Tichys Einblick
Vor dem Bundesparteitag

Noch liegt Merz in der Gunst der CDU-Delegierten in Führung

Der Parteitag am nächsten Wochenende wird nicht nur über den künftigen Vorsitzenden der CDU entscheiden, sondern auch über das Erbe der Angela Merkel. Das Format der digitalen Konferenz könnte Friedrich Merz zugute kommen.

imago Images

Mitte Januar soll Angela Merkels Kanzlerwahlverein einen neuen CDU-Vorsitzenden bekommen. Ex-Bundestagsfraktionschef Friedrich Merz, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Ex-Bundesumweltminister Norbert Röttgen wollen Nachfolger des Totalausfalls an der CDU-Spitze werden. Sie möchten die gescheiterte Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer ablösen.

Die drei Herren sind keine guten Freunde. Auf dem virtuellen Parteitag tritt der bürgerlich-konservative Basisliebling Merz gegen den grenzenlosen Asylbefürworter Laschet und den ökologischen Transformierer Röttgen an.

Eins ist vorab nüchternen Beobachtern klar: Nur mit Friedrich Merz als CDU-Chef hat die Union noch eine Chance, als bürgerliche Partei zu überleben. Mit Grünen-Freund und Ministerpräsident Armin Laschet oder dem ebenso grünaffinen Norbert Röttgen als CDU-Chef ist der „Untergang Teil zwei“ nach dem endgültigen Abgang von Merkel programmiert.

Doch hat so ein Untergangs-Szenario die Unionsfunktionäre von CDU und CSU bislang erschreckt? – wohl kaum.

Im Gegenteil: Merkels rigider Corona-Kurs mit Furcht und Schrecken scheint zumindest bei der Mehrheit des Wahlvolkes laut Umfragen anzukommen. Warum also dagegen ankämpfen? Lieber mit den Wölfen heulen, das ist allemal sicherer.

Zwar sieht die Union mit durchschnittlich 36 demoskopischen Prozenten dank Merkels Angstpolitik zur Bewältigung der Corona-Krise im Augenblick noch relativ gut aus. Aber wenn erst im laufenden Jahr die Insolvenzwelle anrollt, Unternehmen pleitegehen und die Arbeitslosenzahlen massiv steigen, welcher klardenkende Unionsanhänger mag dann noch hohe Wetten auf ein bombiges CDU-Ergebnis zur Bundestagswahl abschließen?

Auf einem digitalen Bundesparteitag wird die CDU am 15. und 16. Januar ihren künftigen Parteivorsitzenden wählen. Das Meinungsmagazin „The European“ wollte zu Beginn des neuen Jahres wissen, wie ist die Stimmungslage unter den 1.001 Delegierten vor dem virtuellen Konvent ist.

Dessen interessante Sondierungsanalyse zeigt einen Trend, der der heimlichen CDU-Chefin und Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht gefallen dürfte. Ausgerechnet ihr Erzfeind Friedrich Merz, den sie um jeden Preis verhindern will, liegt bei den meisten Delegierten in Führung. Mit Merz an der CDU-Spitze kann sie womöglich bis zu ihrem Amtsende nicht mehr so unwidersprochen durchregieren wie bisher.

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Und wer weiß, vielleicht will sie als Kanzlerin wegen einer vermeintlich anhaltenden Corona-Notlage noch ein Jahr dranhängen, und die Bundestagswahlen um ein Jahr auf 2022 verschieben lassen. Dann wäre Merkel auch länger im Amt als Helmut Kohl. Allein damit würde sie sich, der es nicht so sehr ums Geld, sondern vor allem um Macht und Meriten geht, mit der längsten Kanzlerschaft seit 1949 in die Geschichtsbücher eintragen.

