Tichys Einblick
Landwirtschaft: 300.000 Arbeiter gesucht

Arbeitslose, Kurzarbeitende und „Flüchtlinge“ als Helfer für die Spargelernte?

Wegen des Coronavirus gelten Einreiseverbote für Erntehelfer aus Polen oder Rumänien. Deutsche Bauern bangen um ihre Obst- und Gemüseernte. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner und Parteikollegen machen dazu revolutionäre Vorschläge zu potentiellen Saison-Arbeitern.

Archivbild: Erntehelfer aus Rumänien stechen Spargel bei Bad Krozingen im Markgräflerland.

imago images / Winfried Rothermel

Insgesamt rund 290.000 Erntehelfer kommen normalerweise jedes Jahr ganz legal aus dem Ausland nach Deutschland, um in der Erntesaison als landwirtschaftliche Arbeiter dabei zu helfen, Spargel, anderes Gemüse, Erdbeeren, Kartoffeln oder Weintrauben zu ernten. Die Erntearbeiter stammen normalerweise vor allem aus Rumänien, Polen und Bulgarien.

Einreiseverbote für ausländische Erntekräfte – „Flüchtlinge“ durften währenddessen weiterhin einreisen

Nun steht die diesjährige Spargelernte vor der Tür – die ersten Spargel stecken ihre Köpfe aus der Erde. Aber seit dem 25. März gilt jetzt ein Einreiseverbot für Erntearbeiter aus osteuropäischen Staaten. Wegen des Coronavirus seien die Maßnahmen „zwingend erforderlich, um Infektionsketten zu unterbrechen“, so das Bundesinnenministerium in Berlin. Die Frage, warum gleichzeitig alle Ausländer, die sich an der Grenze als „Asylbewerber“ ausgeben, darüber hinaus dann weiterhin ungehindert ins Land kommen durften bzw. dürfen, obwohl die meisten von ihnen nicht einmal Papiere vorweisen, beantwortet das Ministerium nicht.

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Wegen der Einreiseverbote für landwirtschaftliche Arbeitskräfte aus Osteuropa machen sich deutsche Bauern große Sorgen um ihre Ernte. Um hier zu helfen, sind aus den Reihen der CDU/CSU-Bundestagsabgeordneten bereits kurz vor dem neuen Einreiseverbot für Osteuropäer Vorschläge gekommen, die die allermeisten Landwirte CDU-Politikern wohl gar nicht mehr zugetraut hätten: Man solle, so forderte der CDU-Innenpolitiker Mathias Middelberg (Wahlkreis Osnabrück), „Flüchtlinge“ für den bezahlten „Einsatz auf den Feldern gewinnen“ (Bild-Zeitung).

Der CDU-Abgeordnete, der auch Sprecher der CDU-Landesgruppe Niedersachsen im Bundestag ist, bringt geschickt gleich auch den Integrationsgedanken ins Spiel, den eigentlich keine Partei hierzulande ablehnen kann: In dieser schwierigen Lage sollten die regionalen Jobagenturen nunmehr verstärkt die Integration anerkannter Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt vorantreiben. Ein Integrationsinstrument sei die Arbeit in der Landwirtschaft.

Nach drei Monaten ist es „Flüchtlingen“ erlaubt zu arbeiten – aber wie viele tun es?

Dann macht der Christdemokrat auf eine Tatsache aufmerksam, die unter Bundesbürgern (und auch vielen Journalisten) kaum bekannt ist. Selbst Asylbewerber, die noch keine Anerkennung haben, dürfen bereits nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland eine bezahlte Arbeit annehmen – wenn sie es nur wollen. Hunderttausende junger Menschen aus dem Ausland, die hier „Schutzsuchende“ genannt werden, hätten – angesichts der Ausgangsbeschränkungen – die Möglichkeit, sich in der frischen Luft und auf eher weiträumigeren Arbeitsarealen landwirtschaftlicher Betriebe sinnvoll zu beschäftigen.

Auf dieses „erhebliche Potenzial an Arbeitskräften sollte jetzt zurückgegriffen werden“ (Bild), hat Middelberg am 19. März vorgeschlagen, der im Bundestag als innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion fungiert. Schließlich seien viele Geflüchtete ohnehin, so meint der Abgeordnete voller Optimismus, motiviert, eine Beschäftigung aufzunehmen. „Gegenwärtig stehen in Deutschland über 600.000 Personen aus den wesentlichen Asylherkunftsländern dem Arbeitsmarkt unmittelbar zur Verfügung.“ Auch Menschen, die hierzulande in Kurzarbeit seien, könnten „grundsätzlich ohne Abzüge in der Landwirtschaft etwas dazuverdienen“.

Schon im Januar 2020 hatte der CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Throm (Heilbronn) darauf aufmerksam gemacht, dass Hunderttausende anerkannter Asylbewerber Hartz IV beziehen. Er stellte die Forderung auf, sie sollten „zur gering vergüteten Arbeit verpflichtet werden“ (Tichys Einblick).

