Tichys Einblick
Hohn für den Koalitionspartner

Winfried Kretschmann „weiß gar nicht“, was die CDU will

Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident verhöhnt seine christdemokratischen Koalitionspartner ob ihrer programmatischen Leere. Währenddessen profiliert sich Innenminister Strobl mit Terror-Geraune gegen die neue Demonstrationsbewegung.

Thomas Strobl (links, CDU, Innenminister und stv. Ministerpräsident) und Winfried Kretschmann (Grüne, Ministerpräsident) haben sich was zu sagen im Stuttgarter Landtag, März 2021

IMAGO / Arnulf Hettrich

Wie gering der baden-württembergische Ministerpräsident die mit seinen Grünen koalierende und jahrzehntelang das Bundesland dominierende CDU schätzt, hat er in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dpa unmissverständlich deutlich gemacht. Die Aussagen, die die Stuttgarter Zeitung zitiert, lesen sich wie Hohn gegen die Partei von Innenminister Thomas Strobl: „Sie diskutieren darüber, wofür sie stehen wollen, anstatt zu sagen, wofür sie stehen. Das ist etwas eigenartig für eine Volkspartei, die jetzt erfolgreich 16 Jahre eine Bundesregierung geführt hat. Ich weiß gar nicht, was die wollen.“ Er, Kretschmann, betrachte das alles mit einer gewissen Verwunderung. „Aber es sind nicht meine Baustellen, sondern deren.“

Aber Kretschmann meint es, so will er wohl vermitteln, gut mit der CDU, indem er ihr mehr Gefolgschaftstreue zu der von ihm bekanntlich hochverehrten Alt-Vorsitzenden Angela Merkel empfiehlt: „Wenn sie das ein bisschen sorgfältig analysieren würden, würden sie doch feststellen, dass die Probleme der CDU begannen, als sich in der Flüchtlingskrise die Hälfte der Partei auf einmal gegen die eigene Kanzlerin stellte.“

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Die repressive Toleranz des Winfried Kretschmann
Dass sich Kretschmann das wünscht, sollte nicht überraschen, machte Merkel die politische Agenda der Grünen weitestgehend zu ihrer eigenen und ebnete somit auch seinen Weg in die Stuttgarter Staatskanzlei. Nur: Wirklichkeitsnäher wäre seine Analyse eben, wenn er gesagt hätte, dass sich auf einmal die Parteivorsitzende als Kanzlerin spätestens 2015 gegen die grundlegenden Linien der Politik ihrer eigenen Partei in den Jahrzehnten zuvor wendete. Und sich dagegen eben gerade nicht genug Widerstand in der CDU erhob, sondern Merkel auf den Parteitagen mit minutenlangen Ovationen bedacht wurde. Dass eine Partei, die sich von ihrer eigenen Vorsitzenden und deren Adlaten um der Macht willen selbst entkernen lässt, nicht mehr weiß, was sie will, ist dann weniger verwunderlich.

Tatsächlich „eigenartig“ war, was unmittelbar zuvor am Freitag der Innenminister und CDU-Landesvorsitzende Strobl selbst von sich gab. Er lieferte Focus-Online eine Tirade gegen die auch in Baden-Württemberg wachsende Corona-Protestbewegung, in der er von „Terror“ und einem Missbrauch der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit sprach. Wörtlich sagte er: „Eine rote Linie überschreitet übrigens auch, wer vor Wohnsitzen von Politikern aufmarschiert. So fängt Terror an, das ist Psychoterror. Das verurteile ich auf das Schärfste, das geht gar nicht.“

Und: „Wer unter dem Deckmantel eines Lichterspaziergangs durch Städte irrlichtert, wer die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit missbraucht, hierbei gar noch Gewalt gegen diejenigen anwendet, die sprichwörtlich ihren Kopf für den Schutz dieser Rechte hinhalten, der überschreitet eine rote Linie, der verlässt den gemeinsamen Boden der Demokratie, der demoliert unsere Demokratie.“

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