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METZGERS ORDNUNGSRUF 02-2020

Das Grüne Wolkenkuckucksheim gibt’s auf Pump

Die Grünen, einst Vorkämpfer einer nachhaltigen Finanzpolitik, verabschieden sich von der Schuldenbremse, um ihre Volksbeglückung finanzieren zu können.

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld

Helmut Kohl war noch Bundeskanzler, Theo Waigel sein Finanzminister, als Haushaltspolitiker der Grünen im Bundestag – zunächst noch in Bonn, später dann in Berlin in der ersten rot-grünen Bundesregierung – für eine „nachhaltige Finanzpolitik“ stritten, die ihre Lasten nicht mit Krediten den nachfolgenden Generationen aufhalsen dürfe. Als Oskar Lafontaine nach wenigen Monaten unter Gerhard Schröder im April 1999 fluchtartig aus dem Amt des Bundesfinanzministers wich und Hans Eichel ihm nachfolgte, stand die grüne Bundestagsfraktion dem „eisernen Hans“ mit seiner Konsolidierungsstrategie weitaus näher als die eigene SPD-Bundestagsfraktion. Für eine „Schuldenbremse“ nach Schweizer Vorbild im Grundgesetz plädierten Grüne Politiker lange, bevor sie dann 2006 als Produkt einer Föderalismusreform tatsächlich Eingang ins Grundgesetz fand.

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Lang, lang ist’s her, dass Grüne lautstark für finanz- und haushaltspolitische Solidität geworben haben – ganz dem ökologischen Mantra folgend, dass man nur versprechen und finanzieren kann, was auch langfristig und generationengerecht tragfähig ist. An diesem Montag hat sich der Grüne Bundesvorstand jetzt mit einem Strategiepapier endgültig von dieser Linie verabschiedet. Die neue Grüne Finanzwende kennt nur einen Tenor: Hunderte von Milliarden Euro soll der Staat in die Hand nehmen, um nach der Corona-Krise die Wirtschaft dauerhaft zu stimulieren. Investitionen in die Infrastruktur wollen die Grünen: in Schulen, Schwimmbäder, Krankenhäuser und in die Innenstadt-Reaktivierung sollen binnen zehn Jahren 500 Milliarden Euro fließen, aber auch in die Sektoren Mobilität und Energie. Selbstverständlich auch in Forschung und Entwicklung. Und natürlich versprechen die Grünen eine Vielzahl von sozialpolitischen Wohltaten: Individuelle und deutlich erhöhte Grundsicherung statt Hartz IV, Abschaffung der Bedarfsprüfungen und Sanktionen, mehr staatliche Fürsorge von der Wiege bis zur Bahre. Der Staat der Grünen ist ein paternalistisches Konstrukt, das den Menschen ihre Eigenverantwortung systematisch austreiben will.
Grüne Absage an die Schuldenbremse des Grundgesetzes

Klar und eindeutig bekennt sich das Parteivorsitzenden-Duo Annalena Baerbock und Robert Habeck zur Absage an die Schuldenbremse, die Verfassungsrang hat, im vergangenen Jahr und 2021 aber wegen der Corona-Notlage per Parlamentsbeschluss ausgesetzt wurde. Ab dem kommenden Jahr soll sie wieder greifen, jedenfalls wenn man den Beteuerungen der Union glauben will. In der SPD war diese Ausgabenfessel nie sonderlich populär, in der Linkspartei schon gar nicht. Die Grünen setzen sich mit ihrer eindeutigen Absage an die Schuldenbremse jetzt an die Spitze einer unheiligen rot-rot-grünen Verschuldungs-Allianz, die so gar nicht zur Koketterie des medialen Juste milieu mit einer schwarz-grünen Liaison nach der Bundestagswahl passt.

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"Die Mittelschicht verarmt"
Zur Wahrheit der deutschen Finanzpolitik in den Jahren 2012 bis 2019 – den fetten acht Jahren vor der Corona-Pandemie – gehört das Eingeständnis, dass damals überhaupt keine Sparpolitik betrieben werden musste, um die Staatsverschuldung von über 80 Prozent auf knapp unter 60 Prozent des BIP zu senken. Die erstklassige Arbeitsmarktlage reduzierte die Ausgaben der Sozialsysteme und steigerte deren Einnahmen, die Steuern sprudelten wie noch nie, während die Zinsausgaben um zweistellige Milliardenbeträge im Jahr sanken. Statt Steuern und Abgaben zu reduzieren, um die Belastung der Bürger und der Unternehmen zu senken, packte die regierende Große Koalition neue konsumtive Ausgaben in der Rente und der Kranken- und Pflegeversicherung drauf. Die schlagen erst jetzt mit zeitlicher Verzögerung durch und treffen auf eine durch die Corona-Pandemie massiv geschwächte Volkswirtschaft. Die Investitionsausgaben des Staates wurden übrigens in den vergangenen Jahren durchaus deutlich erhöht. Doch weil die veranschlagten Mittel nicht abflossen, haben sich die Haushaltsausgabereste im Bundeshaushalt um zweistellige Milliardenbeträge massiv erhöht. Nur für höhere Investitionsbudgets zu trommeln, aber die bauliche Umsetzung dann schleifen zu lassen, ist letztlich Augenwischerei.
Die realen Spielräume jeder neuen Regierung sind gering

Wer Adam Riese beherrscht, kann sich ausrechnen, wie gering die Spielräume jeder neuen Bundesregierung nach diesem Herbst sind. Die Grünen umschiffen die Finanzierungsklippe jetzt dadurch, dass sie die Schuldenbremse zur Disposition stellen. So können sie wenigstens so tun, als ob ihr grünes Wolkenkuckucksheim auf Schulden gebaut erstehen kann. Denn ein anderer Finanzierungspfad ist in einem Wahljahr selbst für Grüne Politiker tabu: Seit dem Bundestagswahlkampf 2013, in dem die Grünen zur Finanzierung ihrer Politik zahlreiche Steuererhöhungen in Aussicht stellten, dann aber an der Wahlurne weit unter ihren Umfragen abschnitten, redet die Partei höchstens leise über höhere Steuern. Denn die gut situierten Grünen-Wähler sind gerade beim Thema Steuererhöhungen hochsensibel. Ob ihnen das süße Gift der Staatsverschuldung aber besser schmeckt, wird sich erst noch zeigen. Denn sicher ist nur eines: Die Kosten der Staatsverschuldung bezahlen die Bürger langfristig mit höheren Steuern und Abgaben. Davor sind gerade die gutsituierten Grünen-Wähler nicht gefeit. Weil die Grünen die bestausgebildetsten Wähler aller Parteien haben, müsste denen das allerdings schon heute bewusst sein.

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