Tichys Einblick
Zustand der Union

Wahlen historisch verlieren, aber um Restposten schachern

Die Unionsführung hat das schlechteste Ergebnis aller Zeiten bei einer Bundestagswahl zu verantworten, doch die Abrechnung fällt glimpflich aus. Selbst wenige Jobs sind immer noch wichtiger.

IMAGO / Political-Moments

Nur noch 24,1 Prozent für CDU/CSU – tiefer ist die Union im Bund noch nie gesunken. In einer jüngsten INSA-Umfrage kommt sie sogar nur noch auf 18,5 Prozent. Die große Aufarbeitung hingegen findet bislang lediglich in wenigen Sätzen statt: „Wir haben ein bitteres Ergebnis erzielt“, räumt der gescheiterte Armin Laschet auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in Münster ein: „Die Verantwortung trage ich als Vorsitzender und Kanzlerkandidat.“ Den Wahlkampf habe er zu verantworten und sonst niemand. Damit sind alle anderen Versager aus dem Spiel – vor allem seine Kanzlerin und langjährige CDU-Vorsitzende.

Das Schachern um die Restposten in der Opposition scheint vielen Christdemokraten und Christsozialen derzeit wichtiger. Das „weiter so“ einer unionsgeführten Regierung durch ein Jamaika-Bündnis ist jedoch perdu, weil die FDP mit SPD und Grünen Ampelschaltungen vorzieht und jetzt auf den Startknopf für Verhandlungen drückt.

Also lautet die Parole unter einstmals Schwarzen: Rette sich, wer kann. Doch wie auf der Titanic gibt es zu wenig Rettungsboote. Lukrative Posten sind äußerst selten. Es bleibt nur das Gerangel um CDU-Vorsitz und Präsidium, Ende April vielleicht noch um den Fraktionschef im Bundestag und schon jetzt um den Bundestagsvizepräsidenten.

Auch die Zeit von Wolfgang Schäuble als Bundestagspräsident ist bald vorbei. Die SPD als stärkste Fraktion wird ihn stellen, die anderen Parteien bekommen dann wie bisher einen Stellvertreter. Nur die Alternative für Deutschland bekommt wohl keinen, weil deren Kandidaten in undemokratischer Weise eine Parlamentsmehrheit im Bundestag wie auch im Landtag von Sachsen-Anhalt ständig verweigert wird. Also gibt es für die Union nur noch einen Vizeposten zu vergeben.

Die abtretende Kanzlerin Angela Merkel will damit willigen Helfern noch das künftige politische Überleben versüßen. So möchte sie gerne ihre „Parteifreundinnen“ Monika Grütters oder Annette Widmann-Mauz als Bundestagsvizepräsidenten sehen. Obendrein will sich auch noch der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer das mit gut 180.000 Euro plus Pauschalen üppig dotierte Amt schnappen.

Wie andere Parlamentarier der Union findet der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Axel Fischer: „Nachdem ein möglicher Parteivorsitzender höchstwahrscheinlich aus Nordrhein-Westfalen kommt, muss jetzt entweder die CSU oder die Ost-CDU einen Bundestagsvizepräsidenten stellen.“ Dieses Signal solle die Union jetzt aussenden.

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Eigentlich hat der bisherige Bundestagsvize Hans-Peter Friedrich (CSU) einen guten Job gemacht, und er würde auch gerne weiter amtieren. Doch der Franke aus Hof gehört nicht zu den Paladinen von Parteichef Markus Söder. Womöglich könnte der bayerische Ministerpräsident seine fränkische Landsfrau und Gehilfin Dorothee Bär vorschlagen. Die 42-Jährige war zwar als Staatsministerin für Digitales ein Netzausfall, aber für einen Bundestagsvizeposten könnten ihre spärlichen Qualitäten immer noch reichen.

Aus dem Osten kämen die beiden Thüringer Christian Hirte, der von Merkel geschasste Ost-Beauftragte, sowie der langjährige Parlamentarische Geschäftsführer Manfred Grund in Betracht, ebenso wie der aus Brandenburg stammende Chef der Schriftführer des Bundestages Jens Köppen. „Manfred Grund hat seinen Wahlkreis seit 1994 stets gewonnen. Er ist ein exzellenter Kenner der Problemlagen des Ostens“, schlägt der langjährige Unions-Fraktionsvize Arnold Vaatz vor. Grund vertrete zudem das „komplizierteste Land im Bundestag“. In Thüringen seien die extremen Parteien wie Linke und AfD zusammen in der Mehrheit.

Harte Abrechnung mit Parteioberen fällt aus

An einer harten Abrechnung mit den Wahlversagern zeigt bislang jedoch kaum einer sehr großes Interesse. Selbst die Kritik auf dem Deutschlandtag der Jungen Union fällt gegenüber den meisten Verantwortlichen für das größte Wahldesaster aller Zeiten recht moderat aus. „Muttis“ Schärfster bei Corona, Bayerns Landesfürst und CSU-Chef Söder, ließ sich bei der Jungen Union in Münster erst gar nicht sehen. Er zog Provinztermine in der Heimat der JU-Einladung vor.

Verlierer Armin Laschet brachten die Jungunioner hingegen regelrecht Respekt und Rücksicht entgegen. Da vorne rede plötzlich der Vorsitzende der Herzen, so scheint es angesichts des Beifalls, den Laschet vom Parteinachwuchs wieder und wieder erhalte, berichtet das Handelsblatt.

