Tichys Einblick
Und keine EU

Wortgeklingel statt Politik. Die USA und die Türkei

Die Botschaft ist klar. Nicht nur für die Kurden. Begeht ein NATO-Partner einen Bruch internationalen Völkerrechts, so schauen die USA weg.

US Secretary of Defense Mark Esper (2nd L), US President Donald Trump, Chairman of the Joint Chiefs of Staff Army General Mark A. Milley (R) and others wait for a meeting with senior military leaders in the Cabinet Room of the White House in Washington DC on October 7, 2019.

Brendan Smialowski /AFP/Getty Images

“We have not abandoned the Kurds. Let me be clear about that.” (Wir haben die Kurden nicht im Stich gelassen. Lassen Sie mich das unmissverständlich klarstellen).
Der das am Freitag sagte, ist US-Verteidigungsminister Mark Esper. Schöne Worte. Und so falsch. Denn bereits am Donnerstag sprach Esper mit seinem türkischen Kollegen Hulusi Akar. Zwar habe Esper gedrängt, den türkischen Überfall auf die kurdischen Gebiete in Syrien zu beenden in der Hoffnung, „einen gemeinsamen Weg zu finden, die Situation zu deeskalieren, bevor sie irreparabel wird“. Doch weiß der Verwaltungsfachmann aus Pennsylvania überhaupt, mit wem er dort gesprochen hat? Ist ihm bewusst, dass Akars Boss nicht das geringste Interesse an einer Deeskalation hat?

Nichts als Wortgeklingel also auf dem lächerlichen Niveau der bundesdeutschen Politik.

Denn während Esper mit Worthülsen den kaum noch zu reparierenden Ruf der USA im Nahen Osten irgendwie zu retten sucht, hat sein zuständiger Militärführer längst die Prioritäten klargestellt. General Mark Milley klingelte auch ein wenig im Sinn seines Vorgesetzten, als er von einer „Botschaft“ an die Türkei sprach, die besage: „Last uns zum Status Quo zurückkehren, als wir gemeinsam die Sicherheitszone kontrollierten“. Das war der Zustand, bevor Donald Trump den Rückzug der US-Einheiten vertwitterte. Und er missfiel Erdogan über die Maßen, denn er hatte sichergestellt, dass türkische Armeeeinheiten nebst ihren radikalislamischen Verbündeten eben nicht in das selbstverwaltete Kurdengebiet vordringen konnten.

Offenbarungseid
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Vielleicht ein Missverständnis? Konnten die USA nicht ahnen, dass Islamfaschist Erdogan diese einmalige Chance sofort nutzen würde, um seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die östlichen Kurdengebiete auszudehnen?
Selbstverständlich nicht! Die USA waren über die Absichten Erdogans zu jedem Zeitpunkt bestens informiert. Sie konnten und mussten wissen: Fällt der US-Schutz für die syrischen Einheiten von SDF und YPG, wird Erdogan nicht eine Sekunde zögern. Und genau deshalb räumte Milley ein, er habe in den vergangenen Tage zahlreiche Gespräche mit seinem tükischen „Counterpart“ geführt – die Standorte von US-Einheiten in Rojava seien dem türkischen Militär bereits längst mitgeteilt worden. Auch habe es bei den Gesprächen nicht das geringste Anzeichen dafür gegeben, dass die Türkei ihre Aktion stoppen werde.

Erdogans Invasionsarmee wusste also schon vor Beginn der „Offensive Friedensquelle“, wohin ihre Raketen zielen durften – und wo die Militärwalze einen Bogen zu machen hätte.

Die USA haben die Kurden im Stich gelassen. Esper hat gelogen. Denn Milley machte auch klar, dass die USA keinen Weg sehen, um die syrischen Kurden vor den Türken zu schützen. Die einzige Möglichkeit sei die Einrichtung einer Sicherheitszone – doch dafür benötige man Bodentruppen. Die aber seien abgezogen – das sei ein „fait accompli“, eine nicht umkehrbare Tatsache. Was derzeit noch in Syrien stehe, sei zur Selbstverteidigung berechtigt – nicht mehr. Auch Luftunterstützung für die Kurden schloss Milley aus: Es gäbe keine „authority“, die dem US-Militär die Befugnis geben könne, Operationen zur Unterstützung der Kurden durchzuführen. Nicht gegen die Türkei, „a 70-year NATO ally“.

Die Botschaft ist klar. Nicht nur für die Kurden. Begeht ein NATO-Partner einen Bruch internationalen Völkerrechts, so schauen die USA weg. Blut ist dicker als Wasser, scheint das Motto – auch wenn es das Blut an den Händen von Partnern ist, die ihre Hände in jenes von ihnen niedergemetzelter Opfer tauchen.

Erdogan spielt mit dem Westen

Erdogan kann sich zurücklehnen. Trump und die USA haben seine Invasion abgesegnet. Die Sanktions-Scharmützel, die US-Finanzminister Mnuchin vollmundig mit Unterstützung Trumps andeutet – bestenfalls Schaumgold. Kleister für die Augen der entsetzten Partner. Erdogan wird es nicht schrecken, wenn seine Privatkonten in den USA vorübergehend eingefroren werden. Und die von Trump angedrohte Vernichtung der Wirtschaft der Türkei? Nicht doch! Erdogan wird demnächst wieder ein paar neue Waffen brauchen – und dieses Mal in den USA bestellen. Die wird er bezahlen müssen – und ohne funktionierende Wirtschaft stünde er mit leeren Taschen da. Also auch hier nichts als Wortgeklingel.

