Tichys Einblick
Lehren aus dem Ukraine-Krieg

Die „Zeitenwende“ kommt nicht, solange Christine Lambrecht Verteidigungsministerin bleibt

Die Bundesregierung tut bislang nur so, als hätte die Bundeswehr neue politische Priorität. Wenn es dem Kanzler ernst wäre, müsste er sofort die ahnungslose Verteidigungsministerin Lambrecht auswechseln.  

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht, im Hintergrund SPD-Chef Lars Klingbeil, 7.2.2022

IMAGO / Björn Trotzki

CDU-Chef Friedrich Merz hat in der Generaldebatte des Bundestages einige wichtige Bedingungen für die notwendige Zustimmung der Union zu dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr aufgestellt. Vor allem, dass das Geld ausschließlich der Bundeswehr zugutekommen müsse, ist wichtig angesichts der Tendenz sozialdemokratischer und grüner Politiker, „Sicherheit“ mit Entwicklungshilfe und Klimaschutz in einen Topf zu werfen. Aber die wichtigste Bedingung fehlte leider: Wenn seine angekündigte „Zeitenwende“ ernst gemeint wäre, also die Bundeswehr und damit die Wehrhaftigkeit unseres Landes für den Bundeskanzler wirklich höchste Priorität hätte, müsste er sofort seine Parteifreundin Christine Lambrecht entlassen und durch einen Minister ersetzen, dessen Kompetenz für dieses Amt alleiniges Kriterium wäre.

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Denn Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin steht für die ganze Misere der Bundeswehr und für all das, was es in erster Linie nun zu überwinden gälte: die Gleichgültigkeit oder gar Fremdheit der politischen Klasse Deutschlands gegenüber den Streitkräften und allem Militärischen. Der Niedergang der Bundeswehr ist längst nicht nur eine Folge der Unterfinanzierung, sondern der seit Jahrzehnten eingerissenen und in den Merkel-Jahren intensivierten Vernachlässigung des eigentlichen Zweckes der Streitkräfte: nämlich der militärischen Kampfkraft und Einsatzbereitschaft. In den Merkel-Jahren sollte die Bundeswehr nicht kampfstark sein, sondern als ein gendergerechter Arbeitgeber möglichst wenig Angriffsfläche für eine pazifistische Öffentlichkeit bieten. Vor allem unter der langjährigen Ministerin Ursula von der Leyen wurde die Truppe zu einem Experimentierfeld und Vorzeigeobjekt für gesellschaftliche Veränderungswünsche. Schon die Auswahl der Ministerinnen und ihrer Staatssekretäre diente implizit diesem Zweck. Auch damit biederte sich Angela Merkel einem un- bis antimilitärischen grünen Zeitgeist und potenziellen Koalitionspartner an. 

Scholz zeigte sich auch auf diesem Politikfeld als gelehriger Schüler Merkels – und berief ausgerechnet die bisherige Justizministerin Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin. Nichts qualifiziert sie dazu. Wie soll aber eine Frau, der militärische und sicherheitspolitische Kompetenz fehlt, an das Werk gehen, die vielen Milliarden, die ihr jetzt zufließen, so einzusetzen, dass sie wirklich die Fähigkeiten der Bundeswehr stärken. Die Bürokratie der Bundeswehr und des BAAINBw (Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr) ist zu einem Monster degeneriert, das es im Dienste der Truppe zu bändigen gälte. Doch das könnte nur ein Minister, der weiß, worauf es der Truppe ankommt und deren Interesse (im Interesse des Landes an seiner Verteidigungsfähigkeit) absoluten Vorrang vor all den Befindlichkeiten gäbe, die in den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten bedient wurden.

