Tichys Einblick
Interview

Thilo Sarrazin: „Ich habe mich nicht geändert, die SPD hat sich geändert“

Thilo Sarrazin will nicht nur vor der Bundesschiedskommission seinen Parteiausschluss revidieren. Der einstige Finanzsenator spricht über seine Motivation, eine Debatte mit Lars Klingbeil, die nicht stattfand, und eine SPD „in den Händen fundamental orientierter Muslime“.

imago Images/Gerhard Leber

TE: SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil kommentierte die Entscheidung der Berliner Schiedskommission, Sie aus der SPD auszuschließen, mit den Worten: „Für jemanden, der spaltet, der gegen Minderheiten hetzt“, sei „kein Platz in der SPD“. Und „jemand, der antimuslimische Thesen, jemand der rassistische Thesen vertritt, der braucht ein klares Stoppschild“. Sind Sie ein Spalter, haben Sie gehetzt?

Thilo Sarrazin: Jeder, der mein Buch „Feindliche Übernahme“ liest, wird wissen, dass das ein nach wissenschaftlichen Standards abgefasstes Sachbuch ist. Da wird niemand beleidigt. Da wird nicht schief argumentiert. Ich breite Fakten aus, analysiere Fakten und Zusammenhänge. Ich befasse mich mit der islamischen Religion und mit der Kultur, die durch die islamische Religion geprägt ist. Mir hat der Arabist Professor Tilman Nagel, Mitglied der ersten Islamkonferenz, in einem 50-seitigen Gutachten bestätigt, dass meine Aussagen im Buch zur Religion des Islam sachlich zutreffen, dass er keine Fehler entdeckt hat und dass der Vorwurf des Rassismus absurd ist. Die Schiedskommission wie auch der SPD-Parteivorstand als Antragsteller haben sich mit diesem Gutachten überhaupt nicht befasst, haben es gar nicht erwähnt. In der mündlichen Verhandlung bin ich mit dem Versuch, über das Gutachten und Inhalte zu reden, gescheitert. Das wurde einfach nicht aufgenommen.

Wer war bei der Verhandlung dabei? 

Da saß die Schiedskommission aus drei Mitgliedern, die vom Landesparteitag gewählt wurden, dann mein Anwalt und ich, und gegenüber saß der Generalsekretär Lars Klingbeil mit seiner Anwältin. Außerdem saßen noch einige Zuhörer im Raum. Das Verfahren war vertraulich, das heißt, nur Parteimitglieder waren als Zuhörer zugelassen.

Hat Klingbeil Ihnen seine Vorwürfe offen ins Gesicht gesagt? Er hat ja auch Gutachten machen lassen. 

Sarrazin über die Fehler der SPD
„Was ist los mit Ihrer SPD, Herr Sarrazin?“
Klingbeil hielt einen einführenden Vortrag von acht bis zehn Minuten, in dem er mich und mein Werk abqualifizierte. Aber letztlich wurde er inhaltlich nicht konkret. Ich habe ihn mehrfach gebeten, konkrete Zitate aus dem Buch zu nennen, welche falsch sind oder auch rassistisch sind. Aber da kam nichts. Jede Debatte um das Buch und seine Inhalte wurde sorgfältig vermieden zu Gunsten von pauschalen Anschuldigungen.

Zum Beispiel?

Das muss ich nicht wiederholen. Sie haben ihn ja selbst schon zitiert. Die gutachterliche Expertise, die die andere Seite vorlegte, kam von der Islamwissenschaftlerin Sarah Albrecht und der Politologin Yasemin Shooman über angeblichen kulturellen Rassismus. Wobei der Begriff „kultureller Rassismus“ in sich selbst schon unsinnig ist. Rassismus ist eine Haltung, die jemandem wegen seiner ethnischen Herkunft oder eben „Rasse“ als minderwertig einstuft. Eine bestimmte kulturelle Haltung kann man immer kritisieren. Das ist kein Rassismus. Sonst wäre ja jedwede Religionskritik oder jedwede Ideologiekritik unmöglich. Wenn ich zum Beispiel sage, dass der Marxismus Unheil über die Welt gebracht hat, weil er eine Anlage zur Diktatur hat, könnte man mir diese Aussage dann auf derselben Ebene auch als kulturellen Rassismus vorwerfen.

Die Vorwürfe von führenden SPD-Mitgliedern gegen Sie beziehen sich auch darauf, dass Sie bei Veranstaltungen der FPÖ in Österreich aufgetreten sind. 

Zunächst mal ist dieser Vorwurf schief. Ich war im Oktober 2015 bei einer Veranstaltung des Liberalen Clubs. Das ist eine FPÖ-nahe Wirtschaftsvereinigung. Ich habe dort einen Vortrag gehalten zur Einwanderungspolitik – ohne jedwede parteipolitische Bezüge. Dieser Vortrag enthält Positionen, die ich auch in meinen Büchern vertrete. Als die damalige SPD-Generalsekretärin Fahimi mich deshalb kritisch anschrieb, habe ich ihr meinen Vortrag geschickt und sie gefragt, was denn nun an diesem Vortrag sozialdemokratischen Grundsätzen widerspricht. Darauf kam keine Antwort. Im Zuge meines neuen Buches „Feindliche Übernahme“, das im Herbst 2018 erschien, hatte ich etwa 50 bis 60 Lesungen, die größtenteils von meinem Verlag organisiert werden. In dem Zusammenhang habe ich in der Wiener Hofburg an der Freiheitlichen Akademie meinen üblichen Vortrag über mein Buch „Feindliche Übernahme“ gehalten. Im Anschluss gab es eine Podiumsdiskussion, an der nahm die Autorin und Islamkritikerin Laila Mirzo, der FPÖ-Europa-Abgeordnete Vilimsky und der damalige Vizekanzler der Republik Österreich Strache teil. An einem solchen Podium in der Wiener Hofburg kann ich überhaupt nichts parteischädigendes entdecken. Zumal die Veranstaltung in Deutschland ziemlich unbeachtet blieb. Es ist nicht verboten, im Ausland Vorträge über die eigenen Bücher zu halten.

