Tichys Einblick
Zu spät – Zu teuer – Untauglich – Verworfen

Rüstungs- und Investitionsflops haben Tradition in der Bundeswehr

Die Puma-Pannen der jüngsten Zeit sind nur das letzte Beispiel in einer langen Reihe des Versagens der Bundeswehr beziehungsweise der Beschaffungsbürokratie und Politik mit Waffensystemen. Ein Blick in die Geschichte mit einigen Beispielen.

Skandal-Schützenpanzer HS 30, Aufnahme aus den 1970er Jahren

IMAGO / United Archives

Innerhalb nur einer Woche mussten wir uns hier auf TE mehrmals mit „Pleiten, Pech und Pannen“ im Verteidigungsministerium befassen:

„Pleiten, Pech und Pannen“ scheint Tradition in der Bundeswehr zu haben. Von Anbeginn an, seit Ende der 1950er Jahre. Wir dokumentieren sechs ausgewählte Rüstungs- und Investitionsflops der Bundeswehr bzw. der Verteidigungspolitik. Es ließen sich noch viele weitere Beispiele dafür finden, die zeigen, dass das Desaster um den Schützenpanzer Puma und um die Panzerhaubitze 2000 nur das letzte Glied in einer langen Reihe ist.

1. Schützenpanzer HS-30

In der Aufbauphase der Bundeswehr kaufte die Bundesregierung für 517 Millionen D-Mark, das heißt zum Stückpreis 237.600 D-Mark, 2.176 Schützenpanzer des Typs HS-30. Geplant war sogar einmal der Kauf von 10.680 Stück gewesen. „HS“ stand für die Firma Hispano Suiza, eine Genfer Firma, die zwar Gewehre und Kanonen gebaut hatte, aber noch nie Panzer. Weil die Firma HS nicht einmal die Kapazität für 2.176 Stück hatte, gab es Bauaufträge auch an die Firmen Hanomag (Hannover), Henschel (Kassel) und an den britischen Omnibusbauer Marc-Leyland.

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Entsprechend fiel das Produkt aus, das dem Verteidigungsausschuss am 28. März 1956 als Holz- und Pappe-Modell vorgestellt worden war. Der HS-30 war schließlich von 1959 bis 1971 – zumindest theoretisch – im Einsatz; dann wurde er durch den heute noch verwendeten Schützenpanzer Marder ersetzt. Der HS-30 hatte erhebliche Mängel im Motor, im Getriebe, in der Federung, in der Lüftung, in der Kühlung, beim Munitionswechsel. Seine Reichweite waren nur 270 Kilometer, schneller als 58 km/h konnte er selbst auf der Straße nicht fahren. Klar, 229 PS für mehr als 14 Tonnen Gewicht, waren mehr als dürftig. Erfahrene Offiziere nannten den HS-30 bald eine „Mistkarre von Anfang an“.

Der HS-30 war Ende der 1960er Jahre denn auch skandalumwittert. Es stellte sich heraus, dass Schmiergelder geflossen waren, unter anderem an einen engen Mitarbeiter des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Strauß (CSU), und dass offenbar auch 50 Millionen D-Mark als Parteispende an die CDU gegangen waren.

2. Starfighter F-104G

Der damalige Verteidigungsminister Strauß, die Bundesregierung und die Generalität waren begeistert von diesem F-104 „Starfighter“. Vor allem wegen seiner damals unerreichten Leistungen: Mach 2.2, Flughöhe bis 36.000 Meter, das heißt bis weit hinein in die Stratosphäre; in 60 Sekunden auf über 10.000 Meter Höhe steigend; beim Start mit 29.000 PS in 13 Sekunden auf 350 km/h beschleunigt; atomwaffenfähig.

Die Schwächen übersah man: ohne Zusatztanks nur knapp 700 Kilometer Reichweite; nur ein Triebwerk; auftriebsschwach mit nur 18 m² Stummelflügeln; eine „Diva“, die nicht einmal kleinste Pilotenfehler verzieh. Dennoch wurden von der US-Firma Lockheed 916 Stück zum Preis von anfangs rund 6 Millionen D-Mark pro Stück für 15 Geschwader gekauft. Und man begann bald zu pfuschen. Man machte aus dem US-Schönwetter- und Tag-Abfangjäger für Deutschland auch einen Jagdbomber und einen Aufklärer. Das verkraftete das schlanke Flugzeug nicht. Unfassbare 269 Starfighters stürzten ab und rissen 116 Piloten in den Tod. Ein prominentes Todesopfer war Oberleutnant Joachim von Hassel am 10. März 1970, der Sohn des vormaligen Verteidigungsministers (1963 – 1966) und zu diesem Zeitpunkt amtierenden Bundestagspräsidenten Kai-Uwe von Hassel.

Bald hieß die Maschine, die gleichwohl von den Piloten stets begeistert geflogen wurde, „Witwenmacher“, und es entstand der makabre Kalauer: „Wie kommt man zu einem Starfighter? Antwort: Indem man ein möglichst großes Grundstück hat.“ Von 1960 bis Mai 1991 war der Starfighter im Bestand, ab den 1970er Jahren bzw. ab 1982 wurde er von der „Phantom“ und vom „Tornado“ ersetzt. Die US-Amerikaner trauten ihrem Produkt ohnehin weniger. Dort flog man nur 296 Exemplare des Starfighters, und man musterte ihn bereits Ende der 1960er Jahre aus. 

