Tichys Einblick
Die Partei des fetten Staates

Eine zukunftsfähige SPD wäre eine Steuersenkungspartei der kleinen Leute

Die Sozialdemokraten wollen Reiche stärker besteuern. Wäre ihnen wirklich am Wohl der weniger Wohlhabenden gelegen, sollten sie sich lieber dafür einsetzen, dass die von ihrer Arbeit lebenden Bürger weniger Steuern zahlten. Doch offenbar geht es Walter-Borjans und Esken um anderes.

imago Images

Als hätten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans es bestellt: Ausgerechnet der zweitreichste Mensch der Welt fordert, dass seinesgleichen mehr Steuern zahlen sollen. Bill Gates schlägt auf seinem Blog unter anderem eine höhere Kapitalertragssteuer und eine höhere Erbschaftssteuer vor.

Steuererhöhungen scheinen derzeit international en vogue zu sein. Esken und Walter-Borjans haben gerade eine „Bodenwertzuwachssteuer“ eingefordert. Die neue Linksregierung von Pedro Sánchez in Spanien hat ebenfalls umfangreiche Steuererhöhungen angekündigt. Die Rechtfertigung für solche Forderungen und Taten ist von Kalifornien über Spanien bis nach Berlin dieselbe: mehr Gerechtigkeit.

Bodenwertzuwachssteuer
Wie SPD-Funktionäre Politik gegen ihre Wähler machen
Das ist das offen propagierte Motiv. Mindestens zwei weitere dürften dazukommen. Neben dem vielleicht ältesten Motiv der Menschheitsgeschichte, nämlich dem Neid, vermutlich noch das Eigeninteresse der politischen Klasse: Mehr Steuern heißt mehr Staatsaktivität, heißt also auch mehr Stellen im Staatsapparat, heißt mehr Möglichkeiten, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Erst recht, wenn die Wähler immer weniger SPD-Kader mit Abgeordneten-Diäten versorgt sehen möchten.

Nun kann man durchaus den astronomischen Reichtum von Gates und anderen für obszön halten. Offenbar tut das Gates sogar selbst. Aber bei echten Self-made Men wie Gates oder dem einzigen Menschen, der noch reicher ist als er, nämlich Jeff Bezos, ist der Reichtum durch das Leistungs-Ethos einigermaßen mit gängiger Moral zu vereinbaren: Leistung ist in postmodernen Gesellschaften die letzte akzeptable Ursache für soziale Unterschiede. Für leistungsloses Einkommen aus Kapitalerträgen oder Erbschaft gilt das aber nicht, zumindest nicht uneingeschränkt. 

Gates schreibt in seinem Blog-Beitrag: „Ein dynastisches System, in dem riesiger Reichtum an die Kinder weitergegeben werden kann, ist für niemanden gut; die nächste Generation hat nicht den gleichen Anreiz, hart zu arbeiten und zur Wirtschaft beizutragen.“ 

Der Self-made Man Gates argumentiert also ökonomisch. Aber hinter dieser Leistungs-Moral liegt letztlich dieselbe absolute Moral wie bei linken Utopisten: Alle Menschen sollen als Gleiche unter möglichst gleichen Bedingungen ihren Lebensweg beginnen. Es ist der uralte Traum vom Menschen als Tabula Rasa, als unbeschriebenes Blatt, das sich entweder selbst sein Schicksal schreibt – oder von der Gesellschaft beziehungsweise dem Staat eines vorgeschrieben bekommt. Die Frage ist dann nur noch, inwieweit Reichwerden erlaubt und möglich sein soll. 

Das Rechtfertigungsproblem des Erbens, allgemein des „unverdient“ Reichseins wird immer größer, je mehr sich moderne Gesellschaften von allen Wurzeln lösen, je weniger akzeptabel das ist, was man früher einmal „Schicksal“ nannte. Die philosophischen Vordenker dieses tatsächlich radikalen (radix=Wurzel) Gerechtigkeitstraumes machen übrigens nicht bei der finanziellen Gleichheit halt. Für John Rawls oder Stefan Gosepath sind auch Benachteiligungen durch körperliche Gebrechen, etwa angeborene Behinderungen grundsätzlich durch die Gesellschaft auszugleichen. Jede Ungleichheit ist zumindest rechtfertigungsbedürftig. 

