Tichys Einblick
"Sofort mit zum Wählen!"

Markus Söder ruft zum Wahlbetrug auf – ein Witz?

CSU-Chef Markus Söder fordert dazu auf, Familienmitglieder zu fragen, was sie wählen wollen, und sie bei falscher Antwort zu täuschen. Die Möglichkeit der Briefwahl hat das Wahlgeheimnis und damit den Schutz des Privaten vor der Politik schon weitgehend aufgelöst.

Markus Söder, Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender

IMAGO / Sven Simon

Markus Söder hat mit einem denkwürdigen Wahlkampfauftritt nicht nur das Niveau des aktuellen Wahlkampfes auf einen neuen Tiefpunkt gesenkt. Er lieferte auch ein anschauliches Argument dafür, der weiteren Ausbreitung der Briefwahl mit Skepsis zu begegnen. Zum Ende seiner Rede in Schweinfurt forderte der CSU-Chef, bayrische Ministerpräsident und Beinahe-Kanzlerkandidat der Union die Zuhörer auf:

„Suchen Sie am Wahltag noch einmal durch im Haus, jeden den Sie finden können“, zitiert der Spiegel Söder. Und dann habe er aufgezählt: Mann, Frau, Freundin, Opa, Oma, Onkel, Tante. „Fragen Sie alle: ‚Was möchtest du denn wählen?‘ Und wenn diejenigen sagen: ‚CSU‘, sagen Sie: ‚Sofort mit zum Wählen!‘ Und wenn sie sagen, sie schwanken noch bei einem anderen, sagen Sie: ‚Gute Idee, lass dir noch eine Woche Zeit, die Wahl ist erst nächste Woche.’“ Ein paar Zuhörer hätten gelacht, heißt es. Aber Söder lachte nicht mit, sondern sagte: „Es ist jetzt wirklich ernst“ – und fuhr in seiner Rede fort. 

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Dass Söder – ein promovierter Jurist – nun, wie das linkspopulistische Magazin von der Kriminalpolizeiinspektion Schweinfurt erfuhr, mindestens drei Anzeigen ins Haus stehen, weil er zur strafbaren Wählertäuschung aufgerufen hat, was seinerseits schon strafbar ist, kann dessen politische Gegner nun freuen. Aber unabhängig von der Rechtslage ist sein Aufruf moralisch und politisch ähnlich zu bewerten wie der Aufruf von Prominenten an Kinder, ihre Großeltern mit vorformulierten Briefen zur Wahl der Grünen zu animieren: nämlich als Respektlosigkeit vor der freien und geheimen Wahlentscheidung der Bürger. Die muss nämlich nicht nur vor dem Staat geheim bleiben, sondern auch vor allen anderen Menschen.

Hinter Söders Schweinfurter Entgleisung steht ein generelles Problem: Die allgemeine Verfügbarkeit der Briefwahl macht das, was Söder und die prominenten Grünen-Freunde vorantreiben, noch viel aussichtsreicher. Durch die Briefwahl ist das Wahlgeheimnis zugunsten einer größeren Wahlbeteiligung aufgeweicht, wenn nicht sogar de facto abgeschafft. In der Wahlkabine ist Oma allein. Zur Briefwahl aber muss sie nicht einmal am Sonntag untergehakt und zum Wahllokal mitgenommen werden. Das „sofort“ in Söders Aufruf kann man da wirklich sofort einfordern: Oma, hier sollst du ein Kreuz machen, sonst hast du mich oder ich dich nicht mehr lieb. 

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Besonders seit 2015 und noch einmal forciert durch die Corona-Pandemie geht die politische Spaltung der Gesellschaft längst durch viele Freundeskreise, Familien, ja sogar Paare. Das Wahlgeheimnis, das das Grundgesetz vorschreibt und das nur durch die Einsamkeit der Wahlkabine in der Praxis gesichert sein kann, ist auch eine Grenze, die das Privatleben vor der Politik schützt. Nicht zu wissen, wie der andere wählt, und selbst dem nahestehenden geliebten Menschen nicht präsentieren zu müssen, wie man selbst wählt, bewahrt Familien, Freundschaften und Paare vor der Entzweiung. Oder den einzelnen Wähler davor, um des lieben Friedens willen am Küchentisch das anzukreuzen, was der Enkel, die Freundin oder der WG-Mitbewohner am liebsten sieht.

Söder hat sich nicht nur durch die Aufforderung zur Lüge über den Wahltermin womöglich strafbar gemacht. Seine Aufforderung, die eigenen Familienangehörigen abzufragen, wie sie wählen wollen, offenbart sein völliges Unverständnis oder seine Gleichgültigkeit für den Sinn des Wahlgeheimnisses. Es dient nicht nur dem Schutz der Bürger vor dem Staat, sondern auch dem der Bürger als Privatpersonen untereinander.  

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