Tichys Einblick
Pyrrhussieg der Merkelianer

Rumms: Andreas Rödder wirft als Chef der CDU-Grundwertekommission hin

Der Vorsitzende der CDU-Grundsatzkommission Andreas Rödder hat tatsächlich grundsätzlich über die CDU nachgedacht. Das hat den Zorn der Partei ausgelöst - nun hat Rödder hingeworfen. Rödders vermeintliche Denk-Verfehlung hat drei Buchstaben: AfD.

IMAGO/Mauersberger
Die CDU ist nicht reich gesegnet mit intellektuellen Hochkarätern. In der sog. Intelligenzia haben die Linken, die Grünen und die „Woken“ ab 1968 nach und nach die Diskurshoheit erobert. Die Union stand und steht hier abseits am Spielfeldrand. Es ist ihr nie gelungen, via Universitäten, Medien, Kirchen und NGOs ein rechtsintellektuelles Gegengewicht zu schaffen. Einer der letzten CDU-Intellektuellen hat soeben auch noch hingeworfen: der Mainzer Neuhistoriker Andreas Rödder (56). Rödder ist seit langem CDU-Mitglied, 2011 war er in der CDU von Rheinland-Pfalz Schattenminister, seit 2022 leitet er für die CDU deren Grundwertekommission.

Rödder hatte sich kürzlich die Freiheit genommen, besorgt, aber öffentlich über den Zustand und die Zukunft der CDU nachzudenken. In einem Interview mit dem „Stern“ vom 18. September hatte er gesagt, was mittlerweile schier Gemeingut ist: Die CDU dürfe nicht länger über „Brandmauern“ gegen die AfD streiten. Denn das habe nur zur Folge, dass die AfD die CDU immer wieder vorführen könne. Letzteres hat man übrigens am 20. September spektakulär im Bundestag erlebt, als die AfD den Rücktritt bzw. die Entlassung der höchst umstrittenen und merkwürdigen Bundesinnenministerin Nancy Faeser beantragt hatte und die CDU/CSU-Fraktion brav mit der „Ampel“ dagegen, also für den Verbleib Faesers im Amt gestimmt hatte. Nicht einmal zu einer halbmutigen Stimmenthaltung hatte man sich durchringen können.

Rödder kennt den CDU-Laden gut genug. Er wusste, was folgen würde. Und es kam, wie zu erwarten: Die Merkelianer verloren die Contenance. Die CDU-Vizevorsitzende Karin Prien meinte, Rödders Äußerungen seien unakzeptabel. Man muss wissen: Prien ist das Sprachrohr des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein Daniel Günther (Spitzname: „Genosse Günther), der ostdeutschen CDU-Landesverbänden schon auch mal Offenheit, sprich: Koalitionen, zur bzw. mit der Ex-SED nahegelegt hatte. Dass sich Merkels Kurzzeit-„General“ Ruprecht Polenz ausrechenbar ebenfalls kritisch geäußert hat, haken wir als Fußnote ab. Oliver Maksan schrieb bei NZZ: „Dass Generalsekretär Carsten Linnemann das Feuer auszutreten suchte, indem er Rödders Vorstoss ebenfalls öffentlich ablehnte, zeigt vor allem eines: Merz hat den Merkel-Flügel seiner Partei nicht im Griff.“

Nun hat Rödder hingeworfen. In einem Schreiben vom Dienstag, 26. September 2023, an CDU-Chef Merz legt Rödder den Vorsitz der Grundwertekommission nieder. Das Schreiben liegt TE vor. Rödder schreibt darin: Sein „Stern“-Interview sei von mehreren Repräsentanten der CDU bewusst missinterpretiert worden; viele andere Aussagen seines Interviews seien ignoriert worden. Weiter schreibt Rödder an Merz: „Vor diesem Hintergrund haben Sie am vergangenen Freitag (gemeint ist der 22. September, TE) deutlich gemacht, dass ich mich zwischen meiner intellektuellen Freiheit und der Leitung der Grundwertekommission entscheiden müsse.“ Weiter schreibt Rödder: Die Freiheit als Bürger und Wissenschaftler sei „immer die unverhandelbare Grundlage meines politischen Engagements als Christdemokrat“ gewesen. „Daher bleibt mir keine andere Wahl, als die Leitung der Grundwertekommission niederzulegen.“ Und weiter: Statt sich mit seinen, Rödders, Argumenten auseinanderzusetzen, hätten führende CDU-Vertreter unwidersprochen persönliche Diskreditierungen und sachliche Unwahrheiten verbreitet, „einschließlich der notorischen Falschaussage, ich hätte das C aus dem Parteinamen streichen wollen.“

Wie weiter mit der CDU? Macht sie sich zur Blockpartei?

Muss man Erbarmen mit der CDU haben? Nein, aber man muss sich um Deutschland sorgen, wenn die Partei eines Konrad Adenauer und eines Helmut Kohl zum Anhängsel der „Ampel“ und zum Spielball der AfD wird. Ja, die CDU hat sich verrannt. Nicht erst jetzt, sondern spätestens ab 2011 mit Merkels autoritär durchgezogenen „alternativlosen“ (so Merkel selbst) Alleingängen: Ausstieg aus der Atomenergie, Euro- und Griechenland-Rettung, Grenzöffnung, Ehe für alle, mehrfache Demütigungen eines Friedrich Merz, Kür eines völlig ungeeigneten Kanzlerkandidaten Laschet usw.

Merkel ist und bleibt die Urmutter der AfD und vieler anderer Verirrungen, ja irreversibler Transformationen Deutschlands, die die „Ampel“ nun weiter beschreitet. Eine Distanzierung von Merkel findet in der CDU nicht statt. Nein, man adelt sie mit den höchsten Orden von NRW und Bayern. Da helfen keine vollmundigen Sprüche: „Wir wollen die AfD halbieren.“ Die CDU muss aufpassen, dass sie nicht von der AfD halbiert wird – zumindest in den „neuen“ Ländern.

Nur, wer ist nach einem Merz, der bei der nächsten Bundestagswahl fast 70 Jahre alt ist, in Sicht? Markus Söder? Der muss erst einmal in Bayern wieder Fuß fassen. Hendrik Wüst aus NRW? Dann haben wir wie bereits in NRW nicht nur Schwarz-Grün, sondern auch auf Bundesebene Grün-Grün.

Klar, Geschichte wiederholt sich nicht, und manche Vergleiche hinken. Aber man sollte sich in der CDU einmal darauf besinnen, dass schon andere große christ-demokratische Partei von der Bildfläche verschwanden. Im Jahr 1993 ereilte die italienische Democrazia Cristiana dieses Schicksal. Wenn es mit der CDU nicht weitergeht, dann hat dies andere Gründe als bei der DC; hier, bei der CDU, wäre der Grund die ideelle und programmatische Entkernung in Richtung einer linken Block- oder gar Einheitspartei. Das „E“ im Namen SED lässt grüßen. Es wäre ein Pyrrhussieg für Prien und Co. Und eine Katastrophe für Deutschland.

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