Verboten natürlich nicht. Aber Vilimsky und Strache gehören der FPÖ an. 

Wenn der Vizekanzler der Republik Österreich auf einem Podium neben mir sitzt, was soll daran parteischädigend sein. Das ist doch einfach lächerlich.

Sie haben schon angekündigt, dass Sie den Parteiausschluss nicht akzeptieren und nun vor die Bundesschiedskommission gehen werden. Warum liegt Ihnen so viel daran, in einer Partei zu bleiben, deren Führung sie nun seit rund zehn Jahren, seit Ihrem Buch „Deutschland schafft sich ab“, loswerden möchte? 

Eine Bestandsaufnahme
Ali Ertan Toprak: "Parallelgesellschaft war gestern, heute muss man von einer Gegengesellschaft sprechen."
Ich bin seit 1973 Mitglied der SPD. Damals hatte diese Partei 43 Prozent Stimmenanteil, stellte den Bundeskanzler, wirkte weit in die Mitte der Gesellschaft und hatte gut eine Million Mitglieder. Leider hat sich die Partei aus der Mitte der Gesellschaft zurückgezogen. Sie wird geführt von Leuten, die nicht das breite Spektrum vertreten und sie ist in Gefahr, ihre Eigenschaft als Volkspartei der linken Mitte zu verlieren. Ich habe mich nicht geändert, die Partei hat sich geändert. Die SPD wäre niemals auf die Idee gekommen in den 70er, 80er, 90er oder auch noch frühen 2000er Jahren jemanden wegen eines Buches, welches religionskritisch ist, aus der Partei auszuschließen. Im Gegenteil, die SPD war durch ihre marxistischen Wurzeln eine durchaus religionskritische Partei. „Religion ist Opium für das Volk“, hat Karl Marx gesagt. Ich wäre auch garantiert nicht aus der SPD ausgeschlossen worden, wenn ich ein kritisches Buch nicht über den Islam sondern über die katholische Kirche geschrieben hätte. Hier laufen ganz andere Dinge ab: Die gegenwärtige SPD-Führung ist offenbar teilweise in den Händen fundamental orientierter Muslime, die eine kritische Diskussion des Islam in Deutschland grundsätzlich verhindern wollen.

Erfahren Sie von SPD-Mitgliedern auch Zuspruch? 

Ja, sogar sehr viel. Heinz Buschkowsky hat ja mein Buch sogar im August 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt und dabei gesagt, dass die Wirklichkeit noch schlimmer sei, als ich schreibe.

Buschkowsky ist in der SPD ja nun auch in die Kritik gekommen.

Es gibt viele Buschkowskys und Sarrazins in der Partei. Das Problem ist, dass die Partei mittlerweile so weit in eine fundamentalistische linke Ecke abdriftet und dazu noch gegenüber vielen gefährlichen Entwicklungen in der Gesellschaft blind ist. Das muss uns Sorgen machen. Ich stehe mit den Analysen meiner Bücher auch für die Breite der SPD. Und die braucht sie, wenn sie dauerhaft Einfluss ausüben will.

Also wünschen Sie sich eine SPD, die zurückfindet in die 70er Jahre?

Nein, nicht zurück in die Vergangenheit. Aber zurück in die Mitte der Gesellschaft und zu den Themen, die diese bewegen. Ich habe jedenfalls meine Positionen nicht geändert und bin in der klassischen SPD-Programmatik verankert. Wenn jetzt eine Parteiführung, die ideologisch abgedriftet ist, jemanden wie Thilo Sarrazin loswerden will, so ist das für die Partei ein Problem.

In den sozialen Medien wird oft gesagt, dass Sie doch lieber zur AfD gehen sollten. Gab es Angebote von der AfD?

Als die AfD im Winter 2013 gegründet wurde, haben Bernd Lücke und Hans-Olaf Henkel mich gefragt, ob ich nicht mitmachen wolle. Ich habe das abgelehnt und die Risiken und Nebenwirkungen erläutert, die ich damals sah. Vor einiger Zeit traf ich Henkel und er sagte mir, ich hätte ja leider Recht gehabt. Aber der Umstand, dass ich Dinge kritisch beleuchte, die auch von anderen kritisch beleuchtet werden, heißt nicht, dass ich deswegen falsch liege. Meine aktive politische Laufbahn habe ich mit dem Ausscheiden aus dem Amt des Berliner Finanzsenators vor 11 Jahren abgeschlossen. Seitdem haben mich die Zufälle des Lebens über die Bundesbank jetzt auf eine neue berufliche Laufbahn, nämlich die des Autors politischer Sachbücher getragen. So leiste ich meine Beiträge zu öffentlichen Debatten. Und diese Beiträge sind an der Wahrheit orientiert und überparteilich angelegt. Und jeder, von der Linkspartei bis zur AfD, ist eingeladen meine Bücher zu lesen und aus ihnen zu lernen.

Falls die Bundesschiedskommission auch gegen Sie entscheidet, bliebe noch der Klageweg über staatliche Gerichte. Werden Sie das tun?

Ich werde sicherlich mein Recht nachhaltig suchen.