Tichys Einblick
Was will er?

Seehofer schürt Angst und Verunsicherung – bedroht Freiheit und Demokratie

Welchen Zweck verfolgt Seehofer, indem er den definitiv falschen Eindruck erzeugt, Rechtsextremisten wollten mit Todeslisten „perfide Einschüchterungsversuche“ unternehmen?

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Gibt es sie – oder gibt es sie nicht? Jüngst berichteten wir über ein Schreiben des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern an Kommunalpolitiker, deren Namen sich auf Listen einer Gruppe „Nordkreuz“ gefunden hatten. „Nordkreuz“ wird von den Sicherheitskräften dem rechtsextremen Umfeld zugeordnet und gilt als sogenannte „Prepper“Gruppe – Menschen, die sich in Erwartung bevorstehender Katastrophen entsprechend ihren Ängsten oder Vorstellungen mit Utensilien unterschiedlichster Art versorgen, welche im Krisenfalle das Überleben sichern sollen. „Prepper“ leitet sich insofern ab vom englischen „to be prepared“ – vorbereitet sein.

Zwei der Nordkreuzler befinden sich gegenwärtig unter Anklage – Vorwurf: Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat. Im Zusammenhang mit dieser Anklage kamen jene Listen ins Gespräch, die in der medialen Öffentlichkeit schnell zu „Feindes“- oder „Todeslisten“ stilisiert wurden, sollen sie doch, so die Darstellung , dem Zweck gedient haben, die dort verzeichneten Personen im erwarteten Krisenfall zu töten.

Noch einmal: Es gibt keine Todeslisten

Doch genau dieser Darstellung widersprach das Bundeskriminalamt in einem Schreiben, welches der Chef des LKA-MV, Ingolf Mager, mit Datum 22. 07. 2019 an besagte Personen verschickte. Mager zitiert darin das BKA mit einem Satz, der offensichtlich nicht nur die besagten „Nordkreuz“- Listen betrifft, sondern für – wörtlich – „alle dem Bundeskriminalamt vorliegenden Informationssammlungen“ gilt. Demnach sei für die in diesen Listen genannten Personen zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr ausgegangen und auch für die Zukunft werde eine solche nicht erwartet.
Unmissverständlich formuliert das BKA: „Der derzeit in der medialen und öffentlichen Diskussion verbreitete Begriff der Feindes- oder gar Todesliste ist daher konsequent zurückzuweisen.“

Doch Seehofer beharrt darauf

Das war am Montag der vierten Juliwoche. Auch am Freitag unterstrich ein BKA-Sprecher, nun gegenüber dem Regionalblatt „Nordkurier“: „Nach Sichtung und Bewertung dieser Informationssammlungen haben sich bisher grundsätzlich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Betroffenen einer konkreten Gefährdung unterliegen.“ Auch hier ist auf die Wortwahl zu achten: „Grundsätzlich“ – also generell nicht und in keiner Weise.

Eigentlich hätte es damit sein Bewenden haben müssen hinsichtlich jener hochstilisierten Todeslisten. Hatte es aber nicht. So zitierte Johannes Leithäuser, Berlin-Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, am Freitag ebenfalls Passagen aus dem LKA-Schreiben einschließlich des Hinweises auf jene „Feindes- oder Todeslisten“ – und bringt dazu ungerührt und ohne jedes Hinterfragen den Bundeminister des Inneren mit der Aussage, bei diesen „sogenannten Feindeslisten“ handele es sich um einen „perfiden Einschüchterungsversuch, vor dem man nicht zurückweichen“ dürfe. „Namenslisten“, so wird Horst Seehofer weiter zitiert, „die Angst und Verunsicherung schüren sollen, bedrohen die Freiheit und damit unsere Demokratie“.

Wer bedroht was?

Das klingt auf den ersten Hör doch ganz plausibel – oder doch nicht? Denn nicht nur, dass Seehofer entgegen der ausdrücklichen Aufforderung und Feststellung des BKA an der Bezeichnung „Feindesliste“ und der vorgeblichen Bedrohung festhält und damit verdeutlicht, dass es offensichtlich keine Abstimmung zwischen seinem Haus und dem des Bundeskriminalamtes gibt – die besagten „Namenslisten“ waren auch zu keinem Zeitpunkt zu jenem Zweck angelegt, den ihnen der Bundesminister nun gezielt andichtet. Denn gleich, ob wir nun von Namens-, Feindes- oder Todeslisten oder von Informationssammlungen sprechen: Die Sammlung, die Ermittler bei der Gruppe gefunden haben, diente eben ausdrücklich und definitiv nicht dem Ziel „Angst und Verunsicherung schüren“ zu sollen. Das nämlich setzte voraus, dass die Gruppe selbst ihre Datensammlung, die noch dazu aus irgendwelchen Online-Shops abgezweigt worden sein soll, mit entsprechend martialischer Überschrift in die Öffentlichkeit lanciert hätte.

Das aber haben die Nordkreuzler nicht getan. Ganz im Gegenteil: Ihre „Informationssammlung“ (so BKA-Sprech) lag gut versteckt in irgendwelchen Datenordnern auf irgendwelchen privaten PCs. Ohne die Ermittlungsarbeit von LKA und BKA wüsste bis heute niemand, dass es sie überhaupt jemals gab.

