Tichys Einblick

Manni braucht keine Nachhaltigkeit

Wer dem Pfad der nachhaltigen Entwicklung folgt, landet in einem elektrifizierten Mittelalter. Mammuts bekommt man auf diesem Weg aber nicht zurück.

Beeindruckend sind sie schon, die Begegnungen mit den lebensgroßen Nachbildungen allerlei Dinosaurier während des Spaziergangs durch die Epochen der Erdgeschichte. Aber besonders faszinierend wird es erst am Ende des Weges, an dem die Figur eines Mammuts auf den Besucher wartet. Denn dessen Gestaltung enthält keinerlei spekulative Elemente, wir wissen genau, wie diese Rüsseltiere wirklich ausgesehen haben. Zudem waren sie einst Zeitgenossen der Menschheit und viele Indizien bringen ihr Aussterben sogar mit den Fertigkeiten steinzeitlicher Jäger in Verbindung. Aspekte, die die lärmende, auf das Modell zustürzende Kinderschar natürlich nicht umtreiben. „Manni“ jauchzen sie vergnügt und streicheln das künstliche Fell des Plastikkörpers, als sei es der Leinwandheld aus dem Animationsfilm „Ice Age“, dem hier ein Denkmal gesetzt würde. Deutlicher kann man die Irrtümer nicht erfahren, die der Forderung nach einer „nachhaltigen Entwicklung“ zugrunde liegen.

Als politische Handlungsmaxime hat der Begriff „nachhaltig“ eine vergleichsweise kurze, dafür aber umso steilere Karriere hinter sich. Was im alltäglichen Sprachgebrauch „langfristig anhaltende Zustände oder Wirkungen“ bezeichnet, wurde in den 1980er Jahren zu einem Prinzip umgedeutet, nach dem die Menschheit natürliche Ressourcen nicht über das Maß hinaus nutzen darf, in dem diese sich regenerieren. „Darf“ wohlgemerkt und nicht „sollte, wenn möglich und sinnvoll“, denn die in den 1970ern populär gewordene Vorstellung endgültiger Entwicklungsgrenzen, denen wir durch unsere Lebensweise bedenklich nahekämen, stellt den gedanklichen Ursprung dieses Dogmas dar. Alle großen politischen Denkrichtungen unserer Zeit, ob Konservatismus, Liberalismus oder Sozialismus, sind mittlerweile der durch die UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission) im Jahr 1983 formulierten Fassung verfallen, nach der wir unsere gegenwärtigen Bedürfnisse auf eine Art und Weise erfüllen müssen, die die Fähigkeit künftiger Generationen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse nicht einschränkt. „Enkelgerecht“ will unsere Bundesregierung dementsprechend handeln und wen würde das nicht überzeugen?

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Für Manni und seine Artgenossen kommt dieser Ansatz zu spät. Trotz der großen Bedeutung, die sie wahrscheinlich für die Versorgung nomadischer Gesellschaften in den Kältesteppen Sibiriens hatten. Die Tiere lieferten nicht nur Fleisch, sondern allerlei Materialien zur Anfertigung einer Vielzahl nützlicher Artefakte. Die Vorstellung, es könnte sie einmal nicht mehr geben, wird vielleicht zu den Schreckensszenarien gehört haben, die sich unsere Vorfahren vor zehntausenden von Jahren in dunklen Stunden ausmalten. Sich nachhaltig zu entwickeln hätte für die Steinzeitmenschen bedeutet, das Mammut auf jeden Fall zu erhalten. Es nicht so intensiv zu bejagen, wie möglicherweise geschehen, damit es auch ihren Nachkommen weiterhin zur Verfügung steht. Die Sache ging anders aus. Manni existiert nicht mehr. Ein Umstand, dessen völlige Bedeutungslosigkeit die Nachhaltigkeitsideologie in ihren Grundfesten erschüttert.

Denn der Mangel an „Enkelgerechtigkeit“ kennzeichnet nicht nur die Steinzeit, sondern zieht sich durch alle Epochen der Menschheitsgeschichte. Zu keinem Zeitpunkt schlugen unsere Vorfahren den Pfad einer nachhaltigen Entwicklung ein. Immer wurden natürliche Ressourcen ausgebeutet und genutzt, um aktuelle Bedürfnisse zu befriedigen – ohne jede Rücksicht auf nachfolgende Generationen. Was erwiesenermaßen nicht das Ende der Zivilisation bedeutete, sondern ganz im Gegenteil zu immer besseren Lebensbedingungen führte. Scheinbar war man früher noch geerdet genug für die einfache Erkenntnis, weder die Bedarfe künftiger Generationen, noch deren Fertigkeiten kennen zu können.