Ebenfalls Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) meldete sich zu Wort, wusste das ZDF am 20. März zu berichten. Mit einem Schreiben an den Chef des Bundeskanzleramtes, Helge Braun: Auch Asylbewerber, Arbeitslose und Kurzarbeitende könnten ihrer Meinung nach – auf freiwilliger Basis – auf den Feldern eingesetzt werden. Dabei gehe es also nicht um „Zwangsmaßnahmen“. Sie sehe, ganz unverbesserliche Optimistin, vielmehr „eine ganz große Bereitschaft“ vieler Asylbewerber, tätig zu werden, sagte sie im Bayerischen Rundfunk. Klöckner erklärte zudem, Innenminister Horst Seehofer (CSU) habe ihr zugesagt, womöglich notwendig werdende Gesetzesmodifizierungen gemeinsam mit den Landesinnenministern rechtlich zu prüfen. Die Bild-Zeitung vom 27. März hat inzwischen gemeldet, das Innenministerium prüfe noch immer das Anliegen der Ministerin.

Selbst freiwillige Arbeitseinsätze scheinen unrealistisch – Arbeit anzuordnen, scheint unmöglich

Realistische Forderungen? Oder alles nur wieder Seifenblasen? Auf eine für ihn typische Art hat als erster SPD-Politiker Bundesarbeitsminister Hubertus Heil auf die Forderungen reagiert. Mit letztlich nichtssagenden Worten, die heutzutage für die meisten Regierenden Deutschlands exemplarisch sind. Der Bild-Zeitung sagte Heil: „Wir mobilisieren alles, was für die Ernten und die Ernährungsproduktion notwendig ist.“

Auf die Nachfrage, wie konkret das aussehen könnte, blieb der Arbeitsminister im Unklaren: „Wir sind da im Gespräch, wir mobilisieren Menschen an dem Punkt, wo es eng ist an bestimmter Stelle. (…) Da, wo das geht, muss man das auch machen.“ Dass mittlerweile etliche „Geflüchtete“ der Boulevardzeitung ausdrücklich erklärt haben, sie seien bereit, bei den Erntearbeiten zu helfen, lässt den SPD-Minister kalt.

Selbst größere Arbeitseinsätze auf freiwilliger Basis scheinen bei Lichte betrachtet aus politischen Gründen ziemlich unrealistisch. Sogar wenn sie zusätzlich bezahlt wird. Deswegen gibt es auch kaum ein Medien-Echo auf diese Vorschläge. Eine großflächige „Freiwilligen-Arbeit“ von Arbeitslosen oder „Schutzsuchenden“ würden linke Gruppierungen als Zumutung für die „Schutzsuchenden“ bewerten. Linke argwöhnen, die offizielle „Freiwilligkeit“ sei nur eine mehr oder weniger erzwungene „freiwillige Arbeit“.

Für „Geflüchtete“ gar Arbeit anzuordnen, scheint gänzlich unmöglich zu sein, auch wenn man die Arbeitenden noch zusätzlich bezahlte. Ein Sturm der medialen Entrüstung auf den vermeintlichen „Arbeitsdienst“ würde vermutlich auf dem Fuße folgen, möglicherweise wäre von rassistischer Diskriminierung die Rede.

Schon melden sich erste Stimmen zu Wort wie zum Beispiel: „Der Niedersächsische Flüchtlingsrat hat gefordert, dass Flüchtlinge in Zeiten der Corona-Krise nicht als frei verfügbare Arbeitskräfte betrachtet werden.“ (NDR)

Der Staat kann Berge versetzen – aber nur, wenn er es denn will

Auf diesem Gebiet erscheint der Staat wie gelähmt. Dass die Regierungen ansonsten sehr schnell die gesellschaftlichen Verhältnisse radikal sogar flächendeckend verändern können, erleben die Bürger gegenwärtig angesichts der Corona-Krise. Es erfolgen umwälzende Veränderungen in einem solch gravierenden Ausmaß, das man vor einem Jahr nicht einmal im Traum für möglich gehalten hätte. Wenn die Exekutiven – auf Bundes-, Landes- oder Kommunal-Ebene – nur wollen, können sie offensichtlich Berge versetzen. Sogar auf Kosten vieler Grundrechte der Bürger in der Bundesrepublik – Grundrechte, die doch vermeintlich durch das Grundgesetz verfassungsrechtlich verbürgt sind.

Es geht offiziell dabei immer darum, die Corona-Pandemie möglichst einzudämmen. Rein gar nichts wird dagegen unternommen, dass jedes Jahr immer noch rund 200.000 Zuwanderer ins Land drängen, die von den meisten Medien und der Politik noch immer als „Flüchtlinge“ subsumiert werden. Wie viele Menschen sich davon mit Corona infiziert haben? Niemand weiß es.

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