Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 22-2020

Sieht so der Casino-Kapitalismus der Zukunft aus?

Im Gleichklang mit den Börsenkursen explodieren die Notenbankbilanzen. Von der Geldschwemme getrieben, entkoppelt sich die Finanz- von der Realwirtschaft.

Die Corona-Pandemie ist überwunden. Das signalisierten nicht nur Tausende leichtgläubige Techno-Raver auf der Berliner Spree, die am Wochenende in Schlauchbooten – mit viel Alkohol und abstandsfrei – für die Öffnung der Berliner Clubs warben. Das dokumentieren seit Wochen bereits die Indices der wichtigsten Weltbörsen. Seit seinem Tiefstand am 18. März dieses Jahres, als der deutsche Leitindex in Corona-Alarmstimmung auf 8.441 Punkte abgestürzt war, hat er sich auf inzwischen bereits wieder knapp 12.500 Punkte erholt. Ein sattes Plus von rund 46 Prozentpunkten in weniger als drei Monaten. Der Dow Jones verarbeitete die Corona-Krise mit einem der kürzesten Rückschläge aller Zeiten. Von seinem Tiefstand am 23. März mit 18.592 Punkten arbeitete er sich bereits nach wenigen Wochen wieder hoch und nahm bereits die Hürde von 26.000 Punkten.

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Die Börsen befinden sich in einem Bullenstatus, der mächtig kontrastiert zur tristen realwirtschaftlichen Lage in den meisten Volkswirtschaften der Welt. Während Regierungen mit immer gigantischeren Milliardensummen die darniederliegende Realwirtschaft ankurbeln wollen, die sie selbst mit ihrer Lockdown-Verordnung monatelang stillgelegt haben, werden die Kursphantasien an den Finanzmärkten immer optimistischer. In Zeiten, in denen die Arbeitslosenzahlen in nahezu allen Volkswirtschaften nach oben schnellen, wenn man mal von dem Überraschungscoup der italienischen Statistik absieht, die ausgerechnet jetzt in diesem Krisenland die geringste Arbeitslosenrate seit 2007 verzeichnet, entkoppelt sich die Finanzwirtschaft von der Tristesse in weiten Teilen der Realwirtschaft. Jetzt ist es keineswegs so, dass die Börsen in historischer Betrachtung mit ihren Kursen schlechtere Prognostiker sind als Politiker oder Ökonomen. Allerdings verwundert schon die Leichtgläubigkeit, mit der die Finanzmarktakteure an den wundersamen V-Effekt einer schnellen weltwirtschaftlichen Erholung nach dieser säkularen Corona-Schockstarre glauben.

Konjunkturprogramm als Lückenbüßer
Konjunkturpaket: Große Zahlen, wenig Wirkung
Steckt nicht eine ganz andere Ursache hinter der wundersamen Kursrallye, die den Dow Jones oder den DAX nach der kurzen Bären- in die Bullenphase getrieben haben? Seit der Finanzkrise der Jahre 2008/2009 müssten doch alle wissen, dass die Finanzmärkte wie Junkies an der Nadel der Notenbanken hängen. Sie leben nicht von guten Fundamentaldaten der Realwirtschaft, sondern von der wundersamen Geldvermehrung der Notenbanken, die mit der Druckerpresse immer ungenierter Staatsschulden monetarisieren und die Kreditzinsen von Höchstschuldnerländern genauso niedrig halten wie die von Zombiefirmen, indem sie deren Staatsbonds und Firmenanleihen ohne Rücksicht auf deren Werthaltigkeit aufkaufen. Eine Grafik von Bloomberg veranschaulicht, wie synchron die DAX-Performance zur Aufblähung der Bilanz der Europäischen Zentralbank seit dem Corona-Crash Anfang März verläuft.

Um rund 900 Milliarden Euro explodierte die EZB-Bilanz in den vergangenen drei Monaten von 4,7 auf rund 5,6 Billionen Euro – dem alten PSPP- wie dem aktuellen PEPP-Notfallkaufprogramm geschuldet. Der DAX reagierte wie in den USA der Dow Jones vor allem auf die gigantische Geldflut der Notenbanken.

Sieht so der Casino-Kapitalismus der Zukunft aus? An den Börsen werden keine realwirtschaftlichen Zukunftserwartungen mehr gehandelt, sondern nur noch Wetten auf die unbeschränkte Geldzufuhr der Notenbanken abgeschlossen:

  • Dann bleiben Zombiefirmen am Markt und vernichten dringend notwendige Produktivitätszuwächse.
  • Dann werden Kapitalbesitzer weiterhin zu Lasten der „dummen“ Sicherheits-Sparer reicher.
  • Dann investieren Unternehmensvorstände auch künftig lieber in Aktienrückkäufe als in Innovation.
  • Dann vermeiden Politiker erst recht unpopuläre Strukturreformen und sonnen sich lieber in schuldenfinanzierter sozialstaatlicher Planwirtschaft.

An aktuellen Beispielen für diese defätistische Zukunftsprognose mangelt es nicht. Das 130 Milliarden Euro-Konjunkturpaket, auf das sich die Berliner Koalitionsspitzen am Mittwochabend verständigten, ist vor allem ein Wünsch-Dir-Was-Programm für die unterschiedlichsten Wähler- und Wirtschaftslobbys. Trotz einiger Überraschungen bleiben Strukturreformen Mangelware! Auch die heutige Entscheidung der EZB, ihr PEPP-Notfallprogramm massiv auszuweiten, dokumentiert vor allem eines: Die Droge für die Finanzmärkte und die staatlichen Verschuldungsorgien wird erneut erhöht.

Doch ein solcher Casino-Kapitalismus kann nur scheitern. Ohne realwirtschaftliche Wertschöpfung gibt es auf Dauer keinen Wohlstand. Der kluge Ludwig Erhard brachte es auf den einfachen Nenner: „Verteilt werden kann nur, was vorher erwirtschaftet worden ist.“

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