Tichys Einblick
Kompetenzsimulationskompetenz

Warum die Fächer Deutsch und Mathematik zentral bleiben müssen

Was gilt: „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ oder „Unwissenheit ist Stärke“?

Man wundert sich: Da ringt sich Bayern vor gut einem Jahrzehnt durch, von Abiturienten eine schriftliche Pflichtprüfung in Deutsch und (!) in Mathematik zu verlangen. Bayern ist damit strenger als manch andere deutsche Länder. „Ist einiges strenger“ – nein: „war“! Ab dem Abitur 2026 werden bayerische Gymnasiasten unter bestimmten Vorgaben die Möglichkeit haben, Deutsch oder Mathematik durch eine Prüfung in einem anderen Fach zu ersetzen. Zugleich sollen Gymnasiasten künftig ausführlicher in politischer Bildung geprüft werden. War zuletzt lediglich ein Prüfungsfach aus dem Bereich Geschichte/Politik/Gesellschaft/Geografie/Wirtschaft und Recht verpflichtend, können die Schüler ab 2026 zwei davon wählen. Ein Schülersprecher begrüßt denn auch diese Regelung: „Besonders freut es uns, dass durch die Möglichkeit zur Abiturprüfung in zwei gesellschaftswissenschaftlichen Fächern der Bereich der politischen Bildung eine signifikante Intensivierung erfährt.“ Naja, könnte man sagen: Man will debattieren und sich nicht mit Literatur und Zahlen herumschlagen.

Gleichmacherei der Inhalte und Fächer

Was steckt dahinter? Dass die Ideologie des Egalitarismus (vulgo: der Gleichmacherei) die Bildungspolitik seit Jahrzehnten rundum erfasst hat, ist keine neue Erkenntnis. Das gefällig-populistische Ziel scheint nach wie vor zu sein: Nicht nur Abitur für alle, sondern Spitzenabitur für alle! Und da ja alle Heranwachsenden angeblich gleich seien, solle es auch für alle die gleiche, „sozial gerechte“ Einheitsschule geben. All das kennen wir – mit all den Folgen einer Niveauabsenkung von Bildung.

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Egalisierung hat aber eben auch inhaltlich stattgefunden. Motto: „Alle Inhalte sind gleich, alle Fächer sind gleich.“ Auf die Vermittlung von „Kompetenzen“ komme es schließlich an, nicht auf reproduzierbares Wissen, das sich angeblich ständig überholt, heißt es. Also wurden aus den Lehrplänen qua Kompetenzplänen Leerpläne (sic!). Einen curricularen Nihilismus könnte man es auch nennen. Schauen wir uns Kataloge an curricular verankerten Kompetenzen an: Methoden-Kompetenz, Medien-Kompetenz, Umsetzungs-Kompetenz, Human-Kompetenz, Kritik-Kompetenz, mentale Kompetenz, Kern-Kompetenz, Frage-Kompetenz, Orientierungs-Kompetenz, Begriffs-Kompetenz, Strukturierungs-Kompetenz, Analyse-Kompetenz, Wahrnehmungs-Kompetenz, Urteils-Kompetenz, De-Konstruktions-Kompetenz, Re-Konstruktions-Kompetenz, Narrative Kompetenz. (Narrative Kompetenz hieß einmal Geschwätzigkeit.) Einmünden sollen all diese Kompetenzen – je nach Abstraktionsgrad – auf einer elaborierten, intermediären oder basalen Ebene in eine Sprach-, Lern-, Sozial- und Personal-Kompetenz oder auch in Vertikal-, Horizontal- oder gar Meta-Kompetenzen.

Konkrete Inhalte scheinen keine Rolle mehr zu spielen – nicht einmal im Bildungs-Freistaat Bayern. Dort gibt es seit Frühjahr 2016 zum Beispiel den „LehrplanPLUS” (plus, nicht minus!) für das Fach Deutsch an Gymnasien. Sage und schreibe 44-mal findet sich dort im allgemeinen Teil der Begriff „Kompetenz“, im Lehrplan selbst gibt es ihn 171-mal (oft als wiederkehrende Überschriften). Die Anzahl der Einzelkompetenzen beträgt über alle Gymnasialjahre hinweg übrigens 299. Ach ja, es kommt auch ein Dichter- und Werkname vor: Goethes „Faust“. Alles andere ist beliebig in der Auswahl.

