Tichys Einblick
Merkel-Interviews in ARD und ZDF

Merkels „demokratische Zumutung“ und ein ganz festes Versprechen

Angela Merkel legt sich fest: Sie wird nicht noch einmal zur Kanzlerschaft antreten, obwohl man sie in ARD und ZDF regelrecht dazu überreden möchte. Und sie hinterlässt ein neues Schwurbelwort für diese Krise: "demokratische Zumutung".

Angela Merkel ist sichtlich entspannt. Sie weiß natürlich längst, dass Interviews mit deutschen Journalisten, erst Recht mit denen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, für sie keine allzu große Gefahr bedeuten, mit scharfen Fragen und harter Kritik gegrillt zu werden. Da boten die beiden Interviews gestern in ZDF und ARD nun auch keine Überraschung. Wer beide sah, mag sich vor allem eine Frage gestellt haben: Warum brauchen wir eigentlich zwei öffentlich-rechtliche, von Zwangsgebühren finanzierte Sender, wenn deren Alpha-Journalisten die Kanzlerin nicht nur weitgehend vor Kritik verschonen, sondern auch noch mehr oder weniger dieselben Fragen stellen und diese sogar in mehr oder weniger identischer Reihenfolge.  

Also fangen wir hinten an, nämlich bei der einzigen echten Nachricht, die in beiden Interviews steckt. Sie wird im ZDF eingeleitet mit typischem Merkel-Deutsch: Die Kanzlerin sagt, dass „wir“ – dieses Merkel-Wir, von dem man nie weiß, ob es ein Majestäts-Plural ist oder die Regierung, die Partei, die Bürger oder wohl einfach alle Menschen bezeichnet – doch „dankbar sein müssten, dass wir einen ganz guten Weg gefunden haben, und deswegen sag ich ja auch manchmal, wir dürfen das jetzt nicht verspielen“. Worauf Bettina Schausten tatsächlich „ja“ sagt und entgegenkommend-erklärend fortfährt: „Die Krise ist nämlich noch nicht zu Ende und das fordert ja vielleicht auch etwas von Ihnen. Denken Sie manchmal darüber nach, dass Sie in Verantwortung bleiben müssen, vielleicht auch dann für eine nächste Kanzlerkandidatur zur Verfügung stehen?“ Sichtlich gerührt von dieser Frage, die eher eine Bitte ist, sagt Merkel ihrem strahlendsten Lächeln: „Nein, wirklich nicht“ Und nochmal Schausten: „Das Nein steht also?“ – „Aber ganz fest“, sagt Merkel.

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 In der ARD-Version läuft das ähnlich ab, nämlich so: Tina Hassel stellt die aktuellen Umfrage-Ergebnisse (38 Prozent für die Unionsparteien) als „Merkel-Werte“ vor und fragt rhetorisch: „Können die Herren, die sich um Ihre Nachfolge bewerben, das überhaupt besser als Sie? Oder überlegen Sie vielleicht doch noch mal über eine fünfte Amtszeit?“ – „Nein“, muss Merkel sie enttäuschen „darüber überlege ich nicht. Mein Wort gilt und das habe ich ja auch oft genug gesagt.“ Das hatte sie allerdings bislang noch nicht allzu häufig derart entschieden getan. Bei den Herren Merz, Laschet, Röttgen und vor allem Söder dürften diese Worte für Erleichterung gesorgt haben. Einen Kanzlerinnen-Sturz hätte man tatsächlich keinem der vier wirklich zugetraut.

Immerhin, Peter Frey startete das ZDF-Interview der Kanzlerin mit einer als kritische Frage formulierten, eigentlich banalen Feststellung: „Werden unsere Kinder und Enkel die Zeche für Ihre Corona-Politik zahlen müssen?“ Und auch Rainald Becker von der ARD fragt so etwas ähnliches. Die Männer des ÖR scheinen in den Interviews dazu verdonnert worden zu sein, so etwas wie Kritik wenigstens zu imitieren. Merkel wäre nicht Merkel, wenn sie darauf die einzig korrekte Antwort gäbe, nämlich: Ja, selbstverständlich. Aber soviel Mut zur Wahrheit brächte vermutlich auch kein anderer unter obwaltenden Bedingungen regierender Politiker in ihrer Lage auf. Also schwurbelt sie über die „schwierigste wirtschaftliche Lage, die schwerste Krise seit Bestehen der Bundesrepublik“. Frey setzt zaghaft nach, es seien ja viele Milliarden jetzt da, die in den letzten Jahren fehlten „für Bildung, für Soziales, fürs Klima“ und statt „schwäbischer Hausfrau enden Sie als Schuldenkanzlerin“. Das streitet sie lächelnd nicht ab. Aber man habe schließlich bislang gut gewirtschaftet, was „uns“ (diesmal ist wohl die Bundesregierung gemeint) jetzt in die Lage versetze, „handeln zu können“. In der ARD spricht sie von einer „Hoffnung auf die Zukunft, dass wir das zurückzahlen können“. Diesmal ist „wir“ allerdings eine ziemlich eindeutige Lüge: „Ihr“ hätte sie sagen müssen, ihr jungen, zukünftigen Steuerzahler und Sparer.

