Tichys Einblick
Sachsen-Wahl

Massiver staatlicher Eingriff

Die AfD hat bei Ihrer Listenaufstellung Fehler gemacht und wird jetzt mit einer drastischen Mandatskürzung bestraft.

Sächsischer Landtag, Dresden

imago images / ddbd

Der sächsische Wahlausschuss minimiert die AfD aus formal rechtlichen Gründen bei der Landtagswahl in zwei Monaten und die Häme lässt nicht lange auf sich warten. SPD, Grüne und Linke machen sich verächtlich über ihren politischen Gegner her. Ausgerechnet Generalsekretär Henning Homann von der schwindsüchtigen Sachsen-SPD – nur noch sieben bis neun Prozent in Umfragen – zetert am Lautesten, dass die AfD die Entscheidung des Landeswahlausschusses jetzt politisch instrumentalisiert wird. Sie werde sich in eine Opferrolle begeben, um ihren Dilettantismus zu verschleiern. „Die AfD provoziert damit möglicherweise eine neue Welle von Hass und wird wie so oft Verschwörungstheorien auf den Plan rufen“, beschwört Homann selbst eine Hasswelle herauf. Nur die CDU wollte sich nicht äußern. Sie fürchtet jetzt um die Existenz fast aller Direktmandate.

Warum? Nach einem Beschluss des sächsischen Landeswahlausschusses darf die AfD bei der Landtagswahl am 1. September nur mit 18 statt wie geplant 61 Listenkandidaten antreten. Die zweite Liste mit dem Gros von 43 Kandidaten wurden kurzer Hand für ungültig erklärt, weil die Aufstellung nicht in einer einheitlichen Wahl erfolgte. Die Kürzung betrifft demnach mehr als zwei Drittel aller Listenkandidaten. Die AfD will dagegen klagen und kündigt eine massive Erststimmenkampagne an. Laut aktueller Infratest-Umfrage liegt die AfD bei 26 Prozent und könnte eigentlich mit bis zu 36 Mandaten rechnen.

AfD hat auf Mängelschreiben nicht reagiert

Allerdings hat sich die sächsische AfD bei ihren Listenaufstellungen wirklich ziemlich dämlich angestellt. Zunächst hatte sie den zweiten Listenparteitag nicht als Fortsetzung deklariert. Dann noch obendrein das Wahlverfahren von Einzel- auf Blockwahl umgestellt. Obendrein bejammerte AfD-Vertreter Joachim Keiler in der Sitzung des Landeswahlausschusses kleinlaut die eigenen Fehler mit den Worten: „Wir sind keine Politprofis.“ Dabei hat die AfD so viele professionelle Juristen in ihren Reihen.

Sachsen-Wahl
Nach den Stammwählern verliert die CDU auch noch Wechselwähler
Nach Angaben von Landeswahlleiterin Carolin Schreck wusste die AfD seit Einreichung ihrer beiden Listen Mitte Juni Bescheid. „Ich habe auch ein Mängelschreiben versendet“, betont sie. Bis zum Ende der Einreichungsfrist für die Landeslisten am 27. Juni habe sie nichts mehr gehört. Bei früherer Abgabe wäre Zeit gewesen, „über die Dinge zu sprechen und zu einer Lösung zu kommen“. Mit den anwesenden Vertretern der AfD wurde die Sach- und Rechtslage ausführlich diskutiert. Letztlich stand für die Mitglieder des Ausschusses nicht sicher fest, dass es sich um eine einheitliche Versammlung gehandelt hat.

Soweit so gut oder auch nicht: Der sächsische AfD-Chef Jörg Urban sieht hingegen in der Entscheidung einen „verabredeten Komplott von Vertretern der im Landtag sitzenden Altparteien“. Urban spricht von einem „durchsichtigen, juristisch nicht haltbarem Boykottverfahren“, um „den stärksten politischen Mitbewerber zur Landtagswahl Sachsen am 1. September strategisch zu schwächen“. Er kündigt eine Klage an bis hin zum Landesverfassungsgericht. Mehr noch: „Wir werden diesen Skandal im Wahlkampf benutzen“. Bundesvorsitzender Jörg Meuthen setzt jetzt alle Kraft auf eine Erststimmenkampagne.

Beschwerdeverfahren ist erst nach der Wahl möglich

Staatsrechtler Jochen Rozek von der Universität Leipzig spricht von einem Novum. Aber die AfD habe kaum Chancen, gegen die getroffene Entscheidung des Landeswahlausschusses vorzugehen, weil es „keine Beschwerdemöglichkeit nach dem Landeswahlgesetz oder der Landeswahlordnung gibt“. Die AfD sei auf das Wahlprüfungsverfahren angewiesen, das „dann nach der Landtagswahl stattfindet“. Die Beschwerde könnte sie so erst nach der Wahl einreichen und das Verfahren würde sich wohl über Jahre hinziehen.