3. Kampfhubschrauber Tiger

Die Bundeswehr ist nicht reich bestückt an einsatzfähigen Hubschraubern. So mussten in Ermangelung notwendiger Flugstunden allein für die Hubschrauberpiloten für die Jahre bis 2024 für 63 Millionen Euro sieben Hubschrauber des ADAC angemietet werden. In den Berichten des Generalinspekteurs zur materiellen Einsatzbereitschaft ist mit Blick auf Hubschrauber von einer Einsatzbereitschaft von 40 Prozent die Rede. Aber selbst diese Zahl dürfte geschönt sein. Denn: Von den 51 vorhandenen Stück des Typs „Tiger“ waren im April 2022 ganze 9 einsatzfähig.

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Bleiben wir beim „Tiger“: Er ist ein deutsch-französisch-spanisches Produkt. Für die Bundeswehr ist der Tiger vor allem als Kampfhubschrauber (KH) für die Panzerabwehr konstruiert, aber auch als Unterstützungshubschrauber (UH) wird er eingesetzt. Geplant wurde er ab 1984, seinen Erstflug hatte der Tiger 1991, 1999 bestellte die Bundeswehr 80 Stück, in Dienst gestellt wurde er mit schließlich 51 Stück ab 2003. Sein Stückpreis lag je nach Anschaffungsjahr zwischen 40 und 60 Millionen. Aktuell muss der Tiger bis 2025 für 277 Millionen Euro instandgesetzt werden. Der Reparaturstau wird also erst im Jahr 2026 abgebaut sein, und dann soll er bis 2038 „dienen“. Aber er ist ein Hubschrauber, der von Anbeginn an mit technischen Problemen belastet war: Schadhafte Bolzen in der Rotorsteuerung wurden gefunden (2019), die für AOT-Raketen gedachten Waffenträger wurden verloren. Von 2012 bis 2014 war der Tiger in Afghanistan eingesetzt, dann auch in Mali. Dort stürzte am 26. Juli 2017 ein Tiger ab. Aufgrund eines Wartungsfehlers verlor er Hauptrotorblätter; beide Piloten kamen ums Leben.

Die offenbar nicht auszurottenden Kernprobleme haben damit zu tun, dass im Verlaufe des Planungs- und Produktionsprozesses die Anforderungen ständig geändert wurden und dass Deutschland und Frankreich zwei völlig verschiedene Tiger-Grundmuster im Sinn hatten. So verfügt der französische HAP (Helicoptere d’ Appui et de Protection) über eine bewegliche Bordkanone am Bug mit einer elektronischen Ziel-, Visier- und Missionsausrüstung und Raketenbehältern an der Zelle. Dagegen ist die deutsche Tiger-Version mit einem technisch höchst aufwendigen Mastvisier ausgestattet, optimiert zur Bekämpfung von Panzern in unübersichtlichem Gelände. Statt flexibel drehbarer Kanone am Bug des Hubschraubers können seitlich Raketen- oder Kanonenbehälter fest montiert werden. Zum Einsatz der Kanone muss allerdings der ganze Hubschrauber millimetergenau auf das Ziel ausgerichtet werden. Das ist eine unnötige Einschränkung, die den Wert des Tigers erheblich schmälert. Die Australier machten es anders: Sie tauschten ihren vor einigen Jahren eingeführten Tiger-Hubschrauber gegen den AH-64 Apache von Boeing aus. 

4. Euro-Hawk-Drohne

Ziehen wir das Ergebnis vom Ende her auf: Das einzige Exemplar der Euro-Hawk-Riesendrohne RQ-4E der Bundeswehr (Hersteller: Northrop-Grumman, Spannweite 40 Meter) steht seit September 2021 im Luftwaffenmuseum in Berlin-Gatow – einträchtig neben einer DC-3, einem Fieseler Storch, einer ME 109, einer MiG 29 usw. Damit endete ein Debakel, mit dem mindestens 700 Millionen Euro in den Sand gesetzt worden waren.

Blamage für Deutschland
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Erste Pläne hatte es im Jahr 2000 gegeben; sie konkretisierten sich 2003. Gedacht war an die Anschaffung von 5 Stück der Überwachungsdrohne und einen Einsatz ab 2025. Bereits 2004 gab es erste Bedenken unter Insidern, die zweifelten, ob die Großdrohne jemals die zivilen Vorgaben (Anti-Kollisions-System ….) erfüllen werde. Der Bundesrechnungshof stellte 2013 in einem 33-seitigen Gutachten „folgenschwere Organisationsversagen“ fest. Der damalige Verteidigungsminister de Maizière zog Ende 2013 denn auch die Reißleine. Weil für die Ertüchtigung der Drohne bis hin zur Einsatzfähigkeit weitere 600 Millionen Euro notwendig gewesen wären, blieb das einzige für die Bundeswehr bislang produzierte Exemplar am Boden. 2014 keimte dann zwar der Plan einer Reaktivierung auf, 2018 dachte man an den Verkauf der Drohne an die Nato, definitiv beendet wurde die Sache aber erst 2020. Im Juni 2021 beschloss der Bundestag in seiner letzten Sitzung vor der Bundestagswahl dann, 866 Millionen für das System „Persistant German Airborne Surveillance System“ (PEGASUS) zur Verfügung zu stellen. Nun setzt man auf bemannte Aufklärer. Das Millionengrab Euro-Hawk aber hat es rasch zur musealen Reife gebracht.