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Jetzt käme es darauf an, die Bundeswehr nicht nur mit Milliarden einzudecken – das Risiko, dass sich daraus vor allem die Bürokratie bedient, ist groß –, sondern zunächst den Ukraine-Krieg und andere Konflikte jüngerer Zeit gründlich zu analysieren und die Truppe konsequent zu reformieren mit Blick auf diese Lehren. Welche Veränderungen für Ausrüstung, Waffen, operative Führung und Taktik gebieten diese Beobachtungen? Schon klar dürfte sein: Bewaffnete Drohnen werden eine Hauptrolle spielen – die SPD hat ihre Beschaffung jahrelang verhindert. Aber auch die drastisch belegte Wirksamkeit infanteristischer Panzer- und Flugzeugabwehrwaffen muss dabei eine wichtige Rolle spielen. Jeder Bundeswehrsoldat, der in einem Leopard- oder Puma-Panzer sitzt, wird sich angesichts der grausigen Bilder aus der Ukraine fragen, wie geschützt sein Fahrzeug vor solchen Waffen wäre. Oder werden Panzer womöglich sogar ihre beherrschende Rolle auf dem Schlachtfeld verlieren?

Ein Verteidigungsminister, der tatsächlich eine Scholz’sche Zeitenwende umsetzen will, muss sich gemeinsam mit den führenden Soldaten der Bundeswehr solchen todernstenFragen stellen. Aber kann man sich Christine Lambrecht hierbei ernsthaft vorstellen? Kann und will sie das selbst?

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Wenn es Scholz also ernst meinte, müsste er jetzt einen wirklichen Militärfachmann als Minister berufen und jeden Gedanken an Proporze, Geschlecht oder sonstige Befindlichkeiten des Politikbetriebs hintanstellen. Angesichts des Ukraine-Krieges hätte er sicher schlagende Argumente, um eine solche Entscheidung jetzt durchzusetzen. 

Es gibt seit Bestehen der Bundeswehr eine Art ungeschriebenes, aus historischer Erfahrung erwachsenes Gesetz, dass kein Berufssoldat zum Verteidigungsminister werden soll. Aber es gäbe durchaus sogar in der SPD den ein oder anderen Politiker, dem diese extrem verantwortungsvolle Gigantenaufgabe zuzutrauen wäre. 

Vielleicht erinnert sich Scholz noch an einen gewissen Hans-Peter Bartels. Der war einmal Wehrbeauftragter des Bundestages – und bei den Soldaten hochgeschätzt. Er verlor aus Gründen, die oben angedeutet wurden, seinen Posten und wurde von Eva Högl abgelöst, die ähnlich militärfremd ist wie von der Leyen, Kramp-Karrenbauer und Lambrecht. Auch das war ein Signal, das jeder Soldat und die deutsche Öffentlichkeit nur so verstehen konnte, dass der Bundesregierung die Bundeswehr ziemlich wurscht ist. Jetzt wäre die richtige Gelegenheit, Bartels zu rehabilitieren und zum Verteidigungsminister zu ernennen. Er weiß wie kaum ein anderer Politiker um die wirklichen Schwächen der Bundeswehr – und um die Sorgen der Soldaten, die eben nicht mit dem identisch sind, was die (viel zu zahlreichen) Generale den Staatssekretären und Ministern einflüstern. 

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Wenn sich Scholz dazu nicht durchringen kann, böte sich auch der frühere Wehrbeauftragte Reinhold Robbe an. Oder vielleicht auch sein Parteivorsitzender und Wahlkampfstratege Lars Klingbeil. Der hat zwar als Sohn eines Berufssoldaten den Wehrdienst verweigert, aber seine Meinung glaubwürdig geändert. Er gehört zu den wenigen Sozialdemokraten seiner Generation ohne Bundeswehrphobie und hat durch Mitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik und im Förderkreis Deutsches Heer entsprechende Häme („Lars und die Panzer“ ulkte die TAZ) auf sich gezogen.

Die wichtigste Lehre des Ukraine-Krieges ist: Noch mehr als auf die richtigen Waffen kommt es auf die Kampfbereitschaft der Soldaten und ihre Unterstützung durch die politische Führung und die Öffentlichkeit an. Das wäre das dickste Brett, das die Bundesregierung zu bohren hätte. Und sie müsste bei sich selbst und in ihren eigenen Parteien damit anfangen.

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