Tichys Einblick
Klimaneutral ins Mittelalter

Niko Paech hat recht mit seiner Postwachstumsökonomie

Halbwegs "klimaneutral" haben die Menschen zuletzt vor der industriellen Revolution gelebt. Wirksame Klimaschutzmaßnahmen führen uns automatisch in diese Zeit zurück. Wachstumskritiker wie Niko Paech haben das verstanden.

Die Moderne hat einen Feind. Und der heißt Klimaschutz. Kaum jemand weiß das so plastisch zu schildern wie Niko Paech, auch wenn er es andersherum formulieren würde. Deswegen ist es keine ganz schlechte Idee, in Zeiten der Klimahysterie Wachstumskritiker wie ihn zu Wort kommen zu lassen. Zuletzt konnte man den an der Universität Siegen dozierenden Volkswirtschaftler in der Tageszeitung, im Deutschlandfunk und (leider hinter einer Bezahlschranke) in der Süddeutschen lesen und hören. Getrieben von der Furcht vor menschgemachten ökologischen und klimatischen Katastrophen fordert er auch in diesen Texten und Interviews die Rückkehr zu einer an Suffizienz orientierten Gesellschaft mittelalterlichen Zuschnitts. Seit Jahren schon zieht Paech mit seiner Vision einer „Postwachstumsökonomie“ durch die Lande, wirbt für die Zerstörung von Autobahnen und Flughäfen, für das Ende der industriellen Massenproduktion und für die Abschaffung der intensiven Landwirtschaft. Sesshaftigkeit, Genügsamkeit und Entsagung sind die Stichworte, mit denen er einen klima- und umweltverträglichen Lebensstil umschreibt, dem sich jeder zu unterwerfen hätte, um die Apokalypse noch zu vermeiden. Für Paech liegt die Zukunft in dörflichen Gemeinschaften, in denen Heimarbeit mit einfachen mechanischen Werkzeugen und Selbstversorgung aus dem eigenen Garten unsere grundlegenden Bedarfe decken.

Allzu naheliegend scheint es, solche Vorstellungen als närrische Spinnereien abzutun. Aber das wäre ein Fehler. Denn Niko Paech hat recht. Sein Weg ist der einzige, auf dem die zur Einhaltung der Pariser Klimaziele notwendigen Emissionsminderungen erreicht werden können. Es ist schlicht nicht möglich, auf andere Weise die fossilen Energieträger im notwendigen Umfang und der erforderlichen Geschwindigkeit aus allen Wertschöpfungsketten zu entfernen.

"Energiewende-Index"
McKinsey: „Versorgungssicherheit nach Atom- und Kohleausstieg nicht mehr garantiert“
Für das Jahr 2018 gibt das Bundeswirtschaftsministerium den deutschen Primärenergiebedarf mit 12.900 Petajoule (PJ) an. Mineralöl, Braun- und Steinkohle sowie Erdgas deckten 79% davon ab, weitere 6% entfallen auf die Kernenergie. Da im grünen Zeitgeist gefangene Politiker alle diese Energieträger in den nächsten Jahren verbannen möchten, die Kernkraft schon sehr bald und die fossilen Kohlenwasserstoffe bis 2050, entfallen in den kommenden drei Jahrzehnten 85% unserer Energieversorgung. Manche wollen dies mit einem gedeckelten Emissionshandel erreichen, manche mit einer Kohlendioxid-Steuer und wieder andere schlicht durch Verbote. Das Ergebnis aber ist in allen drei Varianten gleich: Verkehrsleistung, Industrie- und Agrarproduktion, Dienstleistungsangebote und die private Versorgung mit Strom, Warmwasser und Raumheizung sinken bis 2050 auf 15% des heutigen Niveaus ab. Anfänglich langsam und zum Ende hin immer rasanter, da die einzelnen Bereiche miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig in den Abgrund reißen. Ich habe keine Ahnung, wann der deutsche Energieverbrauch zuletzt bei nur 2.000 PJ lag, aber das Jahr 1945 dürfte ein guter Kandidat sein. Und dann sind wir da angekommen, wo Niko Paech hin möchte.

