Tichys Einblick
Deutsche Hybris

Deutsches Umweltministerium will, dass Schweiz Kernkraftwerke stilllegt

Die Schweizer haben bei Volksabstimmungen im Jahre 2016 eine Initiative zum Atomausstieg abgelehnt und 2017 ihre Energiestrategie 2050 angenommen. Nach der gibt es kein Abschaltdatum für Kernkraftwerke, also eine praxisorientierte und energiesichernde Entscheidung.

Schweizer Kernkraftwerk Leibstadt am Rhein, Dogern, Baden-Württemberg, Deutschland

imago images / imagebroker
Die Schweiz soll das Kernkraftwerk Beznau «schnellstmöglich» abschalten. Das fordert wieder einmal Rita Schwarzelühr-Sutter. Sie ist parlamentarische Staatssekretärin des Bundesumweltministeriums und Bundestagsabgeordnete der SPD und hat ein entsprechendes Schreiben an die Schweizer Bundesrätin für Umwelt, Simonetta Sommaruga, geschickt: »Trotz Nachrüstungen sehe ich Laufzeiten von Atomkraftwerken von 50 Jahren wie beim AKW Beznau sehr kritisch. Dass die Schweizer Atomkraftwerke in Beznau, Gösgen und Leibstadt nach dem Willen der Betreiber nicht nur 50 Jahre, sondern sogar 60 Jahre und länger laufen sollen, ist eine fatale Fehlentwicklung.«

Das Kernkraftwerk Beznau ist das älteste Kernkraftwerk der Schweiz und zugleich die älteste Anlage der Welt, die noch in Betrieb ist. Es versorgt rund drei Millionen Schweizer zuverlässig und klimafreundlich rund um die Uhr mit preiswertem Strom. Aus Schwarzelühr-Sutters Sicht sicherlich schon ein wenig Neid erregend. Beide Beznau-Blöcke haben eine unbefristete Betriebsgenehmigung. Es darf so lange laufen und Strom liefern, wie die regelmäßigen Überprüfungen auf Sicherheit und Wirtschaftlichkeit dies zulassen.

Beide Blöcke liegen auf einer künstlichen Insel am längsten Fluss der Schweiz, der Aare, kurz bevor sie bei Waldshut in den Rhein mündet. Vor eineinhalb Jahren erst hat die schweizerische Atomaufsicht nach gründlicher Prüfung durch 25 weltweit tätige Experten grünes Licht für den weiteren Betrieb gegeben. Der Block 1 wurde wegen Einschlüssen im Stahl des Reaktordruckbehälters kurzzeitig außer Betrieb genommen. Doch die erwiesen sich als harmlos. Die Behörde erklärte nach dieser zweieinhalbjährigen Prüfung, dass die dienstälteste Anlage, die im Laufe ihres Betriebes immer wieder aufgerüstet wurde, nach wie vor sicher sei. Ensi-Direktor Hans Wanner: «Aus sicherheitstechnischer Sicht spricht nichts dagegen, dass Beznau 1 wieder ans Netz geht.«

Diesem Sachverstand eines internationalen Fachgremiums setzt die SPD-Diplom-Betriebswirtin Schwarzelühr-Sutter «besorgniserregender Sicherheitsmängel» entgegen. Sie fordert sogar von der Schweiz, auch das zweite direkt am Rhein gegenüber von Waldshut gelegene Kernkraftwerk Leibstadt abzuschalten. Auch das darf solange betrieben werden, wie die regelmäßigen Sicherheitsprüfungen dies erlauben. Es sorgt allerdings auf Waldshuter Seite für Ärger, weil manchmal die Wasserdampfschwaden aus dem Kühlturm die Sonne verdecken.

Eigentlich sollte die Schweiz gleich alle Kernkraftwerke abschalten, und am besten die Deutschen fragen, wie die eidgenössische Energiepolitik auszusehen habe. »Die Schweiz hat 2017 ein Neubauverbot für Atomkraftwerke gesetzlich verankert und damit den Weg in eine Zukunft ohne Atomenergie geebnet«, jubelt Schwarzelühr-Sutter in ihrer Pressemeldung. Sie hat vergessen, dazu zu sagen, dass die Schweizer bei einer Volksabstimmung im Jahre 2016 eine Initiative zum Atomausstieg mehrheitlich ablehnten und 2017 ihre Energiestrategie 2050 annahmen. Nach der gibt es kein Abschaltdatum für Kernkraftwerke, also eine praxisorientierte und energiesichernde Entscheidung.

Die Schweizer wiederum empören sich schon seit langem über die SPD-Frau Rita Schwarzelühr-Sutter. Die »rote Rita«, die bei den Bundestagswahlen 2013 und 2017 über die SPD-Landesliste Baden-Württemberg in den Bundestag einzog, bekämpft seit langem vehement auch den Züricher Flughafen. Dort brandet immer wieder ein jahrzehntelang gepflegter Streit um die startenden und landenden Flüge vom Flughafen Kloten auf. Die müssen über den südlichen Schwarzwald kurven. Dort in Lauchringen am Hochrhein nahe der Landesgrenze zur Schweiz wohnt Schwarzelühr-Sutter und stört sich am Fluglärm.

Sie selbst gehört zu den eifrigsten Flugbenutzern und fliegt seit 2005, als sie in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, regelmäßig von Zürich »zum Politisieren«, wie die bz aus Basel einst schrieb, nach Berlin. Dort kämpft sie dann im Bundesumweltministerium gegen Diesel, Fluglärm und Schweizer Kernkraftwerke.

Der Staatssekretärin geht es aber nicht nur um diese Anlage. Sie will schon seit längerem, «dass auch die übrigen Schweizer Atomkraftwerke zeitnah ihren Leistungsbetrieb einstellen».

Sie weiss sich eins mit ihren wenigen Wählern aus Waldshut. Am vergangenen Samstag hatte dort am Hochrhein der BUND eine Kundgebung »50 Jahre Beznau I – ein erschreckendes Jubiläum« organisiert. Er forderte die sofortige Abschaltung des Kraftwerkes. Die Zahl der Erschreckten hielt sich in engen Grenzen: Von 100 Teilnehmern berichtete der Südkurier.

Am deutschen Wesen soll auch die Schweiz genesen. Warum sich die Eidgenossen bei ihrer Energieversorgung ausgerechnet an den deutschen Irrwegen orientieren soll, verrät die »rote Rita« nicht. Auch nicht, was das Umweltministerium zu tun gedenkt, sollten die Schweizer ihre Kernkraftwerke einfach weiter laufen lassen. Ob sie sich an ihrem Parteigenossen, dem ehemaligen deutschen Finanzminister Steinbrück orientieren und die Kavallerie schicken will, ist offen.

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