Tichys Einblick
Energie von Drachen, Böen und Schwingungen

Sonnenstrom bei Nacht

Deutschland baut Wind- und Solarenergie weiter aus und wird auch 2030 bei Flaute und Dunkelheit daraus keinen Strom haben. Ab Anfang der dreißiger Jahre wird in mehreren europäischen Ländern erstmals oder mehr Atomstrom fließen.

IMAGO/Photoalto

Unsere regierungsbegleitenden Medien vermitteln nicht nur Haltung, sondern auch Optimismus. Wenn es „ruckelt“ (Scholz), so gilt es immer wieder deutlich zu machen, dass der Kurs richtig ist. Den reaktionären Kräften im Land, die den Erfolg der deutschnationalen Energiewende bezweifeln, muss etwas entgegengesetzt werden.

„Sonne in der Nacht“ lautet der Titel des 1985 erschienenen Studioalbums von Peter Maffay. Es geht darin um Träume, Feuer im Vulkan und Tau auf heißem Sand. Ein erfolgreicher Song, den vermutlich jeder irgendwie im Ohr hat. Aus künstlerischer Sicht ist das Herbeizaubern einer nächtlichen Sonne mit Phantasie und Lyrik kein Problem. Beim Umgang mit der deutschen Dekarbonisierung ist es jedoch ein wesentlicher Nachteil, nachts nicht auf Sonnenlicht zurückgreifen zu können. Es soll doch eine künftige Säule unserer Energieversorgung sein.

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„Revolutionäre Solarzellen“ verspricht uns aber ein Beitrag in der „Frankfurter Rundschau“ (FR). Berichtet wird von Solarzellen, die auch nachts Strom liefern. Das lässt aufmerken, gab es doch schon mit der Mondlichtkugel eine vermeintlich bahnbrechende Erfindung. Quelle des FR-Beitrags ist ein Bericht der Stanford-Universität, wonach der nächtliche Temperaturunterschied von Paneel und Umgebung einen Photonenfluss auslöst. Dieser bewirke wiederum einen geringen Stromfluss. Der Effekt könne durch technische Ergänzungen von Solarmodulen genutzt werden, so die Forscher. Es wäre eine Art eines thermoelektrischen Generators, was experimentell nachgewiesen werden konnte. Der so erreichbare Stromfluss hängt stark von der nächtlichen Umgebungstemperatur ab, bis zu 50 Milliwatt (mW, tausendstel Watt) pro Quadratmeter Paneelfläche seien erreichbar.

Grund zum Zweifel am physikalischen Prinzip gibt es nicht, an der Darstellung in der FR schon. Von „nachtaktiven Solarpaneelen“ vor dem Hintergrund der Unabhängigkeit von Russland ist die Rede. Ohne Licht könnten geringe Mengen Stroms erzeugt werden. Es wird der Eindruck erweckt, durch dieses Aufkommen nächtlichen Sonnenstroms (50 mW pro Quadratmeter im Vergleich zu 200 Wattpeak pro Quadratmeter tagsüber – also 0,025 Prozent) könne der Energiewende zum Erfolg verholfen werden. Bei bestehenden PV-Anlagen lässt sich dieser Effekt allerdings nicht nutzen, es bedürfte Nachrüstungen oder eben der Neuproduktion. Das ist in der Darstellung unwichtig, es geht um Erfolgsmeldungen und Hoffnung, die erhalten bleiben soll.

Der Beitrag in der FR stammt vom April 2022. Eine Revolution, wie versprochen, scheint es nicht zu sein, denn neuere Berichte dazu gibt es nicht.

„Steig, Drache, steig zum Himmel hinan“

So textete Hoffmann von Fallersleben für ein Kinderlied. Auch Flugdrachen sollten zum Erfolg der vollumfänglichen Wind-Sonne-basierten Versorgung beitragen. Um die ist es inzwischen vergleichsweise ruhig geworden. RWE testet seit zwei Jahren in Irland Flugwind-Anlagen. Die Flugdrachen von „enerkite“ werden vom Klimaminister höchstselbst beworben. Ursprünglich wurden erste Anlagen schon 2018 am Markt erwartet (gemeint ist der Subventionsmarkt), nun soll der Dauerbetrieb mit einem Prototypen starten, ein „ganzheitlicher Anlagenentwurf“ ist das Ziel. Derzeit sammelt man Fördermittel und weiteres Geld ein.

