Tichys Einblick
Desolater FDP-Zustand

Brandbriefe und Parteiaustritte wegen der Ampelpolitik

Die liberale Basis rebelliert. Die Parteiführung soll das unsägliche Bündnis mit SPD und Grünen endlich aufkündigen. Doch die Spitze um Bundesvorsteher Christian Lindner bunkert sich ein – sie will einfach mit „weiter so“ in den Abgrund.

IMAGO
Die Ampel ist inzwischen so beliebt wie Herpes, würden Kabarettisten heute formulieren, wenn sie nicht dem grünen Zeitgeist erlägen. Besonders unter Wählern und immer mehr FDP-Mitgliedern macht sich größerer Unmut breit. Nach acht verheerenden Wahlniederlagen in Folge mit Verlusten der parlamentarischen Existenz im Saarland, Niedersachsen, Berlin und Bayern brennt es lichterloh unterm Dach. Die Basis rebelliert. Immer mehr Freidemokraten wird klar, dass die Regierung mit ideologischen Grünen und einer Nancy-Faeser-SPD eine toxische Verbindung für die FDP in der Bundesregierung ist.

Die Unterstützerszene aus Unternehmern und Selbständigen nimmt mehr und mehr ab. Die Spendenbereitschaft sinkt und zu FDP-Veranstaltungen kommen immer weniger Mitglieder.

Nun ruft es an der Basis lautstark nach dem Ampel-Austritt. In einem Brandbrief an die Parteiführung um FDP-Chef Christian Lindner fordern jetzt Kommunal- und Landespolitiker der FDP einen Austritt ihrer Truppe aus der Bundesregierung. Insgesamt 26 FDP-Mitglieder haben ein entsprechendes Schreiben abgeschickt, der Tichys Einblick vorliegt. Darin heißt es: „Die letzten Wahlen haben deutlich gezeigt, dass explizit die FDP von den Wählern in Deutschland für die Leistungen der Bundesregierung abgestraft wurde.“

„Die FDP verbiegt sich in dieser Koalition bis zur Unkenntlichkeit“

Die Migrationsdebatte drehe sich mit wachsender Geschwindigkeit um sich selbst, ohne dass Fortschritte erzielt würden. „Fortschritte sehen wir nur bei den Stimmanteilen der AfD und bei der Kriminalität.“

Das gefeierte Bürgergeld lasse alle, die nicht in hochbezahlten Jobs arbeiteten, als die Deppen der Nation dastehen. „Ehrliche Arbeit ist weniger attraktiv als Bürgergeld.“

Die Energiepolitik dieser Regierung wirke erratisch und stümperhaft. Sie lasse sich am besten mit Jemandem vergleichen, „der ohne Fallschirm aus einem Flugzeug springt und dabei fest darauf baut, dass ihm auf dem Weg nach unten schon jemand einen Fallschirm bringen werde“. Rumms.

Damit nicht genug: Im Ampel-Bündnis mit SPD und Grünen verbiege sich die FDP „bis zur Unkenntlichkeit“. Das werde von den Wählern „zu Recht abgestraft“. Die FDP nehme „sehenden Auges in Kauf, dass ihr politisches Erbe von ‚Partnern‘ beschädigt wird. Die FDP muss daher ihre Koalitionspartner dringend überdenken“, fordern die FDP-Politiker in ihrem Brandbrief an die Parteiführung.

Überdenken ist gut, austreten wäre besser. Aber den Zeitpunkt dafür hat Lindners Resterampe, seine FDP liegt derzeit im Schnitt von acht Umfrageinstituten bei 5,25 Prozent, im Grunde verpasst. Rechtzeitig vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen hätte sie wegen des freiheitsfeindlichen Heizungsgesetzes des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck die toxische Koalition noch halbwegs glaubhaft verlassen können mit der Begründung: Die FDP habe es versucht, aber mit den Grünen sei eben kein marktwirtschaftlicher Staat zu machen.

Der frühere NRW-Fraktionsvorsitzende Gerhard Papke findet zwar die Basis-Initiative aller Ehren wert: „Aber ich kenne Lindner gut. Das wird ihn leider überhaupt nicht interessieren. Auch wenn es weiter bergab geht.“

Die Folge des „weiter so“ von Lindner: Der Wert der FDP hat sich seit der Bundestagswahl 2021 praktisch halbiert. Die Fünf-Prozent-Hürde kann die Partei derzeit kaum noch überwinden. Landtagswahlen verwandeln sich in Ausschlussabstimmungen.

Unterschrieben haben den siebenseitigen „Weckruf Freiheit“ eine FDP-Landtagsabgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern sowie zahlreiche Kommunalpolitiker aus Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Andere genervte FDP-Mandatsträger, die vor Wahlen stehen wie in Baden-Württemberg, tauchen lieber ab: „Sie möchten dazu nichts sagen.“ Sie retten sich auf ihre Heimatinsel und glauben, der Berliner Abwärtsstrudel wird sie schon nicht nach unten ziehen. Eine sehr trügerische Taktik.

Wähler und Mitglieder laufen der FDP in Scharen davon

An der Basis laufen den Freidemokraten derweil nicht nur die Mitglieder, sondern auch engagierte Funktionäre davon. In Brandenburg, Thüringen und Sachsen stehen im kommenden Jahr wieder Landtagswahlen an. Könnte man bei bwin auf Parteiergebnisse wetten, gäbe es für dreimal FDP unter fünf Prozent kaum eine Gewinnquote. Drei weitere Niederlagen kann die Parteispitze um Lindner schon jetzt einpreisen, weil es obendrein wohl schon am 9. Juni zur EU-Wahl mit einer möglichen Spitzenkandidatin und Aufrüstungspolitikerin wie Agnes Strack-Zimmermann eine erste Wählerquittung für die Berliner Ampelpolitik gibt.

