Tichys Einblick

Auf der Straße geht der Protest samstags weiter

Trotz Drohungen von Kanzlerin und treuen Medien versammeln sich immer mehr Leute aller politischer Couleur samstags in den Städten, um für Grundrechte, Freiheit sowie den Erhalt ihrer Existenzen und Arbeitsplätze zu demonstrieren.

Stuttgart, 09.05.2020

imago images / 7aktuell
In München kamen am Samstag über 3.000 zusammen. Motto der angemeldeten Veranstaltung war das Thema „Grundrechte“. 80 Teilnehmer durften es nur sein. Mehr als 500 zogen mit Transparenten durch die Frankfurter Innenstadt. Sie riefen „Legt den Maulkorb ab“, „schließt euch an“ und „Widerstand“. Tausende versammelten sich in Stuttgart auf dem Cannstatter Wasen, die Behörden hatten maximal 10.000 Teilnehmer erlaubt.

In Leipzig protestierten auf dem Nikolaikirchhof diesmal gut 250 gegen die Corona-Zwangsmaßnahmen. Auch in Köln demonstrierten mehrere Hundert am samstagnachmittags unangemeldet gegen die Corona-Maßnahmen.

Rund um den Berliner Rosa-Luxemburg-Platz waren am Samstag erneut zahlreiche Kundgebungen angemeldet, sowohl aus dem linken wie aus dem rechten Spektrum. Selbst Berlins Polizei sprach von einer „Vielfalt der Meinungen“. Die Kundgebungen hatten Titel wie „Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen“, „Grundgesetz statt Corona-Wahnsinn“, „Hygiene-Zeitungsverteilung“, aber auch „Gegen Rechtsextremismus“, „Gesundheit ohne Zucker“ oder einfach nur „Gemeinsames Beisammensein bei Sonnenschein“.

Liberale Politiker werden als Demonstranten kritisiert

In Gera gerät Thüringens FDP-Chef Thomas Kemmerich wegen seiner Teilnahme an einem Protest gegen Corona-Auflagen ins Visier von Sittenwächtern. Kemmerich musste auf Anordnung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) als demokratisch gewählter Ministerpräsident zurücktreten. Sein ins Amt gemogelter Nachfolger Bodo Ramelow von den Linken teilt jetzt per Twitter gegen seinen Konkurrenten und Vorgänger aus: „Abstand halten oder Mund-Nasenschutz-Bedeckung? – Fehlanzeige. Vorbildfunktion? Fehlanzeige!“ Gleichzeitig wird Kemmerich noch in die rechte Ecke gestellt. Vor allem aus den eigenen Reihen. Es zeigt, wie tief die FDP sich wieder im Selbstzerstörungsmodus befindet. Ausgerechnet die Bundesvorsitzende der FDP-Nachwuchsorganisation Junge Liberale, Ria Schröder, wetterte Seit an Seit mit dem SED-Erben Ramelow: Wer bewusst Hygiene-Regeln missachte und sich zu Rechtsextremen einreihe, gefährde alle und untergrabe die konstruktive Arbeit der FDP.

An der Demonstration nahmen auch AfD-Vertreter teil, darunter der Thüringer Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner aus Gera. Kemmerich hielt auf der Demonstration auch eine kurze Ansprache. Hätte eine rotgrüne Szene wie in Berlin demonstriert, wäre die Kritik natürlich ausgefallen.

Dabei hatte Kemmerich seine Teilnahme in Gera mit Argumenten für „Verhältnismäßigkeit und einen Corona-Exit mit Maß und Mitte“ verteidigt. Obendrein organisierte die Demonstration für Zivilcourage ein Mann aus der Mitte wie Peter Schmidt, der regionale Vertreter des CDU-Wirtschaftsrats. Nach Polizeiangaben nahmen 600 Personen am demonstrativen „Spaziergang“ durch die Geraer Innenstadt teil. Einen Mund-Nasen-Schutz trägt kaum jemand. Die Polizei schrieb bei Twitter dennoch von einer „durchweg friedlichen und störungsfreien Versammlung“.

Aber weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wird vom Gros der Einheitspresse hinter dem Widerstand schnell „eine Vereinnahmung durch Verschwörungstheoretiker und Rechtspopulisten“ suggeriert – selbst durch Redakteure in Springers Welt unter der Überschrift: „Corona-Wahnsinn: Tausende demonstrieren und verstoßen gegen Corona-Regeln.“

So will man potentielle Teilnehmer aus der gesellschaftlichen Mitte abschrecken. Auch mit Hinweisen wie, „ohne den Mindestabstand einzuhalten“ oder es seien „verschwörungsideologische Kundgebungen“. Meinungsfreiheit in Deutschland war einmal.

Steht ARD nur noch für Agitation, Rechthaberei, Direktiven?

Vielleicht haben aber auch öffentlich-rechtliche Kommentatoren wie der ARD Chefredakteur Rainald Becker die Menschen regelrecht auf die Straßen getrieben. Mit seinem „Loblied auf die Kanzlerin“ in den Tagesthemen, wie der Münchner Merkur schrieb, warf der offensichtliche ARD-Agitator vernünftige Politiker, die für Lockerungen der Zwangsmaßnahmen eintreten, ebenso Corona-Kritiker mit angeblich Verwirrten und Spinnern in einem Atemzug in einen Topf. Kritiker und Querdenker stigmatisierten Journalisten in sozialistischer Tradition schon in der Sowjetunion oder der DDR als Verwirrte und Spinner. Bürgerrechtler und Dissidenten wie Alexander Solschenizyn oder Rudolf Bahrow wurden im Regime von KPdSU und SED genauso vom staatlichen Fernsehen verurteilt. Wer nicht an den „wissenschaftlich bewiesenen Sieg des Sozialismus“ glaubt, kann nur irren und ein Irrer sein.