Der Gleichklang von Fragenden und Kanzlerin zeigt sich auch in der Wortwahl. Die Kanzlerin bezeichnet ihr Handeln mehrfach mit einem ihrer Liebelingsadjektive als „mutig“, aber Schausten reicht das nicht: „Hätte man beim Punkt Klimaschutz nicht doch mutiger sein müssen?“ Mut scheint für ZDF-Journalisten und Merkel immer zu bedeuten: Noch mehr Geld der Steuerzahler ausgeben.

Merkel ist bekanntlich keine Meisterin der schönen oder auch nur korrekt ausformulierten Sätze, aber sie ist eine Meisterin darin, bestimmte Begriffe immer wieder zu senden. In der Corona-Krise ist dies die „demokratische Zumutung“, die in beiden Interviews mehrfach von ihr behauptet wird. 

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Rainald Becker gibt ihr dazu gleich mit seiner Eingangsfrage Gelegenheit: „Hätten Sie gedacht, dass es gegen Richtung Ende Ihrer Zeit als Bundeskanzlerin noch einmal so herausfordernd wird?“ Sie hätte sich natürlich gewünscht, dass das Virus „uns nicht in eine solche Lage bringt“. Und dann bringt sie es an, das Wort von der „demokratischen Zumutung“ und ergänzt: „Es (sie meint wohl das Virus) greift die Grundfesten der Gesellschaft an.“ Sie sagt das nochmals, als Becker sie fragt, ob nicht das größte Konjunkturpaket auch die größte Zumutung für kommende Generationen sei. „Erstmal ist das Virus eine demokratische Zumutung.“ Ob sie Angst habe, wird sie an anderer Stelle gefragt. „Angst ist das falsche Wort. Ich bin unglaublich aufmerksam, das immer zu beobachten, Tag für Tag. Dieses Virus ist nicht verschwunden. … Es ist eine demokratische Zumutung. Ich fühle mich auch mit einer Zumutung konfrontiert, wie alle Menschen.“

Was eine „demokratische Zumutung“ sein soll, weiß natürlich niemand genau. Merkel selbst vermutlich auch nicht. Kann eine Zumutung etwa demokratisch oder undemokratisch sein? Mutet Merkel oder die Bundesregierung etwas zu oder wird ihr oder allen Menschen etwas zugemutet? Vom Virus? Von den Maßnahmen dagegen? Das ist wohl gerade der Clou des Merkelschen Sprechens: Es ist unklar, es vernebelt die Wirklichkeit, ihr eigenes Handeln, verwischt dessen Konturen, verwirrt damit die Adressaten und erst recht die Kritiker. Merkel ist die Meisterin der Tarnung durch Sprache. Schwurbelphrasen wie die „demokratischen Zumutung“ verwirren das politische Denken. Hinter ihnen verschwimmt die Zuordnung der Verantwortung. Und damit erfüllt die Phrase ihren Zweck.

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Viel aussagekräftiger als Merkels Worte sind ihre Auslassungen. Ihr fehlender Widerspruch etwa, als Bettina Schausten vom „Einstieg in die Transferunion“ spricht. „Wir“ – da ist es wieder das Merkel-Wir, von dem wir nicht wissen, wen es umfasst – „wollen nicht, dass die EU viel unterschiedlicher aus dieser Krise hervorkommt durch etwas, das keiner verschuldet hat“, sagt sie und: „Wir haben die Kontrolle. Der deutsche Bundestag wird am Schluss darüber bestimmen, wie dieses Geld ausgegeben wird.“ Als ob da nicht noch ein paar andere Institutionen in Brüssel und anderen EU-Staaten mitredeten.

Immerhin antwortet sie am Ende im Singular auf die Frage, ob sie noch Vertrauen habe zu Trump. „Ich arbeite zusammen mit den gewählten Präsidenten auf der Welt, natürlich auch mit dem amerikanischen und ich hoffe, dass es gelingt, das Land gut zu befrieden.“ Im ARD-Interview lässt sie Trump sogar ganz wegfallen: „Ich vertraue auf die demokratische Kraft der Vereinigten Staaten von Amerika, dass sie mit dieser schwierigen Situation fertig werden.“ Mehr Distanzierung ist für einen Politiker kaum möglich.

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