Vor den Landtagswahlen breiten sich allein in Sachsen schon Auflösungserscheinungen aus. Kristin Franke, früheres Landesvorstandsmitglied, inzwischen wie andere aus der FDP ausgetreten, schmerzt es regelrecht anzusehen, „wie die FDP ihre liberalen, insbesondere ihre wirtschaftsliberalen Werte verrät, um einen Koalitionsfrieden nach außen zu wahren.“ Sie könne die Beschwichtigungen, wie sie im Gespräch mit Tichys Einblick sagt, man würde ja Schlimmeres verhindern, schon nicht mehr hören.

Franke spricht aus, was viele Wähler und Mitglieder empfinden: „Die FDP ist eine Affäre mit zwei linken Parteien eingegangen, die einen Systemwandel forcieren und denen Freiheit und Wohlstand der Bürger nicht am Herzen liegen.“

Freiheit in Verantwortung hieß es früher bei der FDP immer, so Kristin Franke. Aber nicht zuletzt das Bürgergeld, sei „ein Tritt in den Hintern jedes arbeitenden Bürgers“. Der liberale Leitsatz sei zum Klospruch degradiert. „Die FDP hat sich verbogen, um regieren zu können, und das politische Vakuum im konservativ-liberalen Spektrum vergrößert, wovon die AfD profitiert“, analysiert die ehemalige sächsische Landespolitikerin aus Leipzig gegenüber Tichys Einblick.

Mehr noch: Die Migrationskrise gebe es seit 2015. Doch plötzlich wachten die FDP-Spitzen nach acht Jahren auf. Vor allem der schönfärbende Gastbeitrag Lindners und seines Justizministers Marco Buschmann in der Welt am Sonntag zur härteren Asylpolitik wäre für viele an der Basis „einfach nur noch peinlich“, findet die 41-jährige Schriftstellerin Franke. Jetzt auf einmal schwenken sie um, Jahre zuvor wurden Asylkritiker aus deren Sicht noch als „rechts“ stigmatisiert. Die FDP-Spitzen wollten jetzt verzweifelt „vergrätzte Wähler zurückgewinnen“.

Mit Kristin Franke trat im Januar auch der frühere Bundestagskandidat und Landesvorständler Martin Richter aus der FDP aus.

Die Ampel ist für die FDP eine toxische Verbindung

Eine Bereitschaft zur Kehrtwende ist bei Lindner und Co. jedoch nicht vorhanden. „Lieber schlecht regieren als nicht regieren“, lautet sein verhängnisvolles Credo. Dabei betonte er einst immer das Gegenteil. Als Bundesfinanzminister hat sich der FDP-Chef ohnehin bereits als „Herr der Schulden“ einen Namen gemacht. Allerdings vermurkst der 44-jährige Parteivorsteher nicht allein den Kurs. Mitverantwortlich für den seit dem Eintritt in die Ampelregierung mit Grünen und SPD anhaltenden Absturz ist sein Büchsenspanner und Bundesjustizminister Marco Buschmann.

Lindners linke Hand richtete die FDP als früherer Bundesgeschäftsführer und Chefideologe grün aus. Lindner und Buschmann werden in FDP-Kreisen schon länger „Pinky und der Brain“ genannt. Nicht von ungefähr: Pinky und der Brain sind zwei sprechende Labormäuse einer Zeichentrickserie, die in jeder Folge versuchen, die Weltherrschaft an sich zu reißen, wobei ihre Versuche stets scheitern. Doch sie können es halt nicht lassen, und wollen trotz Basis-Protesten mit Grünen und SPD in der Ampel einfach weitermurksen.

Selbst wenn viele Mitglieder sich in den Ländern aus ihrer Partei verabschieden. In Sachsen zum Beispiel hat auch der erfahrene Kommunalpolitiker und frühere Landtagsabgeordnete Mike Hauschild Lindners Liberalen ade gesagt. Der bis vor kurzem amtierende Kreisvorsitzende aus Bautzen verließ Ende September nach fast 20 Jahren enttäuscht die FDP. „Werte wie Leistungsorientierung, Marktwirtschaft, traditionelle Familienordnung und die kritische Auseinandersetzung mit Problemen, statt blindem Obrigkeitsgehorsam, sind früher als konservativ bezeichnet worden und würden heute gern als rechtsextrem diffamiert“, klagt der 51-jährige Hauschild an. „Dabei sind diese Werte, auch für eine moderne Gesellschaft völlig normal.“ Zu seinem Bedauern habe auch in der FDP eine Funktionärspolitik um sich gegriffen. Sein Kreisverband Bautzen hatte vor einem Jahr noch 140 Mitglieder, jetzt seien es deutlich weniger als 120, sagt er Tichys Einblick.

Auch der Kreisvorsitzende Nordsachsens Martin Ermler kehrte der FDP erst im Sommer den Rücken. Für ihn sei jetzt Schluss, erklärt er Tichys Einblick: Als ehemaliger Soldat empfand er die nicht vorhandene Ablehnung seitens FDP zur Lieferung von verbotener Streumunition an die Ukraine als großen Fehler liberaler Außenpolitik. Ermler störe zudem, dass die FDP sich in der Berliner Ampel „als Prügelknabe für Grüne und SPD“ hergegeben hat.

Mitgliedsaustritte sind also die Folge von Lindners Ampelpolitik und Buschmanns Durchgrünung der Partei. So soll inzwischen der Kreisverband Leipzig von 400 auf 350 Mitglieder geschrumpft sein.

Bundesweit sieht es vielerorts nicht viel anders aus.

Lindner und Buschmann haben insofern ganze Arbeit geleistet. Eine Traditionspartei löst sich langsam auf.

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