Tichys Einblick
Altbekannte Rituale

Der Ampel-Zoff ist eine inszenierte Show zur Befriedigung der eigenen Anhänger

Manch radikale Vorstellungen und romantischen Träume von einer besseren Welt scheitern an der normativen Kraft des Faktischen. Da will man wenigstens zeigen, dass man bis zum „Point of no Return“ gekämpft hat.

IMAGO / Mike Schmidt

Es gibt Rituale, die halten sich ewig. Zurzeit spielen uns die Regierungspartner in Wartestellung wieder ein solches vor. Alle drei – SPD, Grüne und FDP – wissen, was am Ende der Verhandlungen stehen wird: ein Kompromiss und damit eine neue Bundesregierung. Keine Alternative dazu ist bei klarem Verstand denkbar. Und dennoch wird zur Unterhaltung der Massen ein Wechselbad inszeniert. Man fühlt sich dabei in die sechziger und siebziger Jahre der alten Bundesrepublik zurückversetzt.

Voller Dramatik verliefen damals die Verhandlungen der großen Tarifpartner. Legendär die Nachtsitzungen von IG-Metall-Chef Otto Brenner auf Gewerkschaftsseite und dem später von RAF-Terroristen ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer. Dabei vollzog sich immer das Gleiche: Auf die „Schnupperphase“ zum Auftakt folgte eine an Polemik reiche „Konfliktphase“ mit Auszeit. Nach kurzer Unterbrechung trat dann, besonders nach außen, eine Arbeitsphase ein. Auch die nächste Schlagzeile war vorprogrammiert: „Verhandlungen vor dem Platzen! Schleyer oder Brenner – wer brüllte lauter? Jetzt Abbruch!?“ Dann – auch alles wie immer – die entscheidende Runde mit Open End.

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Die Tagesschau vermeldete in ihrer 20-Uhr-Sendung: „Vor wenigen Augenblicken, im Hotel Dreesen, direkt am Rheinufer, begann der letzte Versuch, den bisher wohl härtesten Tarifkonflikt in der Deutschen Schwerindustrie zu lösen. Die Chancen dafür stehen schlecht! Mit versteinerten Mienen betraten kurz vor acht, Brenner und Schleyer, begleitet von einer Schar ihrer jeweiligen Mitstreiter die Lobby dieses geschichtsträchtigen Hauses. Brenner zu Journalisten: Wir kennen unsere Verantwortung, aber es fällt schon schwer, mit einem Menschen wie Herrn Schleyer länger in einem Raum zu sein. Nicht weniger deutlich auch der Arbeitgeber-Boss: Man hat das Gefühl, Brenner will die Null-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Nicht mal das kleine Einmaleins scheinen die Herren Gewerkschaftler zu kennen.“ Dann schließen sich die Türen, der Show-Down kann beginnen. Der Sprecher der Tagesschau versichert, über jede weitere Entwicklung werde man im laufenden Programm informieren.

In der Regel dämmert schon der Morgen, wenn die Herren übernächtigt vor die ebenso ermatteten Journalisten treten. Die gemeinsame Erklärung beginnt mit den Worten, man habe sich unter Schmerzen auf einen Kompromiss geeinigt. Beide Seiten seien sich bewusst, dass niemand damit zufrieden sein werde. Aber das Vereinbarte gehe bis an die Schmerzgrenze, mehr sei wirklich nicht drin gewesen. Jetzt stünden harte Tage bevor, in denen die jeweiligen Erfolge ihren Mitgliedern verständlich gemacht werden müssten. Und schon rauschen die großen Limousinen davon. Jeder muss glauben, dass der berühmte Stern aus Sindelfingen auf der Karosse das Einzige im Leben bleibt, was die beiden Verhandelnden noch gemeinsam haben.

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Die Wahrheit konnte man später als Journalist zu später Stunde in weinseligen Runden mit den „Alten Haudegen“ hören. Schon seit Tagen sei man sich damals über die groben Züge des Paketes einig gewesen. Am Abend selbst war der Vertrag längst in trockenen Tüchern. Nachdem die Presse den Ort verlassen habe, habe man sich nach kurzer Zeit in den Weinkeller des Hotels zurückgezogen. Dort waren sowohl Getränke, als auch in der Regel deftige Imbisse vorbereitet. Nicht lange, dann lagen vor den gemischten Runden die Skatkarten auf dem Tisch.

Nachdem man übereingekommen war, dass man – so gegen 4:30 Uhr – „erschöpft“ nach draußen gehen wolle, verzog sich nach und nach der größte Teil auf seine Zimmer, um wenigstens „noch eine Mütze Schlaf“ zu nehmen.

Der frühe Zeitpunkt war wohlüberlegt gewählt. Kam man so doch noch als Interviewpartner in den Morgenmagazinen des Hörfunks zum Zuge. Nur wenige im Lande wussten von diesen Wahrheiten, und die meisten hätten sie wahrscheinlich auch gar nicht wissen wollen. Auf den Effekt kam es an und auf das Gefühl, etwas ganz Großes miterlebt zu haben.

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Im Ausland beneideten viele die Bundesrepublik um die mit diesem Ritual verbundene Stabilität. Historiker sind sich heute einig, dass diese Art der „Sozialpartnerschaft“, die im Konsens über die Notwendigkeit von Lösungen bestand, zu einem der Markenzeichen der Sozialen Marktwirtschaft und damit des Wiederaufbaus nach dem Krieg wurde. Erst mit dem Einzug marxistischer Überzeugungen im Laufe der siebziger Jahre, vorangetrieben von aus der „68er Bewegung“ kommenden Neo-Marxisten, änderte sich das Klima und ist auch bis heute nie wieder das alte geworden.

Dennoch ist das Ritual – wenn auch nicht in seinen Einzelheiten – im Kern geblieben. Wir erleben es jetzt gerade wieder beim Entstehen der Ampel-Koalition. Besonders die Grünen sind dem massiven Druck ihrer Basis ausgesetzt. So manch radikale Vorstellungen wie auch romantische Träume von einer besseren Welt scheitern an der normativen Kraft des Faktischen. Da will man wenigstens gezeigt haben, dass man bis zum „Point of no Return“ gekämpft habe, Wut und Tränen inbegriffen. Teflon-Scholz dürfte all das kennen und an sich abperlen lassen. Auch Lindner weiß, dass ein nochmaliges Scheitern mit ihm als Flucht ausgelegt werden würde. Besonders bei den Grünen kommt noch hinzu, dass nach langer Unterbrechung endlich wieder die süßen Töpfe der Macht in Reichweite sind.

Nur zu lange sollten sich die Damen und Herren nicht Zeit lassen. Zu groß sind die Folgeprobleme der Coronapolitik – vom Explodieren nicht nur der Energiepreise bis hin zu beunruhigenden außenpolitischen Entwicklungen –, als dass Deutschland ohne legitimierte Regierung weiter vor sich hin verhandeln kann!

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