Tichys Einblick
Franziska Giffey setzt sich durch

SPD-Notbremse in Berlin – und ein Stoppschild für die Bundes-Grünen

Die Entscheidung für die CDU ist für Franziska Giffey der letzte Versuch, ihre SPD als Partei der linken, bürgerlichen Mitte zu retten. Dafür, die traditionsreiche SPD in Berlin wieder dort zu platzieren, wo sie vor ihrem Linksdrall gestanden hat, verzichtet Giffey auf das Ministerpräsidentenamt.

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Wäre es nach dem linksextremen Flügel der Berliner Sozialdemokratie gegangen, hätte die bei der Wiederholungswahl abgestrafte SPD die Volksfrontregierung mit den Grünen und den Linken fortgesetzt. Alle Signale schienen auf eine Koalition der Verlierer zu deuten: Franziska Giffey bleibt Regierender Bürgermeister der Bundeshauptstadt und damit Ministerpräsident des Bundeslandes Berlin. Doch Giffey entschied anders – und setzte sich durch.

Die Entscheidung am späten Abend

Am Mittwochabend gegen 21 Uhr trat die Noch-Bürgermeisterin vor die Presse. Vorangegangen war eine stundenlange Beratung des SPD-Landesvorstands über die Frage: Soll die SPD die bisherige Koalition fortsetzen oder in Koalitionsgespräche mit dem Wahlsieger CDU eintreten? Der linke Parteiflügel, allen voran die traditionell linksextremen Jusos, hatten sich bereits im Vorfeld strikt gegen jede Kooperation mit der Union ausgesprochen. Nicht nur die angebliche Rechtslastigkeit der Hauptstadt-Christdemokraten schien ihnen die notwendigen Argumente in die Hand zu geben. Auch die unweigerliche Konsequenz, das Amt des Ministerpräsidenten abzugeben, schien den Linkssozialisten unerträglich. Doch der Vorstand entschied anders.

Mit rund 67 Prozent votierten die Mitglieder des roten Entscheidungsgremiums für die Gesprächsaufnahme mit den Schwarzen. Sollte es zu dieser Koalition kommen, wird die SPD Juniorpartner sein. Und so stellt sich die Frage: War es tatsächlich nur die Achtung des Wählerwillens, der die SPD bewogen hat, mit dem bislang ungeliebten Partner CDU ins Regierungsbett zu steigen? Oder steckt mehr dahinter; ist diese Entscheidung möglicherweise sogar getragen von einem Richtungswechsel auf Bundesebene?

Eine Entscheidung gegen die Grünen – nicht für die CDU

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Wer genau hinhörte, dem sollte schnell deutlich werden: Das, was Giffey verkündete, war keine Entscheidung für die CDU, sondern eine Entscheidung gegen die Grünen. Ohne mit dem bisherigen Koalitionspartner zu offen ins Gericht zu gehen, ließ Giffey durchblicken: Es ist vor allem die anti-bürgerliche Politik der grün übertünchten Neomarxisten, die sie und die Mehrheit ihres Vorstandes für das Wahldesaster verantwortlich machen. Mehr als einmal betonte Giffey, dass „eine Viertelmillion Menschen der Koalition den Rücken gekehrt haben“. Verantwortlich dafür seien „Relativierungen“ der gemeinsamen Politikziele durch die Grünen, konkret festgemacht an den Themen „funktionierende Stadt, Verkehr, Wohnungsbau und Sicherheit“.

Tatsächlich hat Berlin unter der Volksfront in all diesen Themen unübersehbares Chaos produziert. In der Stadt funktioniert nichts mehr. Der Verkehr wurde durch die autofeindliche Politik der grünen Ideologen bewusst und vorsätzlich an die Wand gefahren. Das willkürliche Anlegen von Radwegen, die Sperrung von Verkehrsachsen wie der Friedrichstraße – das sind nur einige Beispiele, mit denen eine aus jeglichen Halteklammern gesprungene grüne Senatorin die krankhafte Vision einer autofreien Metropole mit brachialer Gewalt durchzusetzen suchte. Der so unverzichtbare Wohnungsbau kam spätestens zum Erliegen, als das Bündnis von Grünen und Altmarxisten seine „Vergesellschaftung“ genannten Enteignungsfantasien zum Crescendo steigerte.

Parallelgesellschaften und Bandenkriminalität stehen bundesweit längst als Synonyme für den Moloch, der nicht nur am berühmten „Kotti“ jede staatliche Zugriffsfähigkeit und Justizhoheit verloren hat.

