Tichys Einblick

Das ABC von Energiewende und Grünsprech 100 – Strombedarf

Wie wird sich die Nachfrage nach Elektrizität entwickeln, wovon hängt sie ab und kann man sie vorhersehen, beeinflussen, organisieren oder festlegen? Neue Fragen, aufgeworfen durch merkwürdige Sichten von Politikern auf die Infrastruktur.

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Täglich werden wir mit Begriffen konfrontiert, die im Ergebnis einer als alternativlos gepriesenen Energiewende verwendet werden, durch sie erst entstanden sind oder eine neue Bedeutung erlangen. Wir greifen auch Bezeichnungen auf, die in der allgemeinen Vergrünung in den Alltagsgebrauch überzugehen drohen – in nichtalphabetischer Reihenfolge.

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Strombedarf, der

Dieser simple Begriff hat im Grunde keine Erklärung nötig, dennoch gerät er in den aktuell-politischen Diskussionen in ein neues Licht. Am Markt bildet sich der Bedarf durch die Nachfrage ab. Da es sich um einen europäischen Markt handelt, kann er auch nicht durch deutsche Planwirtschaftler außer Kraft gesetzt werden.

Seit August dieses Jahres marschieren die Großhandelspreise zügig nach oben, in der 37. Kalenderwoche (13. bis 19. September) lagen sie in der abendlichen Spitze um 19 Uhr zwischen 150 und 200 Euro pro Megawattstunde (MWh). Das ist fast das Zehnfache der Niedrigwerte während der Pandemie im April 2020. Über die Mittagszeit hilft gegenwärtig noch die Solarstromeinspeisung, aber mit Sonnenuntergang kippt der temporäre Export sofort in den Import und dann ziehen die Preise an, sicherer Strom hat seinen Preis – denn immer weniger Anlagen können ihn liefern:

 

Die schwarze Linie stellt den Bedarf dar, den wir über die Mittagszeit aus eigener Kraft meist mit Solarstrom abdecken können. Befindet sich unterhalb dieser Linie weißes Feld, so bedeutet dies Import. An einem Tag wie dem 15. September reichte infolge Bewölkung die Solareinspeisung nicht aus für die Eigenversorgung, so dass ganztägig der Import nötig war. Gegend Abend frischte dann der Wind auf, der vorher am 14. September um 10:30 Uhr mit 1,0 Gigawatt (bei einer installierten Leistung von 63,5 Gigawatt) wieder eine der inzwischen berüchtigten Minimalleistungen erbrachte.

Es häufen sich auch die Preisspitzen. Gehörten Strompreise jenseits der 100 Euro pro Megawattstunde (MWh) in den vergangenen Jahren zu den seltenen Ausreißern, häufen sie sich derzeit. In den Jahren 17 bis 20 fielen zwischen 6 und 34 Stunden mit Strompreisen oberhalb dieser Grenze an, 2021 war schon für 437 Stunden der Preis derartig hoch. Prägnanter noch der Unterschied im Preisbereich von 120 bis 140 Euro pro MWh, wo nur im Jahr 2017 erwähnenswert (für 16 Stunden) diese Grenze überschritten wurde, in diesem Jahr aber schon schon für 126 Stunden.

Teure Aussicht

Alle Beteiligten am Markt, Produzenten, Händler, Versorger, gehen von weiter steigenden Preisen aus. Diese sind eine normale Marktreaktion auf geringes Angebot, wofür unsere Politiker mit ihrer Abschaltkompetenz maßgebend beitrugen. Die deutsche Energiewende als nationaler Alleingang erhöht in ganz Europa die Strompreise, was den internationalen Beziehungen und der Stabilität der EU sicherlich nicht zuträglich ist.

Weitere Ursachen für temporär geringeres Angebot sind Reparaturen und Revisionen an Kraftwerken, die in der eigentlich lastschwachen Zeit im Sommer (noch ist meteorologischer Sommer) üblicherweise durchgeführt werden, auch stehen Anlagen störungsbedingt. KWK-Anlagen werden im Sommer ohnehin häufig nicht betrieben infolge nicht benötigter Wärmelieferungen.

