Tichys Einblick
Auch in Bayern

Von „50 Prozent plus X“ wagt die CSU nicht einmal zu träumen

Wie die anderen ist diese Volkspartei nur noch ein Schatten ihrer selbst – wegen eigener Fehler, aber vor allem auch, weil das Volk ein anderes geworden ist.

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Ob die CSU am Sonntag so schlecht abschneidet wie in den jüngsten Umfragen oder ob der Absturz nicht ganz so drastisch ausfällt, kann für die Regierungsbildung im Freistaat ganz wichtig sein. Eines aber lässt sich schon vor Schließung der Wahllokale vorhersagen: Auch die Bayernwahl ist ein Indiz dafür, dass die Zeit der Volksparteien in Deutschland offenbar zu Ende geht. Die CSU, die sich stets als erfolgreichste Volkspartei Europas gefeiert hat, ist schwer angeschlagen. Den bayerischen Genossen droht sogar die Halbierung ihres ohnehin schon bescheidenen Stimmenanteils.

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Die zwei Volksparteien Union und SPD waren jahrzehntelang Garanten für die Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie. Als aus dem einstigen Drei-Parteien-System mit CDU, SPD und FDP durch das Aufkommen der Grünen und die Westausdehnung der PDS ein Fünf-Parteien-System wurde, blieben die beiden Volksparteien Stabilitätsanker von zwei politischen Lagern: dem schwarz-gelben und dem rot-grünen oder rot-rot-grünen. Mit dem Vormarsch der AfD als neuer Kraft am ganz rechten Rand hat sich die Parteienlandschaft drastisch verändert: In der parteipolitischen Bundesliga ergibt sich damit folgendes Tabellenbild: Die stark geschwächte CDU/CSU ist und bleibt Tabellenführer, aber mit mageren 26 oder 27 Prozent. Dahinter kämpfen SPD, AfD und Grüne mit Werten zwischen 15 und 18 Prozent um die Position als zweitstärkste Kraft. FDP und Die Linke schneiden mit jeweils rund zehn Prozent für ihre Verhältnisse nicht schlecht ab und müssen den Abstieg unter die 5-Prozent-Grenze nicht fürchten, haben aber keinen Anschluss an das Mittelfeld.

Der Niedergang der beiden einst großen Parteien lässt sich zum Teil mit ganz konkreten Fehlern erklären. Union wie SPD haben seit 2015 mit ihrer „Willkommenspolitik“ einen großen Teil ihrer eigenen Wähler verprellt. Ebenso hat die CDU mit ihrem Kurs der Modernisierung, einem anderen Begriff für Sozialdemokratisierung und Vergrünung, mehr alte Wähler verloren als neue gewonnen. Gleiches gilt für die SPD, die mit der Abkehr von der „Agenda“-Politik in der Mitte mehr abgeben musste, als am linken Rand zu holen war. Doch die eigentlichen Ursachen für den Niedergang reichen tiefer. Die Gesellschaft ist zu vielfältig und zu differenziert, als dass zwei politische Parteien zusammen noch die Interessen von 80 oder 70 Prozent der Menschen abdecken könnten.

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In der Schwächung der Union und im Niedergang der SPD spiegelt sich der gesellschaftliche Wandel wider: Unser Land ist vielfältiger, bunter, heterogener als jemals zuvor. Soziale Lage, Lebenslage und Lebensstil unterscheiden sich stärker als früher. Die Union lebte bis in die achtziger Jahre vom konservativ-kirchlichen Milieu. Das „C“, der Antikommunismus und die Marktwirtschaft waren die großen Klammern, die alle zusammenhielten: Unternehmer und Arbeiter, Großstädter und ländliche Bevölkerung, Katholiken und Protestanten. Inzwischen hat das Christliche seine Bindekraft weitgehend verloren, der Kalte Krieg ist vorbei und sich politisch korrekt gebende Christen sind eher bei den Grünen anzutreffen als in der CDU.

Nicht anders sieht es bei den Sozialdemokraten aus. Sie bezogen ihre Kraft aus der Industriearbeiterschaft und dem gewerkschaftlichen Milieu; sie boten sich den kleinen Leuten als Schutzmacht an. Die großen Ziele, die alle verbunden haben, waren sozialer Aufstieg, soziale Gerechtigkeit und mehr politische Macht für die Arbeitnehmerschaft. Das hat sich dramatisch verändert. Der kleine Mann ist groß geworden, der moderne Facharbeiter ist viel selbständiger, als sein Vater es war, die Gewerkschaften sind längst nicht mehr so stark wie einst. Vor allem aber ist die Kluft innerhalb der Arbeitnehmerschaft, etwa zwischen IT-Spezialisten und für Mindestlohn arbeitenden Kurierfahrern, größer als jemals zu vor. Die SPD-Funktionäre mögen noch ihre alten Arbeiterlieder singen; der selbstbewusste, sich nicht schutzbedürftig fühlende Angestellte von heute schüttelt da amüsiert den Kopf.

