Tichys Einblick
Moralismus und realitätsferne Naturromantik

Luisa Neubauers nachchristliche Predigt im Berliner Dom

Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer durfte im Berliner Dom predigen. Es ging ihr dabei tatsächlich um Religion. Aber nicht um die christliche, sondern um eine neue, mit neuen Dogmen.

IMAGO / Sabine Gudath

Am 28.2.2021 durfte die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer die Predigt im Berliner Dom halten; in einem evangelischen Gottesdienst zu dem Jesuswort „sorgt nicht um euer Leben“ (Matthäus 6,25).

Diese Chance, die Fridays-For-Future-Bewegung in dieser besonderen Kirche sakralisieren zu dürfen, hat sich die Hauptberuflich-um-die-ganze-Welt-Sorgende nicht nehmen lassen. So hat Frau Neubauer mit ihrer frischen und sympathischen Art eine rhetorisch ausgefeilte und lebendige Rede vorgetragen, die inhaltlich die Karten eines simplen grünen Populismus offen auf den Tisch legt: Menschen in den westlichen Industrienationen zerstören rücksichtslos diesen Planeten. Das könne nicht genug Sorge, Angst, Wut und Schuldgefühle machen.

Doch es gäbe einen Ausweg aus dieser tödlichen Katastrophe: Wir Menschen müssten einfach nur Gier, Neid und Besitzdenken ablegen; dann könnten wir uns selber erlösen durch ökologische Vorsorge und soziale Fürsorge.

„Gott wird uns nicht retten. Das werden wir tun. Weil wir es wagen, die Schwere der Krisenbewältigung anzunehmen. Weil wir verstanden haben…
Wir werden uns retten, weil wir nicht den Glauben verlieren, den Glauben an eine bessere, gerechtere Welt, die möglich ist, solange wir für sie kämpfen. Sorgt euch nicht! Amen.“

Allein schon dieser vollmundige Schlussakkord verdeutlicht:
Luisa Neubauer will nicht nur den Umweltschutz oder die CO2-Bilanz verbessern.
Hier geht es um Mehr.
Hier geht es ums Ganze.
Hier geht es um Erlösung und Rettung.
Hier geht es um Glauben, um den Glauben an eine neue Weltordnung.
Hier geht es um Religion.

Wenn es aber um Religion geht, dann muss sich Frau Neubauer allerdings auch der Religionskritik stellen. Und so kritisiere ich drei Dogmen der Neubauerschen grünen Religion:

Erstens: Das Dogma der Kultivierung von Angst und Schuldgefühlen.

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Luisa Neubauer spielt emotional und dramatisch auf dem Klavier der Angst und Schuldgefühle: Durch die ökologische Zerstörung stehe die Welt am Abgrund und brächte den Tod für immer mehr Menschen. Daran seien nicht die ärmeren Länder schuld; selbst deren hohe Geburtenraten böten keinen Grund zur Sorge, denn „der Boden, der auch 10 Milliarden Menschen ernähren könnte, ist da, wenn wir auf ihn aufpassen“. Schuld an der Katastrophe hätten die Menschen aus den Industriestaaten, die mit ihrer Wirtschaftsweise als „hochroutinierte Krisenantreiber“ den Untergang befeuerten. „Manchmal frage ich mich, wie wir über die Kontinente hinweg uns überhaupt noch in die Augen schauen können, so groß ist die Schuld.“

Verglichen damit hat Jesus Christus keine einseitigen Sündenböcke gezüchtet. Jesus Christus hat Schuld vergeben. Damit hat er Menschen über innere und äußere Kontinententfernungen versöhnlich zusammengebracht. Ich glaube, dass er damit mehr für eine bessere und gerechtere Welt getan hat, als das undifferenzierte Instrumentalisieren von Schuld und Schuldgefühlen zu eigenen politischen Zwecken.

Jesus Christus hat auch keine Ängste verstärkt, um sie dann moralisch im eigenen Sinne bewirtschaften zu können. Statt dessen hat Jesus Christus Ängste mithilfe der Geborgenheit in seinem „himmlischen Vater“ gelindert (Matthäus 6,26). Auch damit hat Jesus m.E. mehr für eine bessere und rationalere Welt getan, als das jahrzehntelange Panikschieben mithilfe einer 5-vor-12-Ideologie in Dauerschleife.

