Tichys Einblick
Steuerkeile im internationalen Vergleich

OECD-Statistik: Deutschland besteuert extrem hoch und familienunfreundlich

Wer den deutschen Steuer- und Abgabenstaat für effizient oder sozial gerecht hält, der findet in einer aktuellen OECD-Statistik reichlich Belege für das Gegenteil. Vor allem Geringverdiener mit Kindern werden hierzulande hoch besteuert, während sie anderswo wenig zahlen oder sogar Geld dazu bekommen.

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Deutschland ist Weltmeister geworden. Keiner der 36 Industriestaaten in der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) knöpft einem alleinstehenden Durchschnittsverdiener so viel Steuern und Abgaben ab wie der deutsche. Der langjährige Spitzenreiter Belgien ist damit entthront. Die Überschrift der Pressemitteilung zu der alljährlichen OECD-Studie „Taxing Wages“ – das interessanteste Produkt der Organisation – lautete in der deutschen Version „Steuern und Abgaben auf Arbeitseinkommen in OECD-Ländern erneut gesunken“. Tja, im Schnitt der OECD, aber eben nicht so in Deutschland.

Die Überschrift der Pressemitteilung sollte möglicherweise die Nerven der deutschen Steuerzahler schonen. Die staatlichen Corona-Hilfsmaßnahmen sind in Deutschland bekanntlich besonders üppig – was in der öffentlichen Kommunikation der Bundesregierung (Olaf Scholz: „Darauf kann sich jede und jeder verlassen“) meist wie eine besondere Großzügigkeit herüberkommt. Dass am Ende nicht Scholz oder Altmaier irgendetwas erwirtschaftet haben, das sie nun großzügig verteilen, sondern die Steuerzahler direkt (indem sie Steuern zahlen) oder indirekt (indem sie für Schulden haften) zahlen, müssen diese sich immer wieder selbst ins Gedächtnis rufen.

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Wer den deutschen Staat für besonders effizient oder sozial oder gerecht hält, der findet in den sehr gut aufbereiteten Online-Statistiken der OECD reichlich Gelegenheit, sich vom Gegenteil zu überzeugen. Eine Vergleichszahl gibt es da in der OECD-Statistik, die eigentlich für jeden Sozial- und Steuerpolitiker gerade der SPD oder der Linken ein dauernder Stich ins links schlagende Herz sein sollte.

Die Zahl, die die OECD für die Länder berechnet, nennt sich „Steuerkeil“. Der misst die Differenz zwischen den Arbeitskosten des Arbeitgebers und dem Nettoverdienst, der dem Arbeitnehmer bleibt, also nach Abzug aller direkten Steuern und Abgaben und zuzüglich Vergünstigungen und Transfers.

Besonders interessant ist der Steuerkeil für Alleinerziehende mit zwei Kindern und einem Bruttoverdienst von 67 Prozent des nationalen Durchschnitts – also etwa einer verwitweten Krankenschwester mit zwei Kindern oder einem Busfahrer, dem die Frau davongelaufen ist und der nun sich und seine zwei Kinder durchbringen muss. Kurz: Menschen, für die Sozialdemokraten früher Politik gemacht haben.

In Deutschland zahlt jene Krankenschwester oder jener Busfahrer von seinem deutlich unterdurchschnittlichen Gehalt trotzdem noch 31,5 Prozent Steuern und Abgaben. In Kanada aber zahlt er Minus 15.3 Prozent. Ja richtig: Er zahlt per Saldo gar keine Steuern und Abgaben, sondern erhält 15.3 Prozent seines Lohns obendrauf. In Neuseeland erhält er sogar 19,4 Prozent seines Lohns zusätzlich. Das sind beides angelsächsische Staaten mit traditionell wenig ausgebautem Sozialstaat und vergleichsweise niedrigen Zahlungen für Arbeitslose. Aber auch im EU-Mitgliedsland Polen zahlt der nur zwei Drittel vom Durchschnitt verdienende Alleinerziehende mit zwei Kindern unterm Strich keine Steuern und Abgaben, sondern erhält einen Zuschuss von 3,4 Prozent seines Bruttolohns. In der Schweiz zahlt er zwar, aber nur 4,8 Prozent, in Irland 5,3 , in Großbritannien 12,3 und in Frankreich auch nur 14,7, also immer noch weniger als halb so viel wie in Deutschland.

Aber auch eine vierköpfige Familie mit einem Durchschnittsverdiener und einem Geringverdiener (67 Prozent des Schnitts) hat in Deutschland einen Steuerkeil von 42,5 Prozent des Bruttoeinkommens zu zahlen. Ohne Kinder zahlen sie 47,5 Prozent. Die gleichen Steuerkeile in Polen liegen bei 25,1 und 35,3. Die Kinder „lohnen“ sich also steuerlich in Polen doppelt so stark wie in Deutschland. In Neuseeland zum Beispiel ist der Unterschied zwar noch geringer als hierzulande, allerdings zahlen sowohl kinderlose als auch Doppelverdiener mit zwei Kindern dort weit unter 20 Prozent (16,8 und 17,3).

Bei solchen Zahlen wundert man sich nicht mehr, warum in Deutschland einerseits so wenige Kinder geboren werden und andererseits für viele Menschen in prekären Verhältnissen die Attraktivität von Hartz-IV-finanzierter Arbeitslosigkeit deutlich größer sein kann als die eines gering bezahlten Jobs.

Das eindeutig steuergünstigste OECD-Land ist übrigens Chile. Dort macht es allerdings kaum einen Unterschied für den Steuerkeil, wie viel man verdient, oder ob man Kinder hat. Die Belastung variiert in dem südamerikanischen Land nur zwischen 6,2 Prozent für den alleinerziehenden Geringverdiener mit zwei Kindern und 8,3 Prozent für den kinderlosen Besserverdiener (167 Prozent des Landesdurchschnitts).

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