Ja, das Gros der Aussprachebeteiligten geht äußerst respektvoll und sogar dankbar mit dem scheidenden Vorsitzenden und seinem Wahlergebnis um. Lediglich der letzte zugelassene Redebeitrag beschwert sich über den Funktionärsklüngel auf Bundesparteitagen, der dann Gremien fernab der Mitgliedsbasis besetze – wie die Wahl von Laschet statt Friedrich Merz. „Sie können mir nicht 50 Delegierte nennen, die ihre Reise zum Bundesparteitag nicht als Mandatsträger irgendwo abrechnen können“, wirft ein junger Kritiker aus Berlin Laschet vor. Gemeint waren die Funktionärseliten aus Bund, Ländern und Kommunen, die als Minister, Abgeordnete, Landräte, Bürgermeister oder Kreischefs die Bundesparteitage bestimmen und Vorsitzende wie Vorstände wählen. Und eben nicht die Mitgliedsbasis. „Wie können wir Volkspartei bleiben, wenn wir nicht einmal auf das Parteivolk hören?“, lautet der berechtigte Vorwurf aus der Jungen Union.

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Warum die CDU am Ende ist
Laschet verzieht sein Gesicht. Am Funktionärseinfluss auf Parteitagen wollen Verlierer wie er und seine CDU-Granden nicht rütteln lassen. Sie wehren sich regelrecht gegen einen Mitgliederentscheid der Basis. Der lasche Linkskurs der Union soll bleiben. Mögliche Bewerber für die Laschet-Nachfolge wie Friedrich Merz – es wäre der dritte Anlauf – stören da nur. Die Ausreden sind blamabel: Angeblich habe die CDU keine Erfahrungen mit Mitgliederentscheiden und so kurzfristig bis zum Bundesparteitag im Dezember ginge das ja nicht. Alles Ausreden!

FDP und SPD praktizieren seit Jahren Mitgliederentscheide. Selbst die Grünen wollen ihre rund 120.000 Mitglieder sogar über einen möglichen Koalitionsvertrag und ihre personelle Aufstellung in einer neuen Bundesregierung abstimmen lassen.

Bestenfalls zu einer Mitgliederbefragung könnte sich die CDU-Führung durchringen, an der sich dann die Parteitagsdelegierten orientieren sollten. Doch was für ein wegweisendes Votum kann dabei herauskommen, wenn gleich mehrere Bewerber kandidieren und die Befragungsergebnisse nahe beieinander liegen? Keines. Denn was passiert, sollten sich derzeit alle ausschließlich aus Nordrhein-Westfalen stammenden Kandidaten aufstellen lassen, wie Friedrich Merz, Norbert Röttgen, der bis Ende April wiedergewählte CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus, der umstrittene Gesundheitsminister Jens Spahn oder etwa der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Carsten Linnemann, wenn alle fünf Ergebnisse um die 20 Prozent erzielen? Also kein klarer Favorit vorn liegt.

Außerdem: Wie viel braucht ein klarer Favorit für ein zwingendes Parteitagsvotum: 30 oder 40 Prozent? Oder gibt es eine Stichwahl zwischen den ersten beiden? Schließlich bleibt danach die Mitgliedsbasis wieder ausgeschlossen und alles wie bisher. Funktionärskreise kungeln auf dem Parteitag wieder den Vorsitzenden aus – Mitgliederbefragung hin, Delegiertenwahl her.

Beim Wahldesaster ist keine Rede von Kanzlerin Merkel

Allerdings ist von einer Hauptverantwortlichen für den historischen Unionsniedergang in den Reihen von CDU und CSU überhaupt nicht die Rede – nämlich von der langjährigen Parteichefin und Kanzlerin Dr. Angela Dorothea Merkel. Sie entschwindet der Blamage und Abrechnung durch Abschiedstermine in aller Welt. Keiner wagt es, ihren Namen für das schlechteste Unionsergebnis aller Zeiten zu nennen. Denn es war ihr CDU-Vorsitzender Armin Laschet, den sie gegen den Basis-Favoriten Friedrich Merz mit eifrigem Strippenziehen durchgesetzt hat.

Die CDU irrlichtert
Politik als Realitätsverweigerung
Warum? Aus Merkels Sicht durfte ihr Intimfeind Merz vom konservativen Wirtschaftsflügel partout nicht zum Parteichef einer durchgrünten CDU aufsteigen, weil er sonst mit ihrer linken Politik abgerechnet hätte. Merkels Intrigen haben das zwei Mal verhindert. Zunächst drückte sie auf dem Parteitag am 7. Dezember 2018 mit Hilfe der Jungen Union in Person des späteren Generalsekretärs Paul Ziemiak und dem vermeintlich konservativen Mitbewerber Jens Spahn ihre klägliche Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer im Vorsitz gegen Merz durch. Nach AKK’s Scheitern wurde Laschet gegen Merz in Stellung gebracht und am 16. Januar 2021 als Merkel-Mann zum CDU-Chef gewählt. Womöglich fummelt Merkel immer noch im Hintergrund daran, dass ihr Intimfeind Merz selbst im dritten Anlauf den Vorsitz nicht bekommt.

Wenn man in Berlin derweil wiedergewählte Bundestagsabgeordnete bei Veranstaltungen auf die verlorenen Wahlen anspricht und sie fragt, ob eine Erneuerung der Union in der Opposition höchst notwendig sei, blickt man oft in verständnislose Gesichter. Wieso Opposition? Erneuerung in der Regierung wäre besser; die Hoffnung auf Jamaika oder eine Fortsetzung der GroKo diesmal unter einem SPD-Kanzler Olaf Scholz schwingt immer noch mit. Viele haben einfach den Knall noch nicht gehört. Dabei sind die Regierungs- und Parlamentsposten weg, und die Oppositionsbank programmiert. Doch das Orchester auf der Titanic spielt in der ersten Klasse noch etwas weiter.

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