Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 05-2022

Bundesrechnungshof: Jens Spahn unterschlug die teuren Folgen seiner Gesetze

Die Folgen aus Jens Spahns Amtszeit werden die Krankenversicherung und den Bundeshaushalt noch lange belasten. Die neue Regierung macht es keineswegs besser. Im Gegenteil: Nach uns die Sintflut, wird jetzt erst recht zum sozialpolitischen Motto, wie die Ausgabenwünsche zeigen.

Jens Spahn, ehemaliger Bundesgesundheitsminister

IMAGO / IPON

Ausnahmsweise geht es bei diesem gesundheitspolitschen Thema mal nicht um Corona. Denn in der Amtszeit von Jens Spahn gab es wie auch schon bei seinem Vorgänger Hermann Gröhe (CDU) teure Gesetze in Vor-Corona-Zeiten über die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV). In Erinnerung brachte das der Bundesrechnungshof, der in der vergangenen Woche dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, dem nicht ganz unbekannten Ex-Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU), sowie dem Vorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses, Martin Gerster (SPD), einen Prüfbericht zustellte, der es in sich hat.

Die Rechnungsprüfer untersuchten zwei Gesetze, das GKV-Versichertenentlastungsgesetz von 2018 und das GKV-Betriebsrentenfreibetragsgesetz von 2019, die das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in Spahns Amtszeit durchgesetzt hat. Der Verriss durch die Rechnungsprüfer ist eindeutig:

„Obwohl die Bundesregierung in ihren Nachhaltigkeitsstrategien dem demografischen Wandel und insbesondere dessen Auswirkungen auf die GKV (Gesetzliche Krankenversicherung) eine hohe Bedeutung zuerkannt hat, hat das BMG die damit für das Gesundheitswesen verbundenen Folgen und Fragestellungen in seinen Gesetzesfolgenabschätzungen unberücksichtigt gelassen. Zudem hat es versäumt, die geforderten Demografie-Checks durchzuführen. Im Ergebnis zeigt dies, welch geringe Bedeutung das BMG diesen Nachhaltigkeitsvorgaben beigemessen hat.“

Nachhaltigkeit ist zum Wiesel-Wort verkommen

Das Wiesel-Wort „Nachhaltigkeit“ wird seit Jahren in der politischen Debatte geradezu inflationär gebraucht – und zwar längst weit über das grüne Spektrum hinaus. Besonders in der Klimaschutz-Politik hat der Begriff in Verbindung mit dem Wort „Generationengerechtigkeit“ Hochkonjunktur. Selbst das Bundesverfassungsgericht bemühte in seinem umstrittenen Klima-Urteil im vergangenen Jahr dieses Wortpaar.

Ursprünglich geht der Begriff der Nachhaltigkeit auf den forstwirtschaftlichen Grundsatz zurück, wonach nur so viel Holz eingeschlagen werden darf, wie auch nachwachsen kann. Deshalb ist das Nachhaltigkeitsgebot grundsätzlich sinnvoll, wenn es darum geht, die langfristigen Folgen von Gesetzesvorhaben zu analysieren, transparent zu machen und Zielkonflikte gegeneinander abzuwägen. Die vermeintlich „billige“ Lastenverschiebung in die Zukunft ist unverantwortlich.

Die beiden vom Rechnungshof untersuchten Gesetze haben massive Auswirkungen auf die Beitragseinnahmen der GKV: Bis zu 3,5 Milliarden Euro Mindereinnahmen pro Jahr schlagen zu Buche. Außerdem haben die öffentlichen Arbeitgeber und die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung als Folge der beiden Gesetze mit Mehrbelastungen von 2,1 Milliarden Euro im Jahr zu rechnen. Es geht also nicht um Peanuts, sondern um anfänglich rund 5,5 Milliarden Euro jährlich.

