Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 21-2021

Grüne Hybris: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.“

Eigentlich müsste die Grüne Partei selbstkritische Debatten führen, um die eigenen Widersprüche nicht nur in der Energie- und Klimapolitik aufzuklären. Ist ohne Atomkraft eine sichere und CO2-arme Energieversorgung vielleicht doch unmöglich?

picture alliance / SvenSimon | Malte Ossowski

Heute reflektiert in der Welt Thomas Schmid, der in früheren Tagen mit Winfried Kretschmann in einem ökolibertären Zirkel agierte, über die grüne Überheblichkeit. Die Ökopartei darf sich schon seit vielen Monaten, begleitet von einer freundlichen journalistischen Hofberichterstattung, im politischen Show Business ihre eigene Welt inszenieren, wie einst Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf im Lied.

Schmid startet seine Analyse mit für die Grünen ernüchternden Sätzen: „Die Grünen wollen die nächste Bundeskanzlerin stellen. Daraus wird voraussichtlich nichts werden. Das liegt auch an der grünen Kanzlerkandidatin. Sie ist mit den Angaben zu ihrer Ausbildung und zu ihren Nebeneinkünften ungeschickt und nicht eben offen umgegangen.“ Obwohl sich die deutsche Parteienlandschaft in einem Umbruch bisher nicht gekannten Ausmaßes befinde, bisher große Parteien klein und kleine groß werden können, haben die Grünen nach Schmids Beobachtungen darauf „mit leichtem Größenwahn“ reagiert. Sein hartes Urteil: „Es war ein schwerer Fehler, das sie (die Grünen) sich für eine Kanzlerkandidatur entschieden. Denn die ist immer noch mindestens eine Nummer zu groß für sie.“

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Drastisch fällt Schmids Urteil über Annalena Baerbocks Bundestagsrede am 7. Mai aus, in der sie die Geschichte der Bundesrepublik bemühte, um für eine kühne Klimapolitik zu werben, dabei aber vor allem zu erkennen gab, dass sie – wie die Grünen vielleicht überhaupt – diese Republik nicht verstanden hat. Unser Wohlstand beruhe darauf, dass die Gesellschaft in Zeiten des Umbruchs durch gemeinsames politisches Handeln einen großen Schritt vorangekommen sei, meinte die Kanzlerkandidatin. Und dann der peinliche O-Ton Baerbock: „1945 nach dem Krieg: gemeinsam gehandelt. In den 60er-Jahren die Sozialdemokraten: soziale Marktwirtschaft auf den Weg gebracht.“

Tatsächlich aber hat bekanntlich die CDU gegen den Widerstand der Sozialdemokraten Ludwig Erhards marktwirtschaftlichen Kurs durchgesetzt. Die SPD machte erst auf ihrem Godesberger Parteitag 1959 ihren Frieden mit der marktwirtschaftlichen Ordnung und baute dann in ihren Regierungszeiten den Sozialstaat, oft mit Unterstützung der Union, immer weiter aus. Manchesterkapitalismus herrschte jedenfalls im schwarz regierten Nachkriegsdeutschland nicht, auch wenn die Grüne Seele anscheinend in der Vorstellungswelt gefangen bleibt, dass die CDU für Reaktion und Neoliberalismus steht und die Welt in Gut und Böse noch immer auf der Links-Rechts-Skala angeordnet wird. Die Haltung hat sich aus der Entstehungsphase der Grünen bis in die Gegenwart herübergerettet, gewinnt sogar durch den antikapitalistischen Öko-Furor der Friday-for-future-Generation eher wieder mehr Resonanzraum in der Partei.

Während CDU wie SPD in ihrem Selbstbild als beste aller nur denkbaren Parteien im Laufe der Jahrzehnte bescheidener geworden sind – ihre dramatischen Wählerverluste haben das ihre dazu beigetragen –, haben sich die Grünen ihre Hybris bis heute bewahrt, konstatiert Schmid. Dass viele Grüne mit einem missionarischen Sendungsbewusstsein auftreten, das sich in einem fast demonstrativ zur Schau gestellten moralischen Überlegenheitsgefühl manifestiert, zeigt sich nicht zuletzt beim Thema „gendergerechte“ Sprache, wo sie sich über die Vox populi erhaben fühlen.

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Wolfgang Kubicki brachte diese grüne Überlegenheitspose mal spöttisch auf den Nenner, die Grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckhard halte wohl jeden, der eine andere Meinung vertrete, für einen schlechten Menschen. Ähnlich überlegen und irreal agieren die Fridays for Future (FFF)-bewegten jungen Leute, die selbst altgediente Grüne Kämpen wehmütig an ihre radikalen Jugendzeiten erinnern. Auch wenn die Grünen natürlich wissen, dass man den Klimaschutz nicht eins zu eins – der Wissenschaft folgend, wie das FFF-Credo lautet – umsetzen kann, weil Politik die Menschen mitnehmen muss und massive Widerstände in der Demokratie immer Kompromisse erfordern, reden sie den Klimaaktivisten häufig genug nach dem Mund. Dabei sollten sie die Widersprüche benennen, die gerade durch die grüne Energiewende so schonungslos offengelegt werden.

Wer aus Atomkraft und Kohle zur Stromgewinnung aussteigt, zum Ersatz dieser Grundlast-Kraftwerke voll auf volatile regenerative Energien setzt, aber jedes Pumpspeicherwerk, jede Stromtrasse, jedes Windrad vor Ort politisch bekämpft, der besitzt eben nicht den Stein der Weisen, sondern leugnet die Realität. Die Versorgungssicherheit geht verloren, die ohnehin schon höchsten Strompreise der Welt explodieren munter weiter und die ökologische Bilanz sieht zappenduster aus, wenn Deutschland in Dunkelflaute-Zeiten französischen Atom- oder polnischen Kohlestrom importieren muss. Längst müsste die Grüne Partei harte und selbstkritische Debatten führen, um diesen eklatanten Widerspruch in einem Kernbereich ihres ökologischen Anspruchs aufzuklären. Ist ohne Atomkraft eine sichere und CO2-arme Energieversorgung vielleicht doch unmöglich? Sind alle anderen Staaten, die nach wie vor auf die von den Grünen seit Bestehen geächtete Atomenergie setzen, auf dem Holzweg? „Würden die Grünen hier Diskussionsräume eröffnen, würden sie jene undogmatische Diskursfähigkeit beweisen, von der sie glauben, sie mit Löffeln zu sich genommen zu haben“, schließt Thomas Schmid seine harte, aber zutreffende Analyse.

Ich bin mir sicher, dass Schmids Beitrag eine Reihe weiterer kritischer Medienberichte einläutet, gerade weil der ehemalige Welt-Herausgeber nicht im Verdacht steht, ein Grünen-Fresser zu sein. Auch sinkende Umfragewerte werden ihren Teil dazu beitragen, dass die grüne Hofberichterstattung in den kommenden Wochen leiser wird.

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