Tichys Einblick
Vor der China-Reise des Bundeskanzlers

Landesregierungen bestätigen Hinweise über chinesische Polizei-Büros in Deutschland

Nicht nur in den Niederlanden, sondern womöglich auch in Deutschland betreibt China verdeckte Polizei-Büros. Vor seiner Peking-Reise steht der Bundeskanzler unter multiplem Erwartungsdruck und dem unauflösbaren Widerspruch einer Politik, die „wertegeleitet“ sein will, aber sich selbst die Fähigkeit dazu verbaut. 

Die Fahne der Volksrepublik China vor der Botschaft in Berlin

IMAGO / photothek

Während der Bundeskanzler mit einer Wirtschaftsdelegation zum Staatsbesuch nach China aufbricht, verdichten sich die Indizien dafür, dass der chinesische Staat nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in Deutschland ungenehmigte Einrichtungen betreibt, mit denen er chinesische Staatsbürger mit polizeistaatlichen Methoden drangsaliert. Nachdem die Existenz solcher „Polizei-Büros“ in Amsterdam und Rotterdam bekannt wurde und die niederländischen Behörden sie schließen ließen, bestätigt jetzt eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Innenministeriums gegenüber TE: „Dem NRW-Verfassungsschutz sind allgemeine Hinweise in Bezug auf chinesische Servicezentren in Deutschland bekannt. Darüber steht er in Kontakt mit anderen Verfassungsschutzbehörden. Für NRW liegen aber bislang keine konkreten Belege auf derartige Aktivitäten vor. Der NRW-Verfassungsschutz wird die weitere Entwicklung aufmerksam im Blick halten und geht gemeinsam mit anderen Sicherheitsbehörden Hinweisen konsequent nach.“

Auch eine Sprecherin des bayrischen Innenministeriums sagte gegenüber TE: „Die bayerischen Sicherheitsbehörden nehmen die Hinweise sehr ernst.“ Und versprach: „Sobald Erkenntnisse vorliegen, die eine Gefährdung einzelner Personen oder Personengruppen begründen, nutzen die bayerischen Sicherheitsbehörden alle rechtlich möglichen und taktisch gebotenen Maßnahmen, um etwaigen Gefährdungen wirksam zu begegnen.“ Aus der hamburgischen Innenbehörde hieß es auf Anfrage, es lägen „keine Informationen“ vor. Das Bundesministerium des Innern hat auf eine entsprechende Anfrage noch nicht reagiert.

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Laut der Nichtregierungsorganisation „Safeguard Defenders“ existieren mindestens 54 solche vermeintlichen „Auslandsvertretungen“ chinesischer Provinzen, die tatsächlich Polizeistationen sind, aus denen heraus die chinesische Regierung versucht, in den jeweiligen Ländern unter anderem chinesische Dissidenten unter Druck zu setzen. Es soll derartige Büros unter anderem in Frankfurt, Rotterdam, Paris, Madrid, Valencia, Prag, Porto und Dublin geben.

Diese Nachrichten verstärken noch den Druck, unter dem auch die Bundesregierung vor der Abreise des Bundeskanzlers mit einer Wirtschaftsdelegation nach Peking steht, die ökonomische Abhängigkeit von China zu reduzieren. Er kommt nicht nur – erwartbar – aus den USA, sondern auch von innerhalb der deutschen Regierung. Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock sagte aus Anlass des G7-Außenministertreffens, man dürfe sich „nicht mehr von einem Land so fundamental abhängig machen, das unsere Werte nicht teilt, dass wir am Ende erpressbar werden“. Baerbock vergaß allerdings zu erwähnen, dass die angedeutete Abhängigkeit von Russland vor allem die Folge einer Energiewende war, die vor allem auf die Agenda ihrer eigenen Partei zurückgeht, nämlich auf den von der grünen-hörigen Ex-Kanzlerin Angela Merkel exekutierten Doppelausstieg aus Kernkraft und Kohle. 

Rückabwicklung des 19. Jahrhunderts
Hamburg: Chinas neuer Pachthafen in Europa?
Aus der Wirtschaft kommt derweil Druck in der Gegenrichtung: „Die Antwort auf die Krisen unserer Zeit kann und darf keine Abkehr von der Globalisierung und der internationalen Kooperation sein“, sagte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, den Funke-Zeitungen. Eine Entkopplung von China sei nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geostrategisch falsch. „China versorgt uns aktuell mit wichtigen Rohstoffen, die wir selbst nicht besitzen und auch nicht über alternative Handelsabkommen sichergestellt haben.“ Aus dem Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) wurde dem Kanzler geraten, „jetzt kein chinesisches Porzellan zu zerschlagen“.

In deutschen Chefetagen herrscht seit Wochen schon Aufruhr wegen der lauten Forderungen unter anderem des Wirtschaftsministers Robert Habeck, sich von China zu entkoppeln. In seinem Ministerium gibt es Pläne, die Regeln für staatliche Garantien zu verschärfen, die für die Investitionen deutscher Unternehmen im Ausland gelten. Es soll laut Reuters sogar ein Treffen der Chemieriesen BASF, des Industriekonzerns Siemens und der Deutschen Bank gegeben haben, um sich gegen diese Pläne zu koordinieren. In den Vorständen herrscht angeblich große Angst, dass ihr Chinageschäft leiden könnte. Zumal einige Konzerne erst in diesem Jahr dort große Summen investierten.

Auf der Reise nach China werden der besonders China-begeisterte BASF-Vorstandschef Martin Brudermüller, der gerade die Verringerung der Aktivitäten in Europa zugunsten Chinas verkündet hat, VW-Chef Oliver Blume, BMW-Chef Oliver Zipse, Biontech-Gründer Uğur Şahin und mehrere andere Konzernchefs Gelegenheit haben, den Kanzler lobbyistisch zu bearbeiten. 

Scholz steckt mit der Chinapolitik in einem Dilemma, eigentlich sogar in einem Trilemma. Und zwar eines, das er und seine Mitregierenden der alten und neuen Koalition selbst mitverschuldet haben. Es ist der uneinlösbare Anspruch, eine „wertegeleitete“ (Außen-)Politik zu betreiben und wirtschaftliche Abhängigkeit von einzelnen, unzuverlässigen oder moralisch inakzeptablen Partnerländern zu vermeiden – und zugleich die industrielle Potenz Deutschlands zu erhalten, die auf der Verfügbarkeit von grundlastfähigen Energiequellen und Massenabsatzmärkten auch jenseits westlicher Demokratien angewiesen ist. 

Wie gering das Interesse, geschweige denn der Respekt des chinesischen Regimes vor den Werte-Diskussionen deutscher oder anderer westlicher Politiker ist, zeigt die Existenz der verdeckten Polizei-Büros in Europa jedenfalls überdeutlich. Wie die Aufkaufstrategie europäischer Häfen an die früheren „Pachthäfen“ europäischer Kolonialmächte im ohnmächtigen Kaiserreich China des 19. Jahrhunderts, so erinnert auch diese Missachtung diplomatischer Regeln und westlicher Souveränitätsrechte durch die Weltmacht China an die Praxis der einstigen Kolonialmächte, ihre Bürger in China „extraterritorial“ der seinerzeitigen chinesischen Justiz zu entziehen.