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Was hätte auch ein Römer für die Gegenwart bewahren sollen? Was ein Mensch des Mittelalters? Und was ein Zeitgenosse der frühen Neuzeit? Pelze für Kleidung beispielsweise? Oder Bienenwachs und Walöl für Beleuchtungszwecke? Pferde und Ochsen für den Warentransport? Holzkohle für die Eisenverhüttung und Pergament für die Kommunikation? Tatsächlich kann man alle diese Dinge nach wie vor erwerben. Nur werden sie nicht mehr unbedingt benötigt. Keine einzige Ressource, die jemals für den Menschen Bedeutung hatte, ist heute deswegen nicht mehr vorhanden. Keine einzige Ressource wurde jemals vollständig und unwiderruflich verbraucht. Es ist auch alles noch da, was das Mammut zu bieten hatte, ob Elfenbein, Knochen, Fleisch oder Fell.

Die Grenzen des Wachstums, die von den Befürwortern einer nachhaltigen Entwicklung absolut gesetzt werden, sind in Wahrheit relativ und verändern sich dynamisch. Sie hängen primär von unseren technischen Möglichkeiten ab. In dem Maß, in dem diese sich ausweiten, verschieben sich zuvor unüberwindbar erscheinende Barrieren in immer größere Distanzen, wenn sie nicht ohnehin irrelevant werden. Die Menge an jagdbarem Wild determiniert nicht mehr die Anzahl an Menschen, die man ernähren kann. Die Geschwindigkeit, in der Bäume nachwachsen, limitiert nicht mehr die Anzahl an Schiffen, die man bauen kann. Und die Kapazitäten und Geschwindigkeiten des Waren- und Personentransports sind nicht mehr von der Kraft und Ausdauer von Pferden abhängig.

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Aber wie jede Ideologie verfügt auch die „nachhaltige Entwicklung“ über das perfide Potential, die Risiken, zu deren Vermeidung sie erdacht wurde, durch ihre Anwendung erst selbst zu generieren. Ihre Verfechter wünschen sich ein Gemeinwesen, dessen stoffliche und energetische Basis nicht länger die überreich vorhandenen mineralischen und fossilen Rohstoffe aus der Erdkruste bilden, sondern die auf der Oberfläche wachsende Biomasse. Sie wollen zudem die Produktivität der Landwirtschaft durch die Erzwingung „ökologischer“ Anbaumethoden deutlich reduzieren. Das wäre dann tatsächlich eine Welt, in der klimatische Rahmenbedingungen, in der der geringe Wirkungsgrad der Photosynthese, in der die Volatilität und geographische Fragmentierung natürlicher Energieflüsse nur eng begrenzte Wachstumsoptionen bieten. Nachhaltigkeit ist Mittelalter plus Elektrifizierung, getragen von der Hoffnung, eine Suffizienzwirtschaft wäre digitalisiert erträglicher. Dem wohnt eine gewisse, wenn auch diabolische Logik inne.

Bedingungen, die den gefahrlosen Verzicht auf jede Form nachhaltiger Entwicklung gestatten, sind in solche zu verwandeln, die dieses Konzept notwendig erscheinen lassen. Und damit das auch so bleibt, erlaubt man unseren Nachkommen keine anderen Bedürfnisse und Möglichkeiten, als wir sie heute schon haben. Nachhaltigkeit und Stasis bedingen einander. Die „Enkelgerechtigkeit“ der Bundesregierung äußert sich lediglich in dem Versuch, heutige Ängste und Handlungsoptionen für die Zukunft festzuschreiben. Technologien mit dem Potential, eingebildeten wie gerechtfertigten Sorgen die Grundlage zu entziehen, ob Nanotechnik, Kerntechnik oder Gentechnik, bekämpft und verbietet man da natürlich besser.

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Angesichts der blinden, meist gar begeisterten Unterwerfung unserer politischen, wirtschaftlichen, medialen und kulturellen Eliten unter diesen überwältigenden Nihilismus stellen die Kinder aus dem Freizeitpark einen echten Lichtblick dar. Sie werden ihre Nächte nicht schlaflos vor Trauer über den Verlust der Mammuts verbringen, für sie ist Manni auch als virtueller, fiktiver Kumpel gegenwärtig. Und vielleicht ist es ihre Begeisterung, die Investoren und Forscher zusammenführt, um das Mammut aus seinem noch identifizierbaren Genmaterial neu zu erschaffen und in paläontologischen Erlebniswelten den staunenden (und deswegen großzügig zahlenden) Besuchern zu präsentieren. Vielleicht wird sogar eines dieser Kinder seine Faszination bewahren, um dereinst als Biotechnologe an solchen Projekten mitzuwirken. Dann käme Manni wieder zurück, lebendig und in voller Lebensgröße, als wäre er nie weggewesen. Dazu braucht es keine Nachhaltigkeit, sondern Fortschritt. Dazu braucht es den Antrieb und den Mut, Grenzen zu durchbrechen, statt sie nur zitternd anzustarren.