Kaum anders stellt sich in den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK) vom Oktober 2012 das Fach Mathematik dar. Hochtrabend, aber recht inhaltsleer wird dort die mathematische Kompetenz definiert als „die Fähigkeit einer Person, die Rolle zu erkennen und zu verstehen, die Mathematik in der Welt spielt, fundierte mathematische Urteile abzugeben und sich auf eine Weise mit der Mathematik zu befassen, die den Anforderungen des Lebens dieser Person als konstruktiven, engagierten und reflektierendem Bürger entspricht.“

Solche Leerpläne sind die Folge einer Schulpolitik, die unter quasi-modernen Begründungen eine Aversion gegen konkretes Wissen und Können, gegen jeden verbindlichen Fächerkanon pflegt. Dabei ist ohne konkretes und auch präsentes, eingeübtes Wissen und Können Grundbildung nicht möglich. „Vielwisserei macht nicht weise“, so schon Heraklit, aber Nicht-Wissen und Nichts-Können schon gar nicht.

Mündigkeit hat mit Wissen und Können gerade in Deutsch und Mathematik zu tun

Es gibt sehr viel, ja unendlich viel Wissen und Können, das sich nicht überholt – gerade in den Fächern Deutsch und Mathematik. Dieses Wissen und Können gilt es als Vorratswissen und als Basiskönnen zu vermitteln. Breites Wissen und umfassendes Können sind zudem die unerlässliche Voraussetzung für die Fähigkeit zur Zusammenschau und für kreative Leistungen. Wer erfinderisch und innovativ sein möchte, der muss erst einmal viel wissen und können. Wissen hat zudem eine staatsbürgerliche Funktion. Denn: „Wer nichts weiß, muss alles glauben“ (Marie von Ebner-Eschenbach).

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Erst Wissen und Können schaffen geistige Unabhängigkeit. Ein Mensch ohne Wissensfundus und Basiskönnen wäre das Lieblingsobjekt eines jeden Diktators oder Demagogen. Er wäre verführbar für jede Lüge und Halbwahrheit; er wäre anfällig für jedes Angstmachen und für jedes Propagieren von Vorurteilen. Deshalb ist der unwissende oder gar mit Lügen indoktrinierte Mensch das Ziel totalitärer Systeme, die alles Mögliche weismachen wollen und die alles vorgeben wollen: eben auch Vorurteile. Nicht umsonst nennt George Orwell in seiner Dystopie „1984“ als einen der drei Wahlsprüche des Wahrheitsministeriums (des „Miniwahr“): „Unwissenheit ist Stärke!“ Vulgo: Ein dummes (verdummtes) Volk regiert sich leichter.

Will sagen: Wer als Heranwachsender nicht mehr oder weniger sanft – auch qua obligatorischer Abschlussprüfung – angehalten wird, sich in die Fächer Deutsch und Mathematik „hineinzuknien“, dem fehlt es an Mündigkeit. Der wird weniger leicht den Missbrauch von Sprache in Reklame und Propaganda durchschauen. Der wird weniger leicht die von Politik und Medien auftischten Zahlen (Billionen!), Statistiken, Histo- und Diagramme, Korrelationen, Signifikanzen usw. durchschauen. Er wird sich ständig ein X für ein U vormachen lassen. Oder boshaft: Er wird zum FfF-Freitagshüpfer, der anderen ein X für ein U vormachen will, weil er keine Klimadiagramme lesen oder etwa anthropogene deutsche CO2-Anteile an der Atmosphäre (0,02 x 0,04 x 0,04 = 0,000032 Anteil) errechnen kann. Aber er verfügt über eine Kompetenzsimulationskompetenz, die am Ende sogar Regierungsämter erschließt.

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