Zu sogenannten Spinnern werden jetzt also nicht nur Bürger aller Couleur, sondern auch kritisierende und demonstrierende Politiker ernannt, selbst wenn Merkels beratende Virologen sich zeitweise irren und ständig mit neuen Zahlenreihen operieren.

Widerstand ist zwecklos, wir sind der Staat, Merkel muss bleiben, könnte die Parole der Agitatoren dieser Tage lauten. Wer trotzdem auf die Straße geht, wird fertig gemacht oder im schlimmsten Fall von der Polizei brutal verhaftet wie ein jugendliches Mädchen am 2. Mai auf dem Friedensplatz in Dortmund.

Die geschürte Angst durch hohe staatliche Stellen wie durch das Bundesinnenministerium im Verlauf der Corona-Krise Ende März war für die meisten hochbezahlten Fernsehkommentatoren hingegen kein Aufreger-Thema. Im Gegenteil: Vor allem die elektronischen Medien verstehen sich als Propaganda-Partner, der aus ihrer Sicht unfehlbaren und daher sakrosankten Bundesregierung von Angela Merkel.

Das Versagen der Bundeskanzlerin, die trotz Risikoanalyse über eine drohende Pandemie ihr Land nicht auf eine solche Krise vorbereitet hatte, war für TV-Aktivisten hingegen keine journalistische Aufklärung wert.

Immerhin hatte Merkel seit der Risikoanalyse vom 3. Januar 2013 durch Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) offensichtlich kaum etwas für die Abwehr einer drohenden Pandemie getan. In dieser Studie unter fachlicher Federführung des Robert Koch-Instituts und Mitwirkung weiterer Bundesbehörden wurden Gefahren und Folgen durch die Einschleppung eines modifizierten SARS-Virus aus China – wie jetzt geschehen – detailliert beschrieben. Doch Deutschland war darauf nicht vorbereitet.

Deswegen rissen viele Klinikärzte schon zu Beginn der Pandemie bitterböse Witze wie zu Zeiten des Ost-Blocks: „Keine Schutzmasken in diesem Krankenhaus, keine Schutzkleidung ein Krankenhaus weiter und keine Beatmungsgeräte noch ein Krankenhaus weiter!“

Erst jetzt, ein Vierteljahr nach dem staatlich organisierten Mangel zur Corona-Bekämpfung, fällt Merkels Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) nun ein, Produktionskapazitäten in Deutschland für Atemschutzmasken aufzubauen. Die Bundesregierung plane einen Investitionskostenzuschuss von 30 Prozent für eine Produktionskapazität von 2,5 Milliarden Schutzmasken pro Jahr, verkündet Altmaier total verspätet. Denn Schutzmasken kommen bislang meist aus dem Corona-Virus-Herkunftsland China.

Die Bürger brauchen eine optimistische Botschaft

Die Proteste auf den Straßen zeigen dennoch, dass der verbreitete Glaube an die Unfehlbarkeit von Merkels Regierung arg ins Wanken gerät, allem Pro in Regierungsumfragen zum Trotz. Wahrscheinlich deswegen fiebern journalistische Agitatoren innerlich förmlich, die Ansteckungsquote möge wieder steigen, damit ihre grüne Kanzlerin Recht behält. Denn: Die Partei, die Partei, die hat immer Recht, echot es aus dem Sozialisten-Untergrund. Allerdings widersprechen sich wieder einmal die Zahlen, zwar steigt die Reproduktionszahl knapp über eins (1,1 – auf unsicherer Datenbasis), aber die Sterbefälle sinken. Auch die Ansteckungsquoten sprechen eine andere Sprache als die der Regierenden und ihrer Zentralorgane.

Leipzig verzeichnet nur Faktor 1,2 der einstige Hot Spot Hamburg 4,4 genauso wie Köln, Berlin 7,2, Frankfurt am Main 8,0 und selbst München nur 11,0. Bei Faktor 50 pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen will Merkel in solchen Risiko-Kreisen wieder Zwangsmaßnahmen einführen. Derzeit gibt es jedoch nur drei Hot Spots: durch eingeschleppte Corona-Viren bei ausländischen Arbeitskräften in Fleischfabriken von Coesfeld/NRW (85,0) und Steinburg/Schleswig-Holstein (62,4) sowie aus dem österreichischen Skigebiet Ischgl eingeschleppt nach Greiz/Thüringen (75,4).

Sachlich bleiben und Meinungsfreiheit ausüben, kann nur die Antwort auf die angstgesteuerte Politik der Bundesregierung lauten. Genau dafür demonstrieren die meisten Menschen auf der Straße. Mit Verschwörungstheorien, die in Krisenzeiten immer kursieren, hat die Mehrheit sicher nichts zu tun. Zumindest die Bild-Zeitung versucht hin und wieder einen optimistischen Kurs zu finden. Auf ihrem Corona-Daten-Radar stand genau die Botschaft, die Bürger von ihrer Bundesregierung erwarten müssten: „Mehr als 143.000 Deutsche haben Corona besiegt“. Allerdings um heute wieder in den Krisenmodus zu fallen: „Infektionsrate steigt wieder an.“ Es wird ja auch viel mehr getestet als Wochen zuvor.

Positiv und hoffnungsvoll denken, können Merkel, Becker und viele andere in Krisenzeiten halt nicht. Sie wollen Menschen mit Angstzuständen unter ihre Weltsicht zwingen.

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