Tichys Einblick
Stephans Spitzen: 

Das Theater der Kandidaten

Wer Deutschlands Kanzlerkandidaten sind, muss eigentlich nicht besonders interessieren. Um das Wohl des Landes geht es jedenfalls nicht. Für die Normalen im Lande bedeutet ein Erfolg der Grünen sicher mehr Last als Lust, da mag Frau Baerbock noch so nett lächeln.

IMAGO / snapshot

Was mich derzeit eigentlich überhaupt nicht interessiert: Wer Deutschlands next Topmodel oder next Kanzlerinnenkandidat wird. Wo es keine echte Alternative gibt, gibt es auch keine Wahl.  

Baerbock kam durch, diskret eingetütet und ganz ohne vorherigen Theaterdonner, wie ihn die beiden Männer veranstalteten. Das ist ja heute schon was. Und ja, Annalena Baerbock wirkt weit professioneller als der immer etwas verschnarcht daherwuschelnde Habeck. Was ihre Qualifikation betrifft? Das beantwortete sie am Montag mit „Ja, ich war noch nie Kanzlerin, auch noch nie Ministerin. Ich trete an für Erneuerung – für den Status Quo stehen andere.“ Erneuerung, jawohl, Kompetenz kann ja jeder, wie wir bereits bei AKK und UvdL gesehen haben.

Wunsch für Wirklichkeit
Baerbock ist die grüne Kanzlerkandidatin – und sonst keine Überraschungen
Und noch eins: Baerbock spricht sogar Englisch, wie bei Gabor Steingart bewundernd vermerkt wird, der die Entscheidung „historisch“ nennt. Sie rede „mutig“ über Europa und stupse Habeck unter dem Tisch an, wenn er zuviel redet. Toll! Und so wird die grüne Frontfrau mit Inbrunst hochgeschrieben und gehypt, als ob so wenig schon genügte fürs Kanzlern. Was sind wir bescheiden geworden. (Kleine Anmerkung: das richtet sich weniger gegen Baerbock als gegen derart frauenverachtende journalistische Plattheiten).

In den Jubelruf „Eine Frau, eine Frau“ vermag ich erst recht nicht auszubrechen – hatten wir das nicht bereits, zu unserem Elend? Wie sagte noch Alice Schwarzer einst: „Frau sein allein genügt nicht“. So ist es. Ein bisschen mehr Standing wäre schon nett. 

Vor allem aber ist sie natürlich keine Alternative zu Angela Merkel, die ja schon grün genug ist. „Die Grünen“, schreibt der Chefredakteur der „Welt“, Ulf Poschardt, „sind das Sprachrohr und das Machtinstrument jener bürgerlichen Halbambitionierten, die sich in den öffentlichen Dienst flüchten oder in jene öffentlich finanzierten Institute, in denen dem Rest der Gesellchaft ihre eigene Lebensart als Ideal nähergebracht werden soll. Es ist ein intolerantens, humorfreies Milieu, dem die Moral stets mehr bedeutet als Freiheit oder Vernunft.“ 

Für die Normalen im Lande bedeutet ein Erfolg der Grünen mehr Last als Lust, da mag Frau Baerbock noch so nett lächeln. Politisch wäre sie Merkel in jung. Also keine Alternative für alle jene, die endlich von Merkels desaströser Politik befreit sein wollen. Merkel hat mit ihrer Schwächung des Industriestandorts Deutschland grünen Zukunftswünschen den Weg bereitet, dem würde eine Regierung unter Kanzlerin Baerbock den Rest geben. Übrigens: Die Hilfstruppen im Familienministerium und im Sozialministerium hat Merkel bereits vorausschauend verstärkt. Unter Grün würde es noch mehr Betreuungsbedarf widerspenstiger Bürger geben – und noch mehr Bedürftige, die werden ja soeben massenhaft erzeugt.

In der Sackgasse der Identitätspolitik
Wenn Grüne Häuptlinge werden wollen
Was die beiden Männer betrifft, die sich um Merkels Erbschaft zanken: Achje. Dem Land täte angesichts der jetzigen Krise und dem kommenden Kladderadatsch ein wenig mehr belastbares Kanzlermaterial not. Interessant wäre dieses Kämpfchen nur gewesen, wenn einer der beiden wenigstens den Dolch im Gewande führte. Doch danach sieht es nicht aus. Die Männer der C-Parteien sind längst handzahm, um es nicht etwas drastischer mit einem Begriff aus der Hühnerwelt zu benennen.

Um das Schicksal des Landes geht es ganz gewiss nicht. Das interessiert Politiker heutzutage nicht die Bohne.

Was also soll das Theater um die Kandidatenkür? Den Bürger ablenken? Ihn belustigen oder gar entschädigen für den alltäglichen Frust, den ihm das politische Panikorchester beschert? Keiner der „Kandidaten“ hat sich offen gegen eine Selbstermächtigung der Regierung mithilfe des sogenannten „Infektionsschutzgesetzes“ geäußert oder gegen die Aushöhlung des Föderalismus, jenem Gegengewicht gegen zentralstaatliche Ermächtigungen, aus gutem Grund nach 1945 eingeführt. Warum auch? So a bisserl Ermächtigung könnte sich schließlich auch in Zukunft noch als nützlich erweisen: Wenn niemand mit fleißigem Kamellewerfen noch darüber hinweggetäuscht werden kann, dass ein einst produktives Land erfolgreich in den Ruin getrieben wurde.