Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 15-2018

„Dann geh‘ doch zur AfD!“

In der alten BRD-Welt machte man linke Diskutanten gern mit dem Appell mundtot: „Dann geh‘ doch rüber!“ Heute erfüllt der Satz: „Dann geh‘ doch zur AfD!“ eine ähnliche Funktion. Inhaltliche Auseinandersetzung wird durch Stigmatisierung ersetzt. Damit stirbt der Diskurs, das Lebenselixier jeder wahrhaft demokratischen Gesellschaft.

© Getty Images

„Geh‘ doch rüber!“ (in die damals real existierende DDR, für die ich allerdings nie politische Sympathie empfand). Dieses Verdikt erntete ich häufig in meinen Jugendjahren, wenn ich mich in meiner oberschwäbischen Heimat mit linken sozial- oder wirtschaftspolitischen Ideen in die Diskussion einmischte: in der Kneipe, im Verein, selbst bei Familienfeiern. Der Satz, der einem oft triumphierend entgegen geschleudert wurde, beendete schlagartig jede Diskussion. Er ersparte dem Gegenüber, aber auch mir selbst, jegliche argumentative Auseinandersetzung. Der Satz verdammte, erstickte eine Auseinandersetzung buchstäblich im Keim.

Heute erfüllt der Satz „Dann geh‘ doch zur AfD!“ eine ähnliche Funktion. Wer angesichts der neuen italienischen Regierung vor den Gefahren einer weiteren Vergemeinschaftung im Euro-Raum warnt oder auf die Einhaltung der Maastricht-Stabilitätskriterien pocht. Der wird in den sozialen Netzwerken wie im privaten Gespräch postwendend verdammt: „Dann geh‘ doch zur AfD!“ Wenn der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer aus der kommunalen Praxis über die Probleme mit der Integration von Migranten redet und schreibt, dann stecken ihn nicht nur Grüne Parteifreunde in die AfD-Schublade, sondern auch viele „politisch Korrekte“. Christian Lindner erntete mit seinem Bäckereischlangestehen-Beispiel kürzlich vor allem eins: den hanebüchenen Rassismus-Vorwurf und die Vorhaltung, damit für die FDP strategisch im trüben AfD-Teich zu fischen.

TE 06/2018
Boris Palmer: „Die Nazikeule zieht nicht mehr“
Diese platte Diskurs-Verweigerungshaltung ist leider nicht auf sogenannte bildungsferne Schichten beschränkt, sondern hat sich weit ins intellektuelle Juste Milieu verbreitet. Selbst in der Kunst- und Kulturszene macht sich Gedankenzensur breit. Beim Berliner Theatertreffen wurde im vergangenen Jahr offiziell das Wort „Neger“ in einer Inszenierung verboten und durch das Wort „Beep“ ersetzt. Die Festivalleitung sah in der Wiederholung des Wortes „Neger“ auf der Bühne den Rassismus zementiert. Die Gender-Exzesse stehen für mich mit ihrer *-chen Flut vor allem für ideologische Sprachverrohung. Geistvoller Esprit, Lust am produktiven Streit, demokratische Meinungspluralität sehen anders aus. Der Kleingeist lugt aus allen Ecken.

Diese Ausgrenzungsstrategie, die häufig in der Diffamierung alles angeblich politisch nicht Korrekten als rassistisch oder rechtsradikal gipfelt, hat zu einer für mich beängstigenden Abstumpfung in der deutschen Gesellschaft geführt. Immer öfter höre ich in politischen Gesprächen auf langen Bahnfahrten oder lese beim Surfen in den sozialen Netzwerken, dass Leute, die über ihre Angst vor kultureller Überfremdung als Folge der Massenmigration reden, laut hörbar sagen oder offen schreiben „Dann bin ich eben ein Nazi!“ Die Stigmatisierung hat das Gegenteil bewirkt. Man solidarisiert sich mit dem Verdikt der Gegenseite. Deshalb hat die „Nazi-Keule“ ausgedient, wie es Boris Palmer in seinem Interview in der aktuellen Printausgabe von Tichys Einblick formuliert.

Der rosa Elefant
Lindner: Wer die Medien stört
Diese Entwicklung halte ich aber für extrem gefährlich, weil damit schleichend die nationalsozialistischen Verbrechen, die von Hunderttausenden aktiven Nazis begangen und von Millionen von opportunistischen Mitläufern hingenommen wurden, relativiert werden. Wenn ich dann eben heute „auch ein Nazi bin“, dann sind irgendwann die damaligen Nazi-Greuel auch keine verabscheuungswürdigen Verbrechen mehr. Die politisch Korrekten haben damit das Gegenteil von dem bewirkt, was sie so gern wie eine Monstranz vor sich hertragen: „Nie wieder Faschismus!“

Umgekehrt gilt natürlich auch: Wer undifferenziert pauschal in Richtung der Mainstream-Politik und der Mainstream-Medien keilt, der erweckt den fatalen Eindruck, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben. Doch die alleinige Wahrheit besitzt niemand. Auch die liberal-konservativen Köpfe müssen intellektuell redlich streiten, sich vor pauschaler Diffamierung hüten – bei aller notwendigen pointierten Polemik. Im Streit muss man sich an Positionen reiben können. Streit kann weh tun. Aber er sollte nicht ausgrenzend und ad personam geführt werden. Sonst hat man irgendwann keine Mitstreiter und erst recht kein Publikum mehr.