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Eine weitere Idee sind „Segelkraftanlagen“ für die Innenstädte. Sie nutzen nicht den Wind an sich, sondern die Energie von Windböen. Man könne mit einer Anlage täglich zwei Gerichte für vier Personen auf einem Elektroherd kochen. Immerhin bezeichnen sich die Unternehmer auch als Klimaschützer, Weltverbesserer und Entwicklungshelfer. Die in Medien vor zwei Jahren beschriebenen Schwingungs-Windkraftanlagen sind wieder abgetaucht. Es handelte sich um Säulen, die vom Wind in Schwingungen versetzt werden und daraus Strom gewinnen. 100 Watt pro Anlage wären möglich gewesen, theoretisch und bei optimalem Wind.
Ein Blick über den Rand

Während derartige Meldungen in unseren Medien kommen und gehen, schaffen unsere Nachbarn Tatsachen. Sie wissen um die Bedeutung einer sicheren und bezahlbaren Energieversorgung. In Polen laufen die Genehmigungen und Vorbereitungen für den ersten AP1000-Reaktor von Westinghouse. Er besitzt vollständig passive Sicherheitssysteme, modulare Bauweise und hat den Vorteil geringen Platzbedarfs.

Tschechien modernisiert seine Kernkraftwerke (KKW) und legte Standorte für künftige modulare Reaktoren (SMR) fest, die Ausschreibungen für einen neuen Reaktor in Dukovany laufen. Ungarn erweitert das KKW in Paks, Rosatom liefert zwei neue Rektoren. Die Niederlande nehmen Geld aus ihrem Klimafonds, um das KKW in Borssele zu erweitern. Zwei neue Reaktoren sollen gebaut werden, an SMR will man auch selbst forschen. Informationen über die Vorhaben anderer europäischer Länder sprengen hier den Rahmen.

16 Staaten machen mit
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Fakt ist: Investitionen in die Kernenergie sind langfristig und teuer. Die überlangen Bauzeiten in Olkiluoto (Finnland) und Flamanville (Frankreich) sind jedoch nicht der Technologie geschuldet, sondern Problemen des Managements, von Baumängeln und sich während der Bauzeit verschärfender Vorschriften. Inzwischen läuft das KKW in Olkiluoto, was zum Sinken des Strompreises führte und Finnland zum Stromexporteur machte. Das kommt insbesondere den baltischen Staaten zu Gute. Ab Anfang der dreißiger Jahre wird in mehreren europäischen Ländern erstmals oder mehr Atomstrom fließen. Ursache für diese Investitionsentscheidungen ist auch der Wegfall Deutschlands als Stromexporteur durch die mit unseren Nachbarn nicht abgestimmten Abschaltungen.

Wir bauen Wind- und Solarenergie weiter aus und werden auch 2030 bei Flaute und Dunkelheit daraus keinen Strom haben. Auch den Effekt des nächtlichen Photonenstroms aus PV-Modulen wird es dann geben, aber helfen wird er uns nicht.

Auch Drachen werden dann fliegen, so wie der Wind Anlagen in Schwingungen versetzen wird, auch Windböen wird es dann geben. Ein sicheres und preiswertes Energieversorgungssystem werden wir daraus allerdings nicht gewinnen. Ein paar fossile Kraftwerke sollen gebaut werden, noch weiß keiner, wer wann wie viele bauen wird und was es den Steuerzahler kosten wird. Grüner Wasserstoff soll kommen, preiswert und in großen Mengen. Konkretes weiß man nicht.

Bis dahin wird bei uns medial jeder „erneuerbare“ Halm am Wegesrand gezupft werden, um die Illusion der Machbarkeit dieser Form der wind- und sonnengestützten Energiewende aufrechtzuerhalten. Wir sind voller Erwartung auf die nächsten Energiewende-Erfolgsmeldungen, die kommen und gehen. Und auf den einen oder anderen Hit mit phantasievollem Text, vielleicht auch von Peter Maffay.