Die Saat solcher Vordenker geht jetzt politisch auf. Einerseits in den Auswüchsen der Antidiskriminierungspolitik. Aber eben auch in der expandierenden Steuerpolitik.  „Reiche“ stärker zu besteuern wird immer weniger begründungsbedürftig, je mehr diese Moral des Menschen als Tabula Rasa allgemein akzeptiert oder gar eingefordert wird. Jedes Eigentum, das nicht unmittelbar erarbeitet wurde, steht dann eigentlich der Gemeinschaft beziehungsweise dem Staat zu, der für Gerechtigkeit, konkret: Gleichverteilung, zu sorgen hat. Und umso größer wird die Macht des Staatsapparates, der diese Verteilung organisiert – und dessen Betreiber. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts, vor allem die osteuropäische, hat erwiesen, in welchem realen Alptraum solche Träume von Gerechtigkeit enden, wenn sie konsequent umgesetzt werden. 

Es war das bleibende historische Verdienst der Sozialdemokraten, die Interessen der kleinen, nichts bis wenig besitzenden Leute in einer nicht-radikalen und nicht-utopischen Weise vertreten zu haben. Linke Realpolitiker wussten immer, dass den kleinen Leuten mit Ressentiments und Enteignungen der Besitzenden nicht geholfen ist. Die Sozialdemokraten haben eben nicht wie die Bolchewiki konsequent Tabula Rasa gemacht, sondern sich erfolgreich dafür eingesetzt, dass aus Arbeitern Bürger wurden – und die alten Bürger ihr Eigentum behalten durften. Ein Bürger ist einer, der nicht auf Gnadenerweise der Obrigkeit oder staatliche Almosen angewiesen ist. DIe alte SPD hat sich dafür eingesetzt, dass Arbeitnehmer von den Arbeitgebern nicht ausgebeutet werden. Nun ginge es darum zu verhindern, dass Arbeitnehmer vom Staat ausgebeutet werden. 

Doch statt den zu Bürgern aufgestiegenen abhängig Beschäftigten ihr erwirtschaftetes Geld zu belassen, verspricht die SPD ihnen einen Anteil von dem, was sie anderen wegnehmen will. Sie verschweigt zwar, dass der Löwenanteil davon vermutlich nicht bei den arbeitenden Steuerzahlern landen wird. Aber natürlich ahnen diese das. Und das ist wohl auch der Grund dafür, dass das Versprechen von mehr Gerechtigkeit durch höhere Besteuerung der Reichen bei der klassischen SPD-Klientel nicht verfängt. Es ist zu durchsichtig: Profitieren von den Steuererhöhungen werden vor allem die abhängigen Kostgänger des Staates: Seine Angestellten und Beamten im Staatsapparat selbst und in staatsabhängigen Sektoren, von den NGOs bis zu subventionierten „grünen“ Energieunternehmen, und natürlich auch die schon länger hier lebenden und neu hinzugekommenen Empfänger von Sozialleistungen.

Wenn sich die SPD angesichts ihrer historischen Verdienste noch ernst nähme als Interessenvertreterin der so genannten kleinen Leute, dann würde sie jetzt nicht höhere Steuern für die „Reichen“ fordern, sondern niedrigere für die wenig Besitzenden, die von ihrer Arbeit leben müssen. Wenn ihr die Lebenswirklichkeit dieser „kleinen Leute“, die zu vertreten die einzige ernsthafte Rechtfertigung für die Existenz der SPD ist, endlich wieder wichtiger wäre, als die fatale Mischung aus abstrakter Gleichheitsideologie, Ressentiments und dem Verlangen nach noch mehr staatlicher Umverteilungsmacht, dann wüssten sie, dass Bürger nicht staatlich zugewiesene Almosen verdienen (von denen stets noch die staatlichen Verteiler selbst profitieren), sondern über das Geld verfügen wollen, das sie für sich und ihre Angehörigen erarbeiten. 