Die Angst, von den Grünen in den Abgrund gezogen zu werden

Giffey hat verstanden, dass ihre SPD von den Grünen in den Abgrund gezogen wird. Sie sagt es deutlich: „Wir müssen zeigen, dass wir das, was wir an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren haben, wiedergewinnen können!“

Die Entscheidung Giffeys für die CDU ist für die Sozialdemokratin der letzte Versuch, ihre SPD als Partei der linken, bürgerlichen Mitte zu retten. Als eine Partei, die traditionell für die „kleinen Leute“ da war, und die sich selbst zudem durch eine ständige Unterwanderung linksradikaler Studienabbrecher und Leistungsverweigerer in einen pseudointellektuellen Abwärtsstrudel hat ziehen lassen. Dafür, die traditionsreiche SPD in Berlin wieder dort zu platzieren, wo sie vor dem Linksdrall gestanden hat, verzichtet Giffey auf das Ministerpräsidentenamt. Ein Verzicht allerdings, der ihr dadurch leichter fallen wird, dass sie unter dem Wahlsieger Kai Wegner ein wichtiges Senatsressort erhalten wird, mit dem es ihr gelingen wird, der unionsgeführten Regierung ihren Stempel aufzudrücken und so an ihrem Comeback als politische Nummer Eins der Stadt zu arbeiten.

Ein SPD-dominierter CDU-Senat

Die SPD-Entscheidung wird in der Partei noch zu manchen Diskussionen führen. Vor allem aber die Grünen werden Amok laufen – nicht nur in Berlin. Doch am Ende wird die SPD aus den Gesprächen mit der CDU, wie einst zu Merkels Zeiten, als heimlicher Gewinner hervorgehen. Die Sozialdemokraten wissen: Sie werden fast alles durchsetzen können, was ihnen wichtig erscheint.

Das wird sich offensiv verkaufen lassen – und jene Themen, die die SPD-Spitze gern platziert sähe, aber aus Gründen des Parteifriedens nicht offen zu bekennen wagt, wenn es um Verkehr, Sicherheit und Enteignungen geht, kann sie die Union auf ihr Konto buchen lassen. Auch deshalb ist diese Entscheidung ein aus SPD-Sicht richtiger Schachzug: Der künftige CDU-geführte Berliner Senat wird SPD-Politik umsetzen. Auch dort, wo er nach Union ausschaut.

Ein Signal auch für den Bund

Hinzu kommt, dass die Berliner SPD-Entscheidung für eine Koalition mit der Union auch ein deutliches Signal an die Bundesebene ist. Wir dürfen unterstellen, dass Giffey ihre Entscheidung nicht ohne Rücksprache mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Parteichef Lars Klingbeil getroffen hat. Auch diese beiden sehen, wie die Grünen ihre SPD in den Abwärtssog zieht. Sie sehen, wie die grünen Minister ein ums andere Mal knallhart ihre radikale Ideologie gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung durchzusetzen suchen.

Feministische Außenpolitik
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Beispiele sind die Verkündung einer „feministischen Außenpolitik“, die dem eigenen Verständnis nach nicht mehr die Interessen Deutschlands in den Mittelpunkt stellt, sondern die einer weltumspannenden Geschlechtsideologie. Und dann jene jüngst verlautbarte Mitteilung aus dem Hause des Kinderbuchautoren, nach bewusst organisierter Energiekrise und dem Beschluss, den Deutschen ihre Kraftfahrzeuge spätestens ab 2035 verbieten zu wollen, nun auch mit dem geplanten Verbot von Öl- und Gasheizungen ab 2024 die Substanz der deutschen Eigenheimbesitzer anzugreifen.

Die Berliner Entscheidung ist deshalb auch ein bewusst gesetztes Zeichen gegen die Bundesgrünen, nicht länger zu überziehen. Nicht nur, weil die Bundes-SPD fürchtet, dass es ihr bei künftigen Wahlen ebenso ergeht wie Giffey in Berlin, sondern weil zunehmend mehr Sozialdemokraten bis hinunter auf die kommunale Ebene so langsam begreifen, dass sie es bei den Grünen nicht mit einer Partei, sondern mit einer ideologischen Bewegung zu tun haben, die nun ihre einmalige Chance wittert, aus dem pluralistisch-marktorientierten Erfolgsmodell Bundesrepublik ein klimaideologisches Kaderkollektiv zu schaffen.

Bisher war es nur die FDP, die zunehmend deutlicher die Distanz zu den grünen Weltverbesserern sucht. Mit der Berliner Entscheidung hat nun die SPD den grünen Gesellschaftsüberwindern signalisiert: Es geht auch anders und wir werden uns durch Eure Eskapaden nicht noch unsere letzten Wähler vergraulen lassen. Notfalls steht auch auf Bundesebene eine Union in den Startlöchern, die willig SPD-Politik umsetzen wird, wenn sie nur dabei sein darf. Und dazu bedürfte es weder Neuwahlen noch eines Austausches des Bundeskanzlers. Es reicht völlig, wie nun in Berlin die grünen Kader der Unbelehrbaren vor die Tür zu setzen.

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