Auch Rechtswissenschaftler Martin Morlok hält die Kürzung der AfD-Wahlliste auf nur noch 18 Kandidaten aus formalen Gründen für richtig: „Die Basis der Demokratie muss hier strikt beachtet werden“, um Manipulationen auszuschließen. Er erinnert an die Annullierung der Bürgerschaftswahl 1993 durch das Hamburger Verfassungsgericht, weil beim Nominierungs-Parteitag der CDU die Redezeiten nicht fair verteilt gewesen seien.

Ganz anders Politikwissenschaftler Dr. Benjamin Höhne von der Martin-Luther-Universität Halle. Sicher wurden von der AfD Formfehler begangen, denn „normalerweise ist das gar kein Problem, dass man an mehreren Wochenenden einen Aufstellungsparteitag abhält, der als eine gesamte Aufstellungsversammlung gezählt wird“.

Höhne kann sich jedoch nicht vorstellen, dass diese Entscheidung des Landeswahlschusses „einer rechtlichen Nachprüfung standhalten wird“. Seines Erachtens sei der „Eingriff zu stark“, weil er die Verhältnismäßigkeit zwischen den Formfehlern und „der freien Wahl der AfD“ mit ihrem wirklichen Ergebnis im Parlament nicht gewahrt sieht. Es werde wohl nach gerichtlicher Prüfung – die AfD will vor das sächsische Landesverfassungsgericht ziehen – „nicht dazu kommen, dass man nur die ersten 18 Kandidaten wählen kann, weil der Eingriff zu stark ist“. Viele dieser Kandidaten könnten zudem noch ihre Wahlkreise gewinnen, was eine weitere Benachteiligung für die gestutzten 18 Listenplätze wäre.

Höhne betont, Landeswahlausschüsse stünden zudem immer wieder in der Kritik bei der Zulassung von Parteien, kleine fühlten sich oft ungerecht behandelt. „Aber wenn es um eine Partei geht, die einen substanziellen Mitspieler im Parteiensystem darstellt, dann ist das schon von erheblicher Tragweite.“ Obendrein könne die AfD damit ihre Opferrolle stärker in den Vordergrund stellen – damit tue „man letztlich der AfD und der Demokratie insgesamt keinen Gefallen“.

Alle anderen Parteien wären überproportional vertreten

In der Tat würden nach der Sachsen-Wahl die tatsächlichen Gewichte des Wählervotums mit Sicherheit verfälscht. Selbst Rechtswissenschaftler Morlok muss einräumen: „Der Landtag wird also de facto verkleinert, wenn die Liste weniger Kandidaten enthält als die nach Stimmen eigentlich verdienten. Der Landtag wird aber nicht verkleinert, um die Proportionalität zu wahren.“

Das heißt: Die AfD verliert durch weniger Abgeordnete – womöglich bis zu 15 – deutlich an Einfluss auf Kosten der anderen Parteien, die hingegen ihr volles Stimmengewicht mit ihren gewählten Abgeordneten behalten. Die Fraktionen von CDU, SPD, Linken, Grünen und FDP werden nicht entsprechend verkleinert, um das wirkliche Wahlergebnis wieder zu spiegeln. Das könnte auch bedeuten, dass bei einer knappen Ministerpräsidentenwahl der Kandidat bei voller Fraktionsstärke der AfD gar keine Mehrheit bekommen hätte – also nur durch die Mandatsverkürzung für die AfD an die Macht gekommen wäre. So etwas nennt man einen handfesten politischen Skandal.

Die Wirkung kann eine andere sein
AfD in Sachsen: Formfehler oder Anschlag auf die Demokratie?
Darauf läuft es in jedem Fall hinaus, wenn sich SPD, Linke und Grüne wie bei der Oberbürgermeisterwahl in Görlitz noch darauf verständigen, mit einer Nationalen Front à la DDR jeweils den CDU-Kandidaten mit ihren Erststimmen zu unterstützen, um den Direkt-Wahlkreissieg des AfD-Bewerbers zu verhindern. Spekulationen über solche Absprachen machen schon die Runde. Schließlich ist die Eroberung der Direktwahlkreise die einzige die Möglichkeit der AfD, bei der sächsischen Landtagswahl ihre klare Benachteiligung bei den Listenkandidaten etwas auszugleichen. Die CDU zittert also, ebenso ihr Ministerpräsident Michael Kretschmer, weil die AfD jetzt voll auf den Solidarisierungseffekt beim sächsischen Wähler setzt, der schon immer staatlichen Vorgaben misstraut. Und nichts schlimmeres kann der CDU passieren, dass ihre Anhänger gezwungen sind, kollektiv mit Rot-Rot-Grün wählen zu sollen. Denn werden sie das?

Obendrein sinkt das Vertrauen vieler Wähler in die Demokratie weiter. Die erleben gerade, im Nachgang der EU-Wahl, dass am Ende nicht der den Job bekommt, der sich einer Wahl gestellt hat, so wie versprochen. Sondern angeschlagene Minister wie Ursula von der Leyen, die noch parteipolitisch versorgt werden müssen. Das ist Hinterzimmerpolitik auf unterstem Niveau, undemokratisch und frustrierend für den Wähler.

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