Kanzlerin Merkel hat zwar verbreitet, sie wolle im Herbst 2021 ihr Amt mit Ablauf der Regierungszeit beenden. Aber wie gering die Halbwertzeit solcher Andeutungen und anderer Versprechen von Politikern ist, haben Wahlbürger schon so oft erlebt. Schließlich kann aus Merkels Sicht keiner so gut Kanzler wie sie. Der begeisterte Applaus großer Teile der staatstragenden Presse, insbesondere der öffentlich-rechtlichen Sender, wäre ihr gewiss.

Ein Parteitag mit digitalem Applaus der Delegierten

Die CDU erlebt in der kommenden Woche eine Kampfabstimmung um den Parteivorsitz. Statt in der Stuttgarter Messehalle sollen sich die 1.001 CDU-Delegierten zu einer großen Digital-Konferenz zusammenschließen. Die Bewerbungsreden der drei Kandidaten am Samstagvormittag sind streng auf maximal 15 Minuten limitiert. Merz, Laschet und Röttgen werden dazu am 16. Januar in die Messehalle Berlin vor die Kameras bestellt.

Damit nicht genug: Zum Schluss des Konvents werden die Nationalhymne und der Applaus für den neuen Vorsitzenden auch noch digital eingespielt. In der Einladung zum Parteitag heißt es: „Deshalb folgender Aufruf: Nehmen Sie ein Video von sich auf, wie Sie sichtbar Applaus spenden (ca. 60 Sekunden, gerne lächelnd), um u. a. nach der Abstimmung über den neuen Parteivorsitzenden Ihre Anerkennung sichtbar machen zu können.“

Das war aber noch nicht alles: „Nehmen Sie ein weiteres Video auf, in dem Sie unsere Nationalhymne singen – keine Sorge: Sie werden nicht einzeln zu hören sein, sondern Ihre Stimme wird zusammen mit vielen anderen Stimmen in einem großen Chor erklingen. So werden Sie mit Ihren Videos elementarer Teil unseres digitalen Parteitags sein.“

Na, wenn das nicht die Basis vom Hocker reißt, was dann?

Schlechte Zeiten für Kungelrunden

Digitale Personenwahlen auf einem Online-Parteitag hat es bisher in der deutschen Parteiengeschichte noch nicht gegeben. Seit Jahresbeginn kontaktieren die Organisatoren ihre CDU-Delegierten telefonisch und fragen sie, ob sie über eine ausreichende Ausstattung verfügen oder Unterstützung benötigen. Wenige Tage vor dem Parteitag findet zudem ein Probelauf mit allen 1.001 Teilnehmern statt.

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Zwar würde Kandidat Merz bei einem Mitgliederentscheid, laut CDU-Insidern, den Vorsitz „locker gewinnen“. Doch auf einem CDU-Parteitag entscheidet nicht die Basis, sondern eine seit Jahren Merkel-geprägte Funktionärsschicht.

Dennoch besteht für Merz durch den virtuellen Konvent Hoffnung: Anders als bei normalen Parteitagen können diesmal die üblichen Kungelrunden und Hintergrundabsprachen nicht persönlich stattfinden. Diskrete Begegnungen, bei denen Merkel und Co. Delegierte auf Parteitagen gefügig machen, fallen weitgehend aus. Deswegen gibt es unter CDU-Delegierten und Führungsschicht derzeit intensive Telefon-Sondierungen, bei denen die unterschiedlichen Lager Delegiertenlisten nach Gefolgsleuten abtelefonieren.

Umfrage sieht wohl einen Merz-Vorsprung 

Das hat über den Jahreswechsel auch die European-Redaktion getan. Dabei zeigte sich ein erstes Stimmungsbild. Friedrich Merz habe deutlichen Rückhalt in den ostdeutschen Landesverbänden und eine Mehrheit in Baden-Württemberg, Niedersachsen sowie Hamburg. Dazu stünden die Mittelständler, die Junge Union, Wertkonservative und der Wirtschaftsflügel weitgehend hinter ihm. Armin Laschet hat in Schleswig-Holstein, im Saarland und in Rheinland-Pfalz klaren Rückhalt. Die Arbeitnehmerschaft sowie die Frauen-Union neigten ihm ebenfalls zu. Die Landesverbände Hessen und Nordrhein-Westfalen seien gespalten. Summiere man die derzeitige Stimmungslage und Gefolgschaften, so könne Merz mit rund 380 Delegiertenstimmen halbwegs sicher rechnen. Hinter Armin Laschet versammelten sich zum Jahresauftakt etwa 260 latente Stimmen. Norbert Röttgen könne in Umfragen nur zirka 60 Delegierte einigermaßen sicher mobilisieren, so die European-Analyse.

