Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 39-2020

Franziskus bedient mit seiner Enzyklika den antikapitalistischen Zeitgeist

In seiner neuen Enzyklika „Fratelli tutti“ bestätigt der Papst seine tiefsitzende Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft und dem Privateigentum. Dabei übersieht der Papst so manches.

Papst Franziskus

imago images / Independent Photo Agency Int.

Wie feixte die politische Linke anno 2013, als Franziskus schrieb: „Diese Wirtschaft tötet.“ Eine argumentative Steilvorlage ausgerechnet vom katholischen Kirchenoberhaupt aus Rom im Kampf gegen Kapitalismus und Neo-Liberalismus! Wenn selbst ein Papst die kapitalistische Wirtschaftsordnung als Teufelszeug brandmarkt, das mit den Grundsätzen christlicher Ethik unvereinbar ist, dann ist man mit linker fundamentaler Globalisierungs- und Kapitalismuskritik doch über jeden Verdacht erhaben.

Franziskus, der Papst, der den Namen des Bettelmönchs aus Assisi angenommen hat und in seiner Amtszeit demonstrativ auf die prunkvollen Insignien des Vatikan – luxuriöse Karossen etwa oder prunkvolle Gewänder – verzichtet, unterzeichnete vergangenen Sonntag in der Krypta der Basilika in Assisi am Grab des heiligen Franz von Assisi seine aktuelle Enzyklika: „Fratelli tutti – Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft“. Auf gut 150 Seiten entwirft Franziskus die Vision einer solidarischen Gesellschaft und einer verantwortungsvollen Politik. Dass sich der Papst als Fürsprecher der Armen versteht und sich persönlich bescheiden präsentiert, ist durchaus sympathisch, gerade auch weil sich in der langen Kirchengeschichte viele seiner Vorgänger mit irdischem Glanz und Reichtum umgaben und mit den weltlichen Herrschaften um die Macht wetteiferten. Die Amtskirche war historisch selten ein Hort christlicher Nächstenliebe oder gar ein Vorbild an moralischer Integrität.

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Franziskus streift in seinem aktuellen Werk zahllose Themen, variiert viele von ihm schon bekannte Positionen. Statt sich die Hände zu reichen, um gemeinsam die aktuelle Pandemie zu bekämpfen, kapselten sich Völker und Staaten voneinander ab, moniert der Papst. Das gelte auch für das gemeinsame Eintreten für den Erhalt der Schöpfung und für eine gerechte Welt. Dabei habe der „Sturm“ der Pandemie doch in Erinnerung gerufen, „dass wir alle im gleichen Boot sitzen“ und „dass wir alle Brüder und Schwestern sind“.

Mit einer Exegese des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter appelliert Franziskus, gerade den Fremden als Nächsten zu sehen. Zur Verantwortung der Wohlhabenden zählt für ihn auch und gerade der Einsatz für das Wohlergehen der Armen. Für den Papst gehört diese Verantwortung quasi als kategorischer Imperativ zu einer echten globalen sozialen Marktwirtschaft. Im Kapitel der Enzyklika „Ein offenes Herz für die ganze Welt“ finden sich die bekannten Positionen des Papstes zur Migration. Weil „der Nächste ein Migrant ist“, sieht es Franziskus als „unsere Pflicht, das Recht eines jeden Menschen zu respektieren, einen Ort zu finden, an dem er nicht nur seinen Grundbedürfnissen und denen seiner Familie nachkommen, sondern sich auch als Person voll verwirklichen kann“. Mit diesem Postulat formuliert der Papst ein Migrationsrecht, das weit über das grundgesetzliche Asylrecht hinausgeht. Dass ein so formuliertes Migrationsrecht aber eine Überforderung selbst reicher Länder provoziert, die sich dann in Fremdenfeindlichkeit und Abschottung manifestiert, blendet das katholische Kirchenoberhaupt komplett aus.

