Tichys Einblick
Vorwort zum Sonntag

In der Falle der Konformität

In immer mehr Bereichen steigt der Druck, sich der Meinung der Mehrheit oder Mächtigen zu fügen. Kurzfristig lohnt sich das, aber langfristig steckt eine Gesellschaft in der Falle, wenn Konformität den fruchtbaren Austausch und den Fortschritt in einem offenen Prozess von Versuch und Irrtum unterbindet.

IMAGO / Michael Weber

Lisa kommt aus der Schule und sagt energisch: „Mama, ich will mich unbedingt impfen lassen. Ich will dazugehören.“ Die Teenagerin hat zwar wenig Angst vor der Covid-Erkrankung. Aber sie möchte auf keinen Fall zur Außenseiterin werden. Alle ihre Freundinnen lassen sich impfen. Und die Klassenlehrerin befürwortet das auch, denn sie möchte ihre Schüler unbedingt vor „Long-Covid“ schützen.
Lisa spürt: Wenn ich mich diesem Druck füge, dann habe ich erhebliche Vorteile; dann bin ich mit meinem Verhalten auf der richtigen Seite; dann werde ich gesellschaftlich belohnt.

Lisas Mutter ist zurückhaltend gegenüber dieser Massenimpfung von sieben Milliarden Menschen mit einer neu entwickelten Impfstoffart. „Schon jetzt hat die Impfung ungewollte Nebenwirkungen. Und die Langzeitfolgen gerade auch für junge Menschen können wir überhaupt noch nicht abschätzen.“ Nur ungern sieht sie ihre Tochter als „Labormaus“ in einem riesigen lukrativen Polit-Pharma-Feldversuch. Doch zum Widerstand fehlt ihr die Kraft. Sie ist alleinerziehend und immer noch im nervenaufreibenden Scheidungsprozess mit ihrem Ex-Mann. Da hat sie andere Sorgen. Und wer ist schon gerne ein Widerstandskämpfer gegen eine große Mehrheit, die effektiv an den Hebeln der Macht sitzt? Und falls sich am Ende die Corona-Impfung doch als großer Erfolg herausstellen sollte – dann würde sie ihr Gesicht verlieren, wenn sie sich jetzt als Corona-Impfskeptikerin aufspielen würde.

Dieses Erlebnis mit Lisa geht mir nach. Sicherlich, Konformitätsdruck gehört zu jedem Leben dazu. Wir sind keine Robinson-Crusoes, die auf ihrer Insel als Einzelgänger ihr eigenes Ding machen können. Täglich müssen wir uns in Familie und Nachbarschaft und Gesellschaft mit anderen Meinungen arrangieren und uns dabei oft genug an Mehrheitsmeinungen anpassen.

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Aber was ist das für ein Konformitätsdruck, durch den die 13-jährige Lisa zu einer Impfung gedrängt wird, deren potentielle Schäden statistisch höher sein könnten als der potentielle Nutzen? Hat hier der Konformitätsdruck nicht eine Eigendynamik entwickelt, die irrational geworden ist?
Und was ist das für eine Schule, in der Lisa lernt, dass sie als vollgültiges Glied nur zur Gemeinschaft gehört, wenn sie dem Konformitätsdruck nachgibt? Kann eine solche rabiate Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden überhaupt die Geborgenheit schenken, die Lisa braucht, um lebendig und kraftvoll ihre individuelle Persönlichkeit entwickeln zu können?
Oder wird hier unter dem Namen des Gesundheitsschutzes und der „Solidarität“ ein Gesellschaftsmodell eingeübt, wo die Selbstaufgabe der eigenen individuellen Entscheidung zugunsten einer gesellschaftlichen Gleichschaltung verlangt wird?

Darüber hinaus finde ich es fatal, wenn in immer mehr politischen Bereichen der Konformitätsdruck erhöht wird. Themen wie die Sinnhaftigkeit des Euro und der jetzigen EU, Migration, Klimarettung, CO2-Vermeidung, Kohle- und Atomkraft, Genderideologie, nationale Eigeninteressen, freie Marktwirtschaft, AfD, Covid-Pandemie, Covid-Impfung, Viktor Orban & Boris Johnson, Kritik am Islam, GEZ-Zwangsmedien – um nur einige heiße Eisen zu nennen – bei immer mehr Themen wird eine offene und kontroverse Diskussion auf Augenhöhe schwieriger. Doch je mehr Konformität, umso weniger Meinungsfreiheit.

Unser Grundgesetz dagegen versucht, die vielfältigen Interessen der Gemeinschaft und die individuellen vielfältigen Interessen diffizil und gleichwertig auszutarieren.

Doch im Augenblick scheint sich ein Paradigmenwechsel in unserem Land zu vollziehen hin zu einem neuen Politikstil: Eine deutliche Mehrheit weiß sehr genau, was das Gute und Richtige ist, etwa die Durchimpfung der ganzen Welt. Und dann wird dieses Gute in einer breitangelegten Kampagne propagiert und mit mehr oder weniger sanften Druck durchgesetzt. Selbst die Auslegung des Grundgesetzes wird diesem neuen Politikstil angepasst.

Und wehe, jemand wagt es, das eindeutig Gute in Frage zu stellen. Der läuft Gefahr, stigmatisiert, sanktioniert oder gar aussortiert zu werden. Die Jugendliche Lisa hat dafür ein sehr feines Gespür und die gesellschaftliche Lage richtig erfasst.

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Doch insgesamt läuft unsere Gesellschaft damit in die „Falle der Konformität“ hinein. Diese Falle hat einen tollen Köder: KURZFRISTIG hast du große Vorteile, wenn du dich der Konformität anpasst; auch das hat Lisa richtig erkannt. Doch LANGFRISTIG gerät unsere ganze Gesellschaft in eine Falle, wenn Konformität das freie Denken und Reden abwürgt, den fruchtbaren Austausch behindert und den Fortschritt in einem offenen Prozess von Versuch und Irrtum unterbindet.

Zudem fallen bei jedem Konformitätsthema Abweichler hinten runter. Andere haben eine Faust in der Tasche, weil sie sich nicht trauen, ihre Meinung zu sagen. Wieder andere benehmen sich unerhört, weil ihre Meinung unerhört bleibt. Darum gerät das gesellschaftliche Miteinander langsam aber sicher aus den Fugen, wenn die Falle der Konformität zugeschnappt hat.

Ich mag Lisa. Und ich kann ihre Ergebung in den Impf-Konformismus unserer Gesellschaft nachvollziehen. Dennoch hoffe ich, dass immer mehr Menschen den autoritären neuen Politikstil erkennen und mit dem Grundgesetz in Kopf und Herz das offene Gespräch wagen; ob bei der Impffrage oder bei den anderen Themen, wo „Staatswahrheiten“ die Diskussion scheinbar beendet haben. Wir brauchen mutige Menschen, die die Debattenräume erweitern, damit Freiheit und das Bedürfnis dazuzugehören wieder zu einem ausgewogenen Verhältnis finden. In solcher grundgesetzlichen Hochachtung der Vielfalt könnte auch die Mutter von Lisa mit ihrer Meinung niemals ihr Gesicht verlieren, weil selbst die sich als falsch herausstellenden Ansichten die Diskussion und die Wahrheitsfindung bereichert haben.

„In Demut achte einer den anderen höher als sich selbst“ (der Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi; Phil 2,3).

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