Wobei Röttgens Stimmen aus dem linksgrünen CDU-Lager bei einer Stichwahl zwischen Merz und Laschet mit Sicherheit beim Merkel-Kursvertreter aus der Düsseldorfer Staatskanzlei landen werden. Überhaupt stammen alle drei Kandidaten aus Nordrhein-Westfalen.

Rund 300 Delegierte sind jedoch noch unentschieden oder halten ihr Votum geheim. Auf sie wird jetzt die Merkel-Administration via Telefon Einfluss nehmen, vermuten CDU-Insider.

„Sag mir wo Du stehst, und welchen Weg Du gehst!“

Diesen Songtext des Oktoberklubs aus der Singebewegung der DDR dürfte die ehemalige FDJ-Sekretärin Angela Merkel noch gut kennen. Muttis notgedrungener Favorit hat ihn diese Woche wörtlich genommen. Armin Laschet stellt das, was in der DDR „Klassenstandpunkt“ hieß und heutzutage Haltung heißt, vorsorglich im linksorientierten Stern klar. Der bald 60-jährige Vorsitzkandidat aus Aachen will mit voller Überzeugung an der CDU-Spitze weiter-merkeln. So jedenfalls lautet seine Botschaft: „Ein Bruch mit Angela Merkel wäre exakt das falsche Signal.“ Soso.

Von sich selbst ist Laschet auch sehr überzeugt. Denn: „Wer hat schon einmal eine Wahl gewonnen, wer hat schon einmal eine Regierung geführt, wer weiß, worauf es ankommt, um Menschen zusammenzuführen.“ Weil er ja alle Punkte erfülle, traue er sich auch noch die Nachfolge Merkels im Kanzleramt zu, so interpretiert es jedenfalls die Hamburger Illustrierte. Unterm CDU-Chef und Kanzlerkandidaten geht beim Grünen-Freund Laschet wohl kaum etwas.

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Mit dieser Aussage sucht Laschet vermutlich Merkels Schutz vor dem Parteitag. Denn durch ihn, so das Kalkül, das sicher im Kanzleramt gut ankommt, könnte in Deutschland und der EU Merkels höchst umstrittene wie auch gefährliche Asyl-Einwanderungspolitik der offenen Grenzen unumkehrbar werden. Aber auch die Politik von Merkels gnadenloser Alternativlosigkeit und Verteilungsfreude von hart erarbeiteten deutschen Steuermilliarden an andere EU-Staaten und den Rest der Welt würde fortgesetzt.

Nun, auch darüber müssen die Delegierten am kommenden Wochenende entscheiden.

Bei der Jungen Union jedenfalls macht Laschet keinen Schnitt. Dort kommt bei einer Abstimmung Friedrich Merz auf 51,95 Prozent, Norbert Röttgen auf 28,1 und Armin Laschet abgeschlagen nur auf 19,95 Prozent der Stimmen. Ähnlich sieht es an der Basis in Baden-Württemberg aus, wie eine Abstimmung im Kreisverband Esslingen zeigt:

Friedrich Merz – der bescheidene Öko-Umbauer

Wesentlich bescheidener muss sich der bürgerliche Kandidat Merz präsentieren, damit ihn die linksgrüne Mehrheitspresse wegen seiner wirtschaftsliberalen Haltung nicht komplett abschießt. Allerdings hat ihm sein ab und zu eingestreutes AfD-Bashing null Punkte beim Medienkorps eingebracht.