Wer auch immer mit Konzepten wie „grünem“ oder „nachhaltigen Wachstum“ dagegenhält, streut sich und anderen Sand in die Augen. Denn die Auswahl an alternativen Quellen, die 11.000 PJ oder 3.000 TWh bereitstellen können, ist äußerst begrenzt. Es bleiben im Grunde nur das Abernten diverser Umgebungsenergieflüsse oder die Kernenergie. Wasserkraft, Geo- und Solarthermie können für Deutschland aus geographischen und geologischen Gründen ausgeschlossen werden. Wasserstoff und andere als Heilsbringer propagierte synthetische Kraftstoffe sind keine Primärenergieträger, sondern wären unter Nutzung anderer Energielieferanten mit erheblichen Umwandlungsverlusten erst zu produzieren. Tatsächlich bereitstellen könnten die 3.000 TWh nur:

  • 300.000 Windräder mit je fünf MW Nennleistung (bei angenommenen 2.000 Volllaststunden pro Jahr, aktuell drehen sich hierzulande knapp 30.000 Rotoren mit einer durchschnittlichen Nennleistung von zwei Megawatt)
  • Solarzellen auf 30.000 Quadratkilometern, was ungefähr der Fläche Brandenburgs entspricht (Ansatz 100 kWh Ertrag pro Quadratmeter und Jahr)
  • Energiepflanzen auf einer Anbaufläche von 1,4 Millionen Quadratkilometern (derzeit 21.000 Quadratkilometer bei einer Gesamtfläche Deutschlands von knapp 360.000 Quadratkilometern)
  • 375 Kernreaktoren mit jeweils 1.000 MW Nennleistung (bei angenommenen 8.000 Volllaststunden)

Menschen können mehr als Götter
Das Klima kann man nicht lenken - aber das Land klimafester machen
Eine kurz- oder mittelfristige Umstellung der Energieversorgung Deutschlands muss angesichts dieser Zahlen auch in einer Mischung der vier genannten Varianten als realitätsferne Utopie gewertet werden. Alle gegenwärtig diskutierten Klimaschutzkonzepte ignorieren die Größenordnung der angestrebten Veränderungen, weil sie die von der Physik absolut gesetzten Rahmenbedingungen nicht berücksichtigen. Was sich in zwei grundlegenden Irrtümern äußert. Da wäre  einerseits die Vorstellung, man könne durch Effizienzsteigerungen entlang der Umwandlungsketten den Primärenergiebedarf deutlich verringern, ohne den Endenergieverbrauch für beispielsweise Wärme, Licht und Vortrieb einschränken zu müssen. Und andererseits hofft man auf Innovationen, deren Entwicklung gerade durch die Festsetzung eines Preises für Kohlendioxid und damit der künstlichen Verteuerung der konventionellen Energieträger induziert werden soll. Insbesondere die Anhänger des gedeckelten Emissionshandels sind fest davon überzeugt, ein Mangel an Emissionsrechten wäre ein Geburtshelfer für alternative Technologien, die in einer wettbewerblich organisierten Marktwirtschaft dann automatisch erscheinen. Woher genau und welche das sein sollen, weiß natürlich niemand zu sagen. Aber dass es ähnlich schnell und ähnlich disruptiv wie in der Informationstechnologie zugehen würde, da ist man sich sicher.