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Wie explosiv sich die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung zwischen 2008 und der untersuchten Gesetzgebung im Jahr 2019 entwickelt haben, skizziert der Bundesrechnungshof in seinem Bericht mit nackten Zahlen. Aus 161 Milliarden Euro jährlich wurden in diesem Zeitraum 252 Milliarden. Der aus dem Bundeshaushalt zu leistende jährliche Bundeszuschuss vervielfachte sich in der gleichen Zeitspanne gar von 2,5 Milliarden auf 18 Milliarden Euro. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt vergrößerte sich zwischen 1992 und 2018 von 9,4 auf 11,7 Prozent. Vor diesem Hintergrund ist die Ausblendung des Nachhaltigkeitsgebots durch das Bundesgesundheitsministeriums ein vom Bundesrechnungshof völlig zu Recht scharf kritisiertes Versäumnis.

Dabei wurden im Bundesgesundheitsministerium intern durchaus Bedenken über die langfristigen Risiken, die auch zu Beitragserhöhungen in der Zukunft führen, formuliert. Doch in den Gesetzesfolgenabschätzungen, die für jedes Gesetz verbindlich vorgeschrieben sind, unterblieben solche Hinweise. Das kritisiert der Bundesrechnungshof sehr deutlich:

„Die Gesetzesvorhaben ließen keinen Beitrag zur langfristigen Absicherung des GKV-Systems im Sinne einer nachhaltigen Generationengerechtigkeit erkennen. Das BMG sah vorrangig Entlastungen der gegenwärtigen Beitragszahler und -zahlerinnen sowie Betriebsrentner und -rentnerinnen vor, ohne die dabei zugleich verursachten zukünftigen Belastungen des GKV-Systems aufzuzeigen. Seine eigenen Bedenken hinsichtlich langfristiger Risiken und späterer Beitragserhöhungen sprach es in den Gesetzesfolgenabschätzungen nicht an.“

Nach uns die Sintflut – sozialpolitisches Motto jeder Regierung?

Die Politik agiert einem Wiesel gleich, das angeblich aus einem Ei allen Inhalt heraussaugen kann, ohne dass man dies nachher der leeren Schale anmerkt. Man spricht von Nachhaltigkeit, obwohl man vor allem in der Sozialpolitik das glatte Gegenteil praktiziert. Die heutigen wahlentscheidenden älteren Kohorten werden gehätschelt, die Kosten an die jüngeren Generationen delegiert. Vor allem in der Sozialpolitik herrscht fast parteiübergreifend das Motto: Nach uns die Sintflut!

Bis 2026
Niemand hört auf Lindner: Ampel-Minister wollen 400 Milliarden Euro mehr ausgeben
Würden die Maßstäbe der Klimaschutzdebatte, die das Bundesverfassungsgericht zur Verteidigung der Freiheitsrechte der jungen Generation in seinem Klima-Urteil eingefordert hat, auf die Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung übertragen, dann wären nahezu alle Sozialgesetze des vergangenen Jahrzehnts als untragbare Überlastung künftiger Beitrags- und Steuerzahler verfassungswidrig. Doch auf diesen Analogie-Schluss lassen sich die Wortführer des links-grünen Zeitgeists, der sich so gern auch sozial bemäntelt, wohl kaum ein.

Wie großzügig die Ministerinnen und Minister der Ampel-Koalition agieren wollen, belegen die Milliarden-Ausgabenwünsche, die sie Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ins Haus geschickt haben. Obwohl Lindner seine Kabinettskolleginnen und -kollegen angesichts der Finanzlage um Mäßigung bat, summieren sich die zusätzlichen Ausgabenwünsche allein für dieses Jahr auf 70 Milliarden Euro. Bis 2026 beziffert das Bundesfinanzministerium den Wunschkatalog der neuen Regierung gar auf zusätzliche 400 Milliarden Euro, wie das Handelsblatt berichtet. Die Maßlosigkeit kennt offenbar keine Grenzen.  

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