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Entgegen aller Vorurteile gehen die Uhren in Bayern nicht anders; sie ticken nur langsamer. Das Land steht wirtschaftlich glänzend da, es herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Das alles ist zweifellos auch das Ergebnis einer vorausschauenden Politik, für die die CSU seit 1949 (mit zwei kurzen Unterbrechungen) die alleinige Verantwortung trägt. Oder um einen CSU-Spruch zu zitieren: „Die Landschaft ist ein Geschenk Gottes; der Rest ist harte Arbeit.“ Die Partei hatte es zudem geschafft, im Freistaat für ein einzigartiges „Mia san mia“-Gefühl zu sorgen: Bayern gegen den Rest der Welt.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Das Bayern von 2018 ist nicht mehr das von vor zwanzig oder mehr Jahren. Die wegen des wirtschaftlichen Erfolgs und des aufnahmefähigen Arbeitsmarkt aus anderen Teilen der Republik Zugewanderten sind für die weiß-blaue Folklore nur bedingt zu begeistern. Die Kirchen prägen die Ortschaften und Städte zwar optisch, werden aber auch viel weniger besucht als früher. Im Übrigen dürften die Bayern der ständigen Erfolgsmeldungen etwas überdrüssig sein. Was man hat, nimmt man als selbstverständlich hin. Umso wichtiger werden dann vermeintliche oder tatsächliche Fehlentwicklungen wie auf dem Wohnungsmarkt registriert und kritisiert. Auch bestätigt sich eine alte Regel: Wenn es den Menschen wirtschaftlich gut geht, haben eher die weichen Themen wie Umwelt oder Gleichberechtigung Konjunktur. Das sind aber nicht gerade die Stärken der CSU.

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Deshalb schafft es auch die CSU nicht mehr, so vielen Bürgern wie früher zu vermitteln, das „ein richtiger Bayer nur CSU wählen“ könne, wie es Günther Beckstein einmal formuliert hat. Zudem ist die CSU seit der Flüchtlingskrise nur noch bedingt ein Garant für Sicherheit und Ordnung. Sie hat in Berlin eine Politik mitgetragen, die zum Kontrollverlust geführt und Wähler zur AfD getrieben hat. Da aber die CSU beim Thema „Flüchtlinge” mit starken Worten zu kompensieren sucht, was sie in der Koalition mit der Merkel-CDU nicht in die Tat umsetzen kann, verliert sie bürgerliche Wähler an die Grünen. Die krachlederne Sprache der CSU („Herrschaft des Unrechts“, „Asyltourismus“, „Anti-Abschiebeindustrie“) verstört die sich weltoffen–tolerant–liberal gebenden „Weltbürger“ in den großen Städten. Die CSU ist zweifellos noch immer eine Volkspartei. Aber sie spricht nicht mehr „50 Prozent plus X“ der Wähler an, sondern nur noch ein gutes Drittel. Und das gilt „Stand heute“.

Bayern steht bestens da, aber nicht die CSU. Daran ist sie in hohem Maße selbst schuld: Der von „Schmutzeleien“ geprägte Zweikampf Söder gegen Seehofer, der ständige Streit mit Merkel und der CDU, Seehofers Ultimaten und Drohungen, die meistens folgenlos blieben – dies alles hat das Bild von der CSU als gut geölter, reibungslos laufender Regierungsmaschine beschädigt. Doch vieles davon hätte die alte CSU im Wahlkampf wieder ausgleichen können. Doch auch diese Volkspartei ist nur noch ein Schatten ihrer selbst – weil auch das Volk ein anderes geworden ist.


Wahlwette Bayern:

Wer über alle genannten Parteien hinweg am nächsten an den Ergebnissen landet, gewinnt.

Ihre Wetten nehmen wir ab sofort entgegen.

Annahmeschluss ist der Wahlsonntag (14.10.2018 ) um 16:30 Uhr. Das Wettergebnis wird am Wahlsonntag um 17.45 Uhr veröffentlicht.

Auf die Gewinner wartet:

1. Platz: eine Flasche Champagner von Tante Mizzi
2. Platz: zwei Bücher aus dem Shop nach Wahl
3. Platz: ein Buch aus dem Shop nach Wahl

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