Lediglich per Interview und nicht in seiner Wahlwerbung grenzt sich Merz von Merkels Pro-Asyl-Einwanderung ab. Der CDU-Vorsitzkandidat spricht sich immerhin gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus Lagern in Griechenland und Bosnien aus: „Die gesamte Europäische Union hat vor allem die Verpflichtung, den Flüchtlingen auf dem Balkan oder auf den griechischen Inseln an Ort und Stelle zu helfen.“ Also nicht wie bisher durch Merkels willkommene Einwanderung ins deutsche Sozialsystem. Denn: „Diese humanitäre Katastrophe lässt sich allerdings nicht dadurch lösen, dass wir sagen: Kommt alle nach Deutschland. Dieser Weg ist nicht mehr geöffnet.“ Dann sagt Merz noch, was man von einem deutschen Bundeskanzler längst erwarten müsste: „Die klare Botschaft an die Flüchtlinge wie an die Schlepperorganisationen muss sein: Es ist lebensgefährlich, und es wird keinen Erfolg haben.“ Das wird den regierungsnahen Medien ganz und gar nicht gefallen. 

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Damit seine Wahl auf dem virtuellen Parteitag nicht aussichtslos wird, gibt sich „Familienvater“ Merz in seinem Wahlspot vorsorglich als Freund der Jugend und Frauen, ja sogar als ökologischer Umbauer der sozialen Marktwirtschaft. Von konservativen Gedanken, Asylproblemen und Lasten für die Wirtschaft ist jedenfalls nicht die Rede. Sein vermutliches Kalkül: Seine konservativen Gefolgsleute wählen ihn ohnehin, also braucht er die Stimmen grünorientierter Delegierter wie Junge und Frauen. In der „Frauen Union der CDU“ soll es bei einem jüngsten Stimmungsbild von deren Bundesvorstand einen knappen Vorsprung für Laschet vor Röttgen und dann erst Merz gegeben haben.

Wie weit also diese Merz-Taktik aufgeht, werden wir am nächsten Wochenende sehen, wenn der neue CDU-Chef vorerst nur digital feststeht.

Jetzt will der Mann des Impfchaos auch noch Kanzler werden

Denn die Wahl eines CDU-Vorsitzenden auf einem digitalen Parteitag ist rechtlich noch nicht zulässig. Deswegen schließt sich eine Briefwahl an, bei der die Delegierten ihre sogenannte „digitale Vorauswahl” nochmal durch ein Kreuz auf einem Wahlzettel bestätigen. Fünf Tage nach der Digitalwahl, am 21. Januar um 18 Uhr, müssen diese Wahlzettel dann in der Berliner Parteizentrale vorliegen, denn schon am nächsten Tag wird ausgezählt. Erst mit dem Ergebnis vom 22. Januar steht der neue CDU-Vorsitzende wirklich fest. Der digitale Applaus der Delegierten am 16. Januar ist insofern ebenso virtuell wie der Parteitag.

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Und wenn sich zwei Spitzenkandidaten um den CDU-Vorsitz streiten, arbeitet ein Dritter im Untergrund für den Kampf ums Kanzleramt. Ausgerechnet Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der sich mit der Bestellung und Verteilung von Anti-Corona-Impfstoffen blamiert hat, bekommt jetzt trotzdem Höhenflüge. Laut Presseberichten habe Spahn Ende des vergangenen Jahres in mehreren Telefonaten CDU-Vertretern erläutert, dass er sehr wohl über eine Kanzlerkandidatur nachdenke. Spahn, der Mann des Impfchaos, hebt also völlig ab.

Deutschland befindet sich in der verheerendsten Krise seit dem Weltkrieg, nichtsdestotrotz treiben Spahn und Co. Machtgelüste um. Na, wenn diese Aussichten kein Ansporn für Friedrich Merz sind, nicht nur CDU-Boss sondern auch noch Kanzlerkandidat zu werden, um wenigstens das Allerschlimmste zu verhindern. Für vieles ist ohnehin zu spät. Was für tolle Aussichten im neuen Jahr!

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