Und wenn sozialdemokratische Regierungspolitiker wie Familienministerin Giffey meinen, dass sie mit solcher Steuererhöhungs- und Umverteilungspolitik zum Beispiel wenig verdienenden Familien helfen, dann sei ihnen der Blick ins Ausland empfohlen. Beziehungsweise der Blick auf die OECD-Statistik zum sogenannten „Steuerkeil“ (tax wedge) . Das ist ein Maß für den Zugriff des Staates auf Löhne und Gehälter, nämlich die Summe der Einkommenssteuer und der Sozialabgaben (inklusive des Arbeitgeberanteils) minus erhaltene Sozialtransfers, ausgedrückt als Anteil der Gesamtausgaben des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer.

Der Weltsystemcrash kommt?
Ökonom Max Otte: Die Mittelschicht wird weiter geschröpft
Ein alleinerziehender Vater oder eine Mutter mit einem schwachen Einkommen von 67 Prozent des deutschen Durchschnitts muss dem deutschen Fiskus und den Sozialversicherungen 31,5 Prozent dessen abgeben, was der Arbeitgeber für ihn an Lohn/Gehalt und Abgaben insgesamt aufwendet. Wohlgemerkt: Staatliche Sozialtransfers an den Alleinerziehenden (Kindergeld etc.) sind da schon abgerechnet. Dieser arbeitende Alleinerzieher wird also nicht vom Staat gestärkt, sondern er muss mit seinen geringen Kräften umgekehrt den Staat stärken.

In Irland dagegen kassiert der Staat nur 3,1 Prozent dessen ein, was ein Arbeitgeber für einen gering verdienenden Alleinerziehenden (67 Prozent des irischen Durchschnitts) mit zwei Kindern aufwendet. In Kanada und Neuseeland werden die Einkommen solcher alleinerziehenden Geringverdiener unterm Strich überhaupt nicht besteuert. Ein geringverdienender, alleinerziehender Kanadier erhält nach Sozialtransfers noch 15,2 Prozent seines Lohns dazu. In Neuseeland sind es sogar 20,5 Prozent des Bruttolohns. Konkret: Ein alleinstehender zweifacher Vater, für den sein Arbeitgeber 40.441 neuseeländische Dollar im Jahr zahlt, darf diese nicht nur komplett behalten, sondern bekommt noch mehr als 8000 Dollar vom Staat dazu. Auch nicht-getrennte Eltern mit zwei Kindern und nur einem Verdiener mit Durchschnittsgehalt zahlen unterm Strich nur 1,9 Prozent an den Fiskus.

Das könnte ein Vorbild für eine ernsthafte sozialdemokratische Politik sein: Eine Einheit von Steuer- und Sozialpolitik – zugunsten des arbeitenden Bürgers, zuungunsten des staatlichen Umverteilungsapparates. Eine SPD, die die Zeichen der Zeit erkannt hätte, die nicht in erster Linie nach Unterbringungsmöglichkeiten für ihre abgehalfterten Funktionäre in einem wuchernden Umverteilungsstaat und in zweiter Linie nach Realisierung abstrakter Gerechtigkeitsutopien strebte, wäre keine Steuererhöhungspartei. Eine überlebensfähige und – willige SPD, die dieses Land weiterhin gut gebrauchen und seine von ihrer Arbeit lebenden Bürger wieder wählen könnten, wäre eine Steuersenkungspartei. 

Die real existierende SPD von Esken, Heil, Giffey, Schwesig und Kühnert hat damit nichts zu tun. Sie hat sich gegen die Wirklichkeit und ihre eigentliche Klientel entschieden.