Klimadebatte
Der „Klimakiller“ macht die Erde grüner
Allerdings setzt die Physik keine prinzipielle Untergrenze für die zur Speicherung einer Informationseinheit oder deren Bearbeitung notwendigen Aufwendungen. Die zur Verwandlung einer logischen „0“ in eine logische „1“ erforderlichen Energiemengen, Raumvolumina oder Zeitspannen können theoretisch bis in Dimensionen verringert werden, in denen man die (hypothetischen) Bausteine unserer Raumzeit selbst manipuliert. Will man aber eine Masse bewegen, ganz gleich, ob es sich um die Flügel einer Windmühle oder um ein Elektron in einem Siliziumkristall handelt, gibt es immer ein substantielles, nicht unterschreitbares Kostenlimit. Die Innovationsdynamik im Maschinenbau, insbesondere in der Energietechnik, war daher nie und wird auch niemals mit der in der Digitaltechnik vergleichbar sein. Deswegen setzen die Klimaschützer, meist ohne es zu begreifen, ausnahmslos auf alte, lange etablierte und häufig im Wettbewerb bereits gescheiterte Technologien mit hohen Reifegraden. Nein, es wird keinen Wunderakkumulator geben, der die Eigenschaften der heutigen Lithium-Ionen-Systeme deutlich übertrifft. Denn im Periodensystem gibt es kein Element leichter als Lithium mit einem höheren elektrochemischen Potential. Nein, es wird keine Wundersolarzelle geben, weil die energetische Differenz zwischen dem Valenz- und dem Leitungsband in Halbleitern nicht beliebig verringert werden kann. Und wer an Wunder-Windräder glaubt, dem steht gleich eine doppelte Enttäuschung bevor. Einerseits stellt die etablierte Bauform mit wenigen, möglichst schlanken Blättern an einer horizontalen Drehachse bereits die ideale Variante hinsichtlich des Verhältnisses von Materialeinsatz zu Ertrag dar. Und andererseits liegen die Wirkungsgrade moderner Windkraftanlagen mit über 50% bereits dicht am theoretischen Maximum von knapp 60%. In der Kette Windrad-Batteriepuffer-Elektrolyse-Wasserstoffdruckspeicherung-Brennstoffzelle-Elektromotor finden sich ausschließlich Technologien, die seit mehr als hundert Jahren in unzähligen Ingenieursstunden bis nah an ihr physikalisch mögliches Optimum getrieben wurden. Selbst wenn sich die in Kauf zu nehmenden Umwandlungsverluste von über 65% mit erheblichem Entwicklungsaufwand noch um den einen oder anderen Prozentpunkt verringern lassen, ist dieser Prozess nicht entscheidend effizienter als der Einsatz von Diesel- oder Ottokraftstoffen. Am Primärenergiebedarf des Verkehrs von derzeit gut 700 TWh ändert sich also selbst bei einer vollständigen Umstellung von Mineralöl auf Wasserstoff wenig. Effizienzsteigerungen sind zudem fast immer mit Rebound-Effekten verbunden, durch die Energieeinsparungen zu Mehrverbräuchen an anderen Stellen führen. Zum Beispiel für die Nutzung von Innovationen wie fliegenden Autos, dem 3D-Druck, Streaming-Diensten, Kryptowährungen und virtuellen Erlebniswelten.

Klimawende
7.600 Milliarden fürs Klima
Tatsächlich verlangt die bedarfsgerechte Versorgung unserer technisierten Lebenswelt einen skalierbaren Zugriff auf Energie mit umfassender räumlicher und zeitlicher Flexibilität. Allein gespeicherte Potentiale bieten einen solchen. Allein unter Normbedingungen stabile, feste, flüssige oder gasförmige chemische Energieträger lassen sich verlustfrei und mit geringem Aufwand lagern und transportieren. Allein diese gestatten eine technisch simple und damit effektive Gewinnung sowohl von Wärme, als auch von elektrischer Energie und Vortrieb in allen benötigten Leistungsbereichen vom Feuerzeug über den Dieselmotor bis hin zu Kohlekraftwerken oder Hochöfen. Und allein die fossilen Kohlenwasserstoffe, in denen mithilfe der Gravitation die Energieflüsse von Sonne und Erdkern dauerhaft gespeichert wurden, stehen in ausreichenden Mengen überall auf der Welt zur Verfügung. Es gibt keine Alternativen. Deswegen decken sie sogar 85% des globalen Primärenergiebedarfs. Ein seit Jahrzehnten nahezu unveränderter Anteil, der sich mittlerweile auf unvorstellbare 500 Exajoule oder 500 Millionen Petajoule pro Jahr beläuft – mit steigender Tendenz. Und Kohle, Erdöl und Erdgas haben nicht zufällig die industrielle Revolution bis heute angetrieben. Sie waren und sind die einzige Option.

Ohne die Rückabwicklung der Industrialisierung, ohne umfassenden Verzicht auf die technischen Segnungen der Gegenwart, ohne die ersatzlose Abschaltung fast aller unserer Maschinen und Apparate sind die Pariser Klimaziele daher nicht zu halten. Weder Aufforstungen im großen Stil, noch Kernspaltungsreaktoren der vierten Generation oder Fusionskraftwerke, noch das Abscheiden und unterirdische Speichern von Kohlendioxid werden rechtzeitig in ausreichendem Umfang Wirkung entfalten. Niko Paechs Plan ist der einzige, der sicher funktioniert. Wer vorindustrielle Kohlendioxid-Emissionen zurückhaben will, muss eben auch wieder so leben wie damals.

Anzeige