Tichys Einblick
Nicht um jeden Preis

Fastenmonat Ramadan darf Kinder nicht gefährden

Während viele laizistisch geprägte Familien das Fastengebot sehr locker auslegen und nicht auf ihre Kinder anwenden, werden vor allem die Kinder radikal-konservativer Familien, in denen eine auch radikale Koranauslegung vorherrscht, zum Fasten gezwungen oder tun dies wegen des Drucks von Großeltern, fundamentalistischen Imamen und Glaubensbrüdern scheinbar „freiwillig“.

Das Wort „Fasten“ stammt aus dem Althochdeutschen und bedeutet in etwa „festhalten“ oder „streng beobachten / bewachen“. Gerade im momentan laufenden muslimischen Fastenmonat Ramadan zeigt sich einmal mehr, wie viele, vor allem konservativ oder gar fundamentalistisch gesinnte Muslime mit einer unter anderen Umständen sehr beeindruckenden Vehemenz am Festangebot festhalten – und das nicht selten schon für Grundschulkinder.

Das strenge muslimische Fastengebot sieht vor, dass gläubige Muslime vom Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang weder Speisen noch Getränke zu sich nehmen sollen. Seit vielen Jahren herrscht unter den muslimischen Gelehrten jedoch Uneinigkeit über die Frage, ab welchem Alter das Fastengebot denn jetzt gelten soll. In salafistisch oder fundamentalistisch geprägten Kreisen halten die Familienoberen oftmals völlig unbelehrbar daran fest, dass das Fastengebot bereits für kleinste Kinder gelten solle – völlig unabhängig davon, ob diese im Fastenmonat zur Schule gehen müssen oder nicht. Dieser Trend scheint sich innerhalb der letzten Jahre zu meiner großen Beunruhigung immer weiter zu verstärken, manchmal scheint es gar, als würde das Fasten zu einem Wettlauf unter den salafistisch geprägten Hardlinern mutieren, frei nach dem Motto: Welche Familie beginnt zuerst? Das Kindeswohl wird dabei scheinbar hintenangestellt.

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Das bestätigen auch die Berichte von Lehrern und Verantwortlichen im Schuldienst aus den letzten Jahren. Diese zeugen davon, dass es während der Ramadan-Zeit in den Klassen vermehrt zu Unruhen, Streitigkeiten und zu einem Abfall der Leistungsbereitschaft kommt. Das hat gleich mehrere Gründe, die in direktem Zusammenhang mit der strengen Auslegung des Fastengebots stehen und insbesondere durch den Zwang der radikal-islamistischen, salafistischen Familien verstärkt werden, der auch die jüngsten Familienmitglieder zum Fasten zwingt.

Während des Fastenmonats wird in muslimischen Familien sinnbildlich gesprochen die Nacht zum Tag, denn nach Sonnenuntergang gibt es im Ramadan in den muslimischen Häusern regelrechte Festmahle, denn dann ist Essen und Trinken in rauen Mengen erlaubt – nach einem entbehrungsreichen Tag auch völlig zurecht. Der Fastenmonat Ramadan bildet in vielen und meisten muslimischen Familien den spirituellen Jahreshöhepunkt, wird im besonderen Maße für Friedensgebete, persönliche Einkehr und Besinnung genutzt. Dennoch ist durch die Speisevorschriften an einen geregelten Tag-Nacht-Rhythmus im Ramadan