5. Segelschulschiff Gorch Fock

Die Marine hat seit 1958 das Segelschulschiff „Gorch Fock II“. Es ist dies das Schwesterschiff der Gorch Fock I, die 1933 gebaut worden war, von 1951 bis 1990 Teil der sowjetischen Handelsmarine und von 1991 bis 1999 Teil der ukrainischen Handelsmarine war. Seit 2003 liegt die „Gorch Fock I“ als nicht mehr seetüchtig in Stralsund. Die jüngere Schwester aber galt über Jahrzehnte hinweg als „Botschafter Deutschlands“ und als „Stolz der Marine“.

Im Jahr 2010 wurde sie generalüberholt, 2012 gab es für 10 Millionen Euro erneute Reparaturen. Von 2015 bis 2021 wurde sie grundrenoviert. Allerdings wurde die Sanierung 2016 gestoppt und erst 2017 fortgeführt. 2017 wurde der Sanierungsbedarf auf 75 Millionen Euro kalkuliert, im Jahr 2018 bezifferte man die Kosten auf 135 Millionen Euro. Diese 135 Millionen sind denn auch effektiv angefallen. Bald war auch von einem „Skandalschiff“ und einem „Schrottboot“ die Rede. Nach einem Werftwechsel kam die „GF II“ jedenfalls im April 2021 fertig renoviert zurück in den Heimathafen Kiel. Renommierte Gutachter zerlegten die enormen Kosten. Man warf dem Verteidigungsministerium (Ministerin war von Dezember 2013 bis Juli 2019 Ursula von der Leyen) vor, keinerlei Prüfung der Wirtschaftlichkeit vorgenommen zu haben. Und es wurde vorgerechnet, dass ein gänzlicher Neubau wohl für 60 bis 70 Millionen Euro möglich gewesen wäre.

6. Truppentransporter A400M Atlas

Über den Airbus-Transportflieger A400M „Atlas“ (benannt nach dem Titan Atlas, dem Träger des Himmelsgewölbes in der griechischen Mythologie), den sieben Nato-Länder sowie einige andere Länder (Malaysia, Indonesien, Kasachstan) fliegen, ließe sich allein eine nicht enden wollende Geschichte schreiben. Diese Geschichte begann im Dezember 1982 mit einer Studie zur Machbarkeit eines gemeinsamen europäischen Militärtransporters. Im September 1994 gab es ein 1:1-Modell des A400M. Erst Ende des Jahres 2007 wurde mit dem Bau des ersten Prototyps begonnen. Der A400M sollte dann ab 2008 in die Serienproduktion gehen.

Weil es vor allem immer wieder Probleme mit den Triebwerken gab und jedes beteiligte Land andere Varianten haben wollte, erfolgte die erste serienmäßige Auslieferung – in diesem Fall an Frankreich – im August 2013, an Deutschland im Dezember 2014. Aber die Probleme blieben erhalten. Einsatzfähigeren phasenweise weniger als 43 Prozent (2017: 38 Prozent) der Flugzeuge. Ob all der Verzögerungen und Sonderwünsche erhöhte sich denn auch der Stückpreis von ursprünglich 125 Millionen Euro auf 175 Millionen.

Und die Geschichte ist ja auch noch lange nicht zu Ende, da von den 53 für die Bundeswehr bestellten Maschinen im November 2022 erst die 40ste ausgeliefert wurde und die 53ste Maschine wohl erst 2026 zu erwarten ist. Obendrein erfüllt der A400M nicht alle Wünsche, die man hatte. Beispiel: Der A400M sollte auch einen Puma-Schützenpanzer transportieren können. Da dieser aber immer schwerer wurde, kann er nur transportiert werden, wenn von ihm vor der Verladung erst tonnenweise Panzerung abgeschraubt wird.

Wie viel Dilettantismus denn noch?

Sechs Beispiele sind dies. Wir könnten die Liste noch lange fortsetzen und weitere Flops nennen: den Spähpanzer Hotchkiss, das IT-Projekt Herkules; die MEADS-Raketenabwehr, den mittelschweren Transporthubschrauber NH 90. Die 200 Millionen, die eine Verteidigungsministerin ohne jeden Erfolg für Unternehmensberater in den Sand gesetzt hat, erwähnen wir nur am Rande. 

Wir fragen uns jedenfalls, wie viele Dilettanten, Hyperbürokraten und den Brei verderbende Köche die Bundeswehr noch verkraften muss.