Gleichzeitig prangert er als die schlimmsten Auswüchse der Globalisierung den Populismus und den Liberalismus an. So schrill wie sein Verdikt „Diese Wirtschaft tötet!“ aus dem Jahr 2013 liest sich die neue Enzyklika nicht. Hier heißt es: „Der Mark allein löst nicht alle Probleme, auch wenn man uns zuweilen dieses Dogma des neoliberalen Credos glaubhaft machen will.“ Er attackiert das „Diktat der Finanzwelt“, deren „spekulative Finanzaktivität“ und die damit verbundene Schaffung von „fiktivem Reichtum“ er für die Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren nach 2007/2008 verantwortlich macht. Auch heute stehe für die Reichen und Mächtigen noch „immer ein Hintertürchen“ offen, weil die Welt keine Lehren daraus gezogen habe. Die Menschenwürde gehöre ins Zentrum einer Wirtschaftsordnung. Dafür müsse der Staat sorgen, dem der Papst offenbar mehr vertraut als dem Markt.

Viele päpstliche Anklagen wirken fast wie eine Karikatur. Selbst der überzeugteste Marktwirtschaftler wird bestreiten, dass der Markt alle Probleme löst. Gerade in der Umwelt- und Sozialpolitik gibt es genügend Beispiele für Marktversagen. Da muss selbstverständlich der Staat Leitplanken einziehen. Gerade der auch vom Papst geschmähte Neo-Liberalismus machte sich übrigens historisch für einen solchen staatlichen Ordnungsrahmen stark, um fairen Wettbewerb durchzusetzen und „Wohlstand für alle“ möglich zu machen. An Walter Eucken und die ordoliberale Freiburger Schule sollte man in diesem Kontext erinnern. Vielleicht sollte sich Franziskus auch einmal Ludwig Erhards Klassiker „Wohlstand für alle“ zur Hand nehmen, der gerade in Neuauflage erschienen ist.

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Doch um solche Differenzierungen bemüht sich Franziskus nicht. Er übersieht gänzlich, dass es neben Markt- auch Staatsversagen gibt. Wenn der Staat etwa das Haftungsprinzip aushebelt, indem er hochspekulative Finanzmarktakteure rettet, statt sie mit der schärfsten Domestizierungswaffe in einer Marktwirtschaft abzustrafen, dem Bankrott, dann hat hier nicht die Marktwirtschaft und ihr Ordnungsrahmen versagt, sondern die staatliche Politik. Dann hat nicht der Markt dafür gesorgt, dass die Verluste sozialisiert und die Gewinne privatisiert worden sind, sondern der Staat. Auch wenn Notenbanken mit stillschweigender oder gar lautstarker Billigung der Politik Vermögenspreisblasen an den Aktien- und Immobilienmärkten züchten und nicht überlebensfähige Unternehmen als Zombies künstlich am Leben erhalten, dann ist das nicht dem Kapitalismus geschuldet, sondern staatlichem Laissez-faire.

Als Argentinier sollte Franziskus vielleicht einmal darüber reflektieren, wie die Peronisten, die dort einst mit dem hehren Ziel die Macht übernahmen, eine „gerechte“ Gesellschaft zu formen, ein damals sehr reiches Land in Massenarmut und Verelendung stürzten. Das argentinische Sozialexperiment müsste auch den Papst vor Staatsgläubigkeit warnen. Sein Vorvorgänger, der Pole Johannes Paul II., erlebte dagegen die kommunistische Barbarei am eigenen Leib. Deshalb war er überzeugter Befürworter der Marktwirtschaft. Auch die nackten Zahlen der sinkenden Armutsquoten auf der Welt, die den Siegeszug der Marktwirtschaft rund um den Globus begleiteten, sollten Franziskus zum Nachdenken anregen. Im übrigen lebt auch die Amtskirche ganz gut von einer florierenden Wirtschaft. Die Kirchensteuereinnahmen stiegen gerade in Deutschland Jahr für Jahr, weil Wirtschaft und Beschäftigung florierten und selbst massenhafte Kirchenaustritte keine großen Spuren in den kirchlichen Budgets hinterließen.

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