Da finden nun plötzlich die Worthülsenproduzenten der USA, der NATO und der EU unerwartet wieder zusammen. Leere Worte statt Taten. NATO-Stoltenberg könnte – ohnehin längst überfällig – den Türkei-Status einfrieren. Quasi eine Mitgliedschaft in Anwartschaft für Zeiten, in denen die Türkei wieder den NATO-Statuten entsprechen wird (was sie – zugegeben – fast noch nie wirklich getan hat). Noch mehr leere Worte bei der EU. Statt endlich den Beitrittsstatus der Türkei zu canceln, kindergartengerechte Kuschelpädagogik mit leicht erhobenem Zeigefinger. Der sultaneske Imperator hingegen holt einmal mehr die Keule raus, erwartet von den Europäern, dass sie in seinem Sinne Lügen verbreiten. Sie tun es – und nur ein paar wenige wie FDP-EP-Lambsdorff wagen es, von „Invasion“ zu sprechen.

Erdogan hingegen droht: Sollte die EU es wagen, diesen Begriff zu verwenden, würde er rund 3,5 Millionen „Flüchtlinge“ aus Syrien nach Europa ziehen lassen.

Immerhin zeigt er nun jedem, was tatsächlich von jenem glorreich gefeierten, Merkel‘schen „Flüchtlingsdeal“ zu halten ist – nämlich nullkommanichts. Also kuscht die EU – dabei müsste sie einfach nur wach werden und dem Muslimbruder in dessen Sprache antworten. 3,5 Millionen Syrer in die EU? Einverstanden – im Gegenzug könnte allein die Bundrepublik 3,5 Millionen türkische Heimkehrer anbieten. Frankreich hat weitere eine Million im Gepäck. Und über den Rest der EU verstreut sind es noch einmal weit mehr als eine Million.

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Geht nicht? Doch, geht. Dazu muss man nicht einmal Politik auf dem Niveau Erdogans betreiben. Denn was Bundesregierung und türkischer Führung offenbar gleichermaßen entfallen ist: Das in den Sechzigerjahren als Hilfsangebot für eine zusammengebrochene Wirtschaft der Türkei eingerichtete Anwerbeabkommen – für das nicht nur der damalige Präsident der heutigen Bundesarbeitsagentur keinerlei Veranlassung gesehen hatte – wurde nie aufgehoben. Es verlor lediglich seine Wirkkraft so lange, wie die Türkei offiziell Mitgliedsaspirant ist. Danach aber ist nach längstens zwei Jahren Arbeitsaufenthalt Schluss für Nicht-EU-Bürger.

Beendet die EU den Anwartstatus einer in Nichts zur EU passenden Türkei, verlören de jure schlagartig all jene türkischen Staatsbürger, die sich auf Grundlage dieser Situation in der Bundesrepublik befinden, ihren Aufenthaltsanspruch. Weshalb – dieses nur am Rande – sich vor allem die Bundesregierung so schwer tut mit der Konsequenz, der Türkei endlich den Stuhl vor die Tür zu setzen.

Erdogan wäre allein schon mit zwei Millionen Heimkehrern gänzlich überfordert – und das sollte ihm vielleicht einmal deutlich gemacht werden.

Doch statt auf den groben Klotz einen groben Keil zu setzen – wieder einmal Worthülsen und Kuschen und Abtauchen. Statt in der Ägäis einen deutlich sichtbaren Abwehrwall gegen die angedrohte Flüchtlingsinvasion einzurichten, werden weiterhin die professionellen Schlepperdienste der NGO-Schiffer unterstützt. Statt Erdogan die durch nichts mehr zu rechtsfertigenden EU-Hilfen zu streichen, werden Flüchtlingspaktmilliarden überwiesen. Statt die Heimreise der türkischen Gastarbeiter anzudrohen, Zittern vor Erdogans Syrern.

Der wiederum lässt vermelden, „seine“ Türkei werde sich durch nichts davon abbringen lassen, die „Terroristen“ zu vernichten. Meinte er das tatsächlich ernst, so müsste er als erstes sich selbst nebst seiner AKP-Führung von den Klippen bei Gallipoli ins Meer stürzen.

Wäre es nicht so traurig, weil der Umgang mit der Türkei einmal mehr ein Offenbarungseid US-europäischer Politik ist, könnte man sich ob der Lächerlichkeit des Agierens von US-Administration, NATO-Führung und EU-Nomenklatura kaum noch den Bauch halten. Die Opfer dieser Lächerlichkeit aber zahlen mit ihrem eigenen Blut. Verraten und verkauft. Wieder einmal. Wie schon 1923 in Lausanne, als den Kurden der bereits zugesagte, unabhängige Staat über ihre Köpfe hinweg durch die Vertragsmächte gestohlen wurde. Geschichte wiederholt sich. Und sie entlarvt einmal mehr die Lügengebäude von einer schönen, humanen neuen Welt, mit denen die Herrschenden die von ihnen Beherrschten immer wieder zu verzaubern suchen.

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