegensatz zwischen Kosmopolitismus und Kommunitarismus herausgebildet. Zum klareren Verständnis kann dieser Gegensatz auch als Gegensatz zwischen Transnationalismus und Nationalismus bezeichnet werden. Die SPD, die LINKE und die GRÜNEN bewegen sich demnach im Feld „Links-Transnational“, die CDU und die FDP im Feld „Rechts-Transnational“. Die AfD hat inzwischen erfolgreich das Feld „Rechts-National“ belegt, streitet mittlerweile aber darüber, ob sie mit einer ausgeprägteren Sozialpolitik nicht besser das Feld „Links-National“ stärker belegen sollte. Sie könnte so wie die FPÖ in Österreich zur neuen „Arbeiterpartei“ Deutschlands avancieren.

Dies dürfte der hauptsächliche Antrieb für Wagenknecht und ihre Anhänger gewesen sein, spätestens nach der Bundestagswahl Überlegungen anzustellen, ob das bislang vakante Feld „Links-National“ nicht von der LINKEN erobert werden könnte. Nachdem aber erkennbar wurde, dass sich dafür weder im Vorstand der Partei noch bei den Parteimitgliedern eine Mehrheit organisieren lässt, wich Wagenknecht auf das Konzept einer parteiübergreifenden Sammlungsbewegung aus. Sie soll parteilose Intellektuelle wie auch Funktionäre, Mitglieder und Anhänger von SPD, LINKE und Grüne ansprechen.

Wer nun erwartet hat, der Start der Sammlungsbewegung beginne mit einem Paukenschlag, sieht sich enttäuscht. Gegenüber ihrer Rede auf dem letzten Parteitag der LINKEN hat Wagenknecht im aktuellen SPIEGEL-Interview in der Frage der Migrationspolitik Kreide gefressen. Das Thema sei „viel zu stark ins Zentrum der Politik gerückt.“ Das Problem der illegalen Zuwanderung müsse vor allem dadurch gelöst werden, dass Waffenexporte und unfaire Handelsabkommen beendet werden. Beim Thema offene Grenzen weicht sie aus.

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Wagenknechts Vorsicht ist wohl dem Umstand geschuldet, dass das „links-Nationale“ Feld für die meisten Adressaten ihrer Sammlungsbewegung eine Art „No-Go-Area“ ist, auf das sie sich nicht begeben wollen. Die geplante Bewegung könnte schon im Keim ersticken, würden ihre Initiatoren offen dafür eintreten, im Interesse einer linken Sozialpolitik den Nationalstaat zu stärken. Das würde Schwung in den politischen Diskurs bringen, die Initiatoren und Teilnehmer der Bewegung aber dem Vorwurf des Nationalismus aussetzen, der nach herrschender Auffassung gleichsam naturgemäß „rechts“ ist. Um dies zu vermeiden, verkünden Marco Bülow von der SPD, Sevim Dagdalen von der LINKEN und Antje Vollmer von den GRÜNEN im gemeinsamen SPIEGEL-Gastkommentar zu Wagenknechts „Aufsteh-Initiative“ unter dem Titel „Raus aus der Wagenburg“ lieber altbekannte links-grüne Plattitüden und Ladenhüter.

Das liest sich dann folgendermaßen: „Wer sammeln will, muss auch sammeln können. Er muss die Fähigkeit und den Willen besitzen, alte Gräben zu überwinden. Toleranz und Respekt im Inneren, Überwindung von Sektierertum und ideologischen Grabenkämpfen, größtmögliche Offenheit der Debatten, keine Gedankenpolizei und keine Verratsvorwürfe – diese Punkte sind unverzichtbar, wenn man die chronische Spaltungstendenz linker Bewegungen sowohl in der Form wie auch im Inhalt überwinden will.“ Amen.

Die Strategen der AfD, die ihre Partei insbesondere in den neuen Bundesländern auf das „Links-Nationale“ Feld führen möchten, um dort der SPD und der LINKEN noch mehr Wähler abzuwerben, werden derlei Gesülze mit Genugtuung lesen. Einen Strich durch ihre Rechnung wird ihnen nicht Wagenknechts „Aufsteh-Initiative“, sondern allenfalls die eigene Partei machen.