Zweitens: Das Dogma von der unbefleckten Natur

Frau Neubauer preist die Natur in höchsten Tönen: „Es ist der Planet, die Schöpfung, die alles bereitstellt, was wir brauchen. Wir müssen uns nicht sorgen, denn es ist alles da, vorausgesetzt wir gehen achtsam damit um …“

Frau Neubauer scheint keinen evolutionären „Kampf ums Dasein“ zu kennen. Ein Kampf, der bei 10 Milliarden Menschen schon etwas heftiger ausfallen könnte. In ihrer Naturromantik würden die Hühner den Fuchs wohl mit folgenden Worten begrüßen: „Es ist alles bereitgestellt, es ist alles da, was du brauchst. Gehe nur bitte achtsam mit uns um.“

Aktivistin auf der Kanzel
Luisa Neubauer im Berliner Dom: Die Gottesaustreibung
Und weil die Schöpfung bei Frau Neubauer nicht durch einen substantiellen Riss gestört ist – die Christen nennen das „Sünde“ –, darum kann Frau Neubauer die gegenwärtige Corona-Pandemie auf keinen Fall der Natur zuordnen. Corona ist für Frau Neubauer allein die Folge eines moralischen Versagens der Menschen: „Man hat gewarnt, dass die Abholzung, die ökologische Zerstörung, das Räubern bis in die letzten Ecken der Wildnis, dass das Folgen haben würde. Wir selbst haben die Welt geschaffen, die die Übertragung von Infektionskrankheiten zwischen Menschen und Tieren so wahrscheinlich macht.“

Das ist realitätsferne Naturromantik und Hypermoralisierung in Höchstform!

Drittens: Das Dogma der Erlösung durch Moral

Frau Neubauer hat auch ein hochromantisches Bild von den Menschen, „die im Herzen gut sind, Gutes wollen, wenn man sie lässt.“ Und wenn einige Menschen doch durch Gier, Neid und Besitzenwollen zerstörerische Seiten an den Tag legen, dann sei eine Veränderung zum Gutmenschentum mit ein bisschen Ehrlichkeit und Tiefsinn möglich: „In dem Augenblick, in dem wir innehalten, so tief und ehrlich, dann – spätestens dann geht es nicht mehr auf“, spätestens dann setzten wir alles daran, eine „genuin bessere und gerechtere Welt zu schaffen“, um im „Hier und Jetzt, darauf hinzuwirken, dass …. wir ein Umfeld schaffen, das Sorgenfreiheit begünstigt.“

Weltrettung und Sorgenfreiheit durch den hypermoralischen Gutmenschen – schöne neue Welt.

Ich dagegen neige mit der Bibel zu weniger vollmundigen politischen Strömungen, die nicht am neuen Über-Menschen basteln, der ohne Neid, Gier und Besitzdenken ist.

Ich neige zu weniger vollmundigen politischen Strömungen, die wissen, dass es keine Moral ohne Schattenseiten gibt, und dass darum Moral niemals zur Weltrettung und Sorgenfreiheit führen kann.

Sicherlich ist es schwer, gegen Hypermoralismus aufzustehen, denn damit kommt man sogleich in die unmoralische Ecke mit dem kalten Herz. Aber lieber dort sitzen, als mit einem Hypermoralismus das Christentum und die Demokratie und die Wissenschaft und die Kunst zu Moralagenturen zu pervertieren.

Neubauer predigt im Berliner Dom
Die Heilige Luisa und die Sünde des Hochmuts
Ich liebe die Natur. Darum mag ich alle Menschen und Gruppierungen, die sich für unsere Umwelt mit finanzierbaren und effektiven Vorschlägen einbringen. Aber ich mag es nicht, wenn mir mit dem Umweltschutz eine grüne Religion untergejubelt wird. In meinen Augen ist es darum naiv, wenn die evangelische Kirche in Berlin unkritisch auf diese Religion des Hypermoralismus einschwenkt und damit ihren eigenen evangelischen Markenkern verrät.

PS: Erlauben sie mir bitte noch eine Nachtrag zu Frau Neubauers „Predigt“ im Berliner Dom: „Jesus Christus“ wird kein einziges Mal erwähnt, obwohl von ihm ein Bibelwort ausgelegt wurde. Und das sind die zwei Sätze von Frau Neubauer, in denen „Gott“ vorkommt: „Wieso würden wir uns nicht von der Gewissheit treiben lassen, dass Gott uns alles mitgegeben hat, was wir brauchen, um uns selber zu retten.“ Und: „Gott wird uns nicht retten. Das werden wir tun.“

Sie merken, Frau Neubauer ist gegenüber Gott eine sehr selbstbewusste junge Frau!

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