Und damit wird es nun tatsächlich perfide. Denn wenn solche „Namenslisten“ (Seehofer-Sprech) laut Aussage des Innenministers „Angst und Verunsicherung schüren“ sollen, wodurch „die Freiheit und damit unsere Demokratie“ bedroht wird, dann liegt die Verantwortung für Angst und Verunsicherung nebst Demokratie-Bedrohung bei jenem oder jenen, die solche Namenslisten aus dem Ermittlungsverfahren heraus als „Feindes- oder Todeslisten“ (Medien-Sprech) publizieren – und nicht bei jenen Endzeitpreppern, die sie aus welchen Gründen auch immer privat erstellt hatten. Weshalb das BKA auch absolut im Recht ist, wenn sie die Verwendung dieser in eine falsche Richtung weisenden Begriffe „konsequent zurückweist“.

Seehofer schüchtert ein – nicht die Prepper

Tatsächlich nämlich sind es in diesem Falle nicht die „rechtsextremen Zirkel“, die laut Seehofer einen „perfiden Einschüchterungsversuch“ unternehmen – es ist Seehofer selbst, der diesen Einschüchterungsversuch unternimmt, indem er im Widerspruch zu den Fakten den Eindruck erweckt, die Zirkel selbst hätten die Existenz dieser Listen bekannt gemacht.

Das ist nun allerdings tatsächlich perfide, wenn der Bundesminister des Inneren aus einer privaten Datensammlung, die im Rahmen von Ermittlungen gegen eine des Rechtsextremismus angeklagte Gruppe aus deren PC-Archiv geholt wurde, selbst eine Todesliste strickt, die vorgeblich nur deshalb entstanden sei, um damit in der Öffentlichkeit Angst und Verunsicherung zu schüren und die Demokratie zu bedrohen.

Noch einmal, damit es auch der Minister versteht: Diese Listen – was immer sie auch darstellen – wurden von ihren Erstellern streng privat und geheim behandelt. Was aber niemand kennt und von dem niemand weiß außer jenem, der es erstellt hat, das kann auch nicht den Zweck erfüllen, Angst und Schrecken zu verbreiten.

Dieses aber tun jene, die aus solchen Listen für die dann zu Tode erschreckte Öffentlichkeit sogenannte „Todeslisten“ stilisieren – und vor allem jene, die dann noch behaupten, diese privaten Sammlungen seien nur zum Zwecke der öffentlichen Verunsicherung zusammengestellt worden. Und die dann mit Massenschreiben unzählige Personen anschreiben, die nicht einmal geahnt hatten, dass sie auf irgendwelchen Listen stehen, um diese dann wissen zu lassen, dass es eine wie auch immer geartete Bedrohungslage niemals gegeben hat. Denn in der Konsequenz sind nun – Bedrohungslage hin oder her – auch diese zutiefst verunsichert – oder nennen wir es ruhig: eingeschüchtert.

Seehofer täuscht Medien, Politik und Öffentlichkeit

Kurz und wenig gut: Seehofer ist es, der gezielt Schrecken und Verunsicherung zu verbreiten sucht. Und es stellt sich die Frage, ob nicht eigentlich er es ist, der damit die Freiheit und unsere Demokratie bedroht – wenn dieses, wie er sagt, die Freiheit und unsere Demokratie bedroht. Was wiederum die Frage nach sich zieht: Welchen Zweck verfolgt Seehofer, indem er den definitiv falschen Eindruck erzeugt, Rechtsextremisten wollten mit Todeslisten „perfide Einschüchterungsversuche“ unternehmen?

Eine Antwort auf diese Frage könnte sich andienen, wenn auf aktuelle Veröffentlichungen eines anderen, wichtigen Dienstes im Auftrag unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung geschaut wird. Doch das soll angesichts seiner Komplexität einem eigenen Artikel vorbehalten bleiben.

So möchte ich diesen hier nun beenden mit meinem Bedauern darüber, dass sich selbst hochgeschätzte Kollegen wie Johannes Leithäuser widerspruchslos von Seehofer aufs Glatteis führen lassen – und nicht einmal merken, welche tatsächliche Perfidie hinter der behaupteten Perfidie steckt. Aber damit ist er nicht allein. Auch die FDP hat sich bereits bestens instrumentalisieren lassen, verlangt geschlechtsneutral eine „Ombudsperson“ zwecks Koordinierung der Information und legt dann noch eine Schippe drauf, indem sie bei den Betroffenen von Personen spricht, die nun sogar „auf rechtsterroristischen Feindes- und Todeslisten“ stehen.

Faszinierend, wie schnell und einfach sich in dieser Republik heute Medien und Politik manipulieren lassen. Aussagen auf ihren logischen Kern herunter zu brechen scheint ebenso aus der Mode zu sein, wie das Gehirn anzuwerfen, um jenes, was einem an Brocken vor die Füße geworfen wird, einmal auf seinen tatsächlichen Sinngehalt zu untersuchen.

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