Im Frühjahr hatten sich einige Kraftwerksbetreiber verkalkuliert. Das Kraftwerk Bergkamen-Heil, das den Zuschlag zur Stilllegung für den Oktober 22 bereits hat, sollte über den Sommer stillstehen, da schlechte Preise vermutet wurden. Gleiches plante man für zwei Braunkohleblöcke in der Lausitz. Bergkamen ging schon im August vorzeitig wieder in Betrieb, die Lausitzer Blöcke blieben in Betrieb, denn die Strompreise kletterten und die Generatoren erbrachten rund um die Uhr und auch am Wochenende meist volle Leistung. Am 14. August war nach Sonnenuntergang die Lage so prekär, dass vier Betriebe der Aluminium- und Kupferindustrie abgeschaltet werden mussten – an einem Samstag (!) im Hochsommer (!).
Nun können Vermutungen für die kommenden Winter angestellt werden, wenn zunächst drei, im Jahr danach sechs Kernkraftwerke fehlen und zusätzlich etwa sechs Gigawatt Kohlekraft vom Netz gehen werden.

Fachleute sprechen inzwischen von einer bevorstehenden Energiepreisexplosion, die den Mangel sichtbar macht. Diese Entwicklung ist aber folgerichtig und wird sich zuspitzen:

Die Hoffnung beruht offensichtlich darauf, dass die grauen Pfeile durch ausreichendes Windaufkommen, eine fleißige Sonne und stets exportbereite Nachbarländer gefüllt werden (die gelben Balken zeigen die gesicherte Einspeisung der Regenerativen).

In unserem Land hört man immer wieder die Formulierung, dass man an den Erfolg der Energiewende „glaube“. Vielleicht ist etwas Nachdruck beim Glauben nötig und man bemüht einschlägige Götter, so den griechischen Windgott Aiolos oder die Götter der vier Windrichtungen Boreas, Zephyros, Notos und Euros. Zephyros ist für den Westwind zuständig und sollte besonders intensiv angerufen werden. In diesem Jahr scheinen sich die Götter allerdings verschworen zu haben oder sie wollen uns strafen. 2021 ist bisher ein katastrophales Windjahr:

Die Septembermonate der letzten Jahre zeigen dies im Vergleich. Trotz des jährlichen Zubaus (erkennbar an der roten Stufenlinien oben) schwächelt die Windstromeinspeisung im diesjährigen Spätsommermonat außerordentlich. Gut, er ist noch nicht zu Ende, aber in den ersten 15 Tagen produzierte die „Zukunftstechnologie“ nur 42 Prozent der Windstrommenge des Vergleichszeitraums 2019. Korrigiert um den Zubau wären es nur 39 Prozent. Preisfrage: Wie viele Anlagen müsste man für eine sichere Versorgung zusätzlich errichten?

Fernab der Realität

Im politischen Raum scheint man diese besorgniserregende Entwicklung kaum wahrzunehmen. Im Triell zweifelte keiner der Kanzlerberwerber*-Innen den Kurs der Energiewende an, auch waren die zu erwartenden Belastungen von Wirtschaft und Bevölkerung kein Thema, auch nicht die die CO2-Steuer. Im Gegenteil, die Grünen wollen diese zügig steigern. Dass hier Wohlstandsverlust in voller Breite droht, die Ärmsten zuerst betroffen sein werden, aber auch alle anderen immer weniger Geld für anderes als Energie und „Klimaschutz“ haben werden, ist in Triells, Vierkämpfen, Wahlarenen und den regierungsbegleitenden Medien kein Thema. Auch nach Merkel wird versucht werden, Alternativlosigkeit vorzugaukeln.

Merkel offenbart Orientierungslosigkeit in manchen ihrer Reden. Sprache verrät den Stand der Energiewende:

„Die bisherigen Annahmen, dass sich der Strombedarf nicht erhöht, sind aus meiner Sicht wahrscheinlich nicht zukunftsfähig. Wir brauchen kluge Berechnungen . . .“,
sagte sie auf dem Tag der Industrie am 22. Juni. Nach 20 Jahren Energiewende brauchen wir also kluge Berechnungen. Warum hat die noch niemand gemacht? Worin ihr eigentliches Ziel besteht, bleibt im Dunkeln:

„Aber, meine Damen und Herren, das sind natürlich Transformationen von gigantischem, historischem Ausmaß. Diese Transformation bedeutet im Grunde, die gesamte Art des Wirtschaftens und des Lebens, wie wir es uns im Industriezeitalter angewöhnt haben, in den nächsten 30 Jahren zu verlassen . . .“,

sprach sie auf dem Weltwirtschaftsforum am 23. Januar 2020. Was sie genau unter dieser Transformation versteht, sagte sie nicht. Vielleicht bezog sie sich auf die Schellnhubersche Große Transformation, die eine globale ökologische Weltregierung und die Zuteilung erlaubter Emissionen vorsieht.

Aber auch Formulierungen des Vizekanzlers bleiben wolkig. Beim Triell der Kandidaten am 29. August formulierte er nicht besonders druckreif (ab Min. 44:06) auf die Frage „Was tun Sie für den Klimaschutz, was führen Sie sofort ein, was würden Sie sofort verbieten?“:

„Das Erste ist . . . (hier folgt eine längere Passage zum Thema „Erneuerbare“ – d.A.) . . . dass ich den Strombedarf gesetzlich festlege, den wir erreichen müssen . . .“

Ziemlich dunkel ist der Rede Sinn, denn kann es Ziel sein, einen Stromverbrauch zu erreichen? Oder meint er, diesen zu begrenzen? Er sprach seinerzeit auch vom CO2-„Verbrauch“, den man senken müsse. Unklare Sprache zeigt unklares Denken. In jedem Fall sollte die staatliche Festlegung eines Bedarfs alle Alarmglocken schrillen lassen. Auch das Politbüro befand seinerzeit, welche Güter für die Bevölkerung ausreichend seien. In der Grünenfraktion im Bundestag spricht man beim Strom schon von der „angebotsorientierten Versorgung“, die die Wirkung einer Rationierung hätte.

Staatliche Festlegungen zu Produktion und Verbrauch sind in einer Marktwirtschaft nicht realisierbar, oder diese scheitert. Eine Große Transformation ist mit Marktwirtschaft und auf der Basis des Grundgesetzes nicht umsetzbar. Die Frage, wer in unserem Land Marktwirtschaft und Grundgesetz verteidigen wird, ist offen.

In einer möglichen Jamaika-Koalition ist schwarz-rot-grüne Eintracht in Energiefragen zu erwarten. Die Farbkombination sollte aus aktuellem Anlass allerdings treffender als Afghanistan-Koalition bezeichnet werden. Wäre Gelb in irgendeiner Weise beteiligt, würde den Bürgern das Geld vielleicht per Emissionszertifikat aus der Tasche gezogen und Marktwirtschaft simuliert, die Wirkung wäre dieselbe. Die Folgen fürs Klima wären ebenfalls Null.

Die Frage wohin sich der Strombedarf wirklich entwickelt, entzieht sich staatlicher Festlegung. Die Sektorenkopplung führt zu stark steigendem Bedarf, die hohen Preise werden ihn dämpfen.

Es gibt noch keinen Begriff für Schwellenländer, die die Schwelle rückwärts überschreiten. Wir sollten diesbezüglich einen finden, er könnte uns betreffen, wenn gesetzlich festgelegter Strombedarf mit den Realitäten kollidiert.

Quellen:
https://energy-charts.info/?l=de&c=DE
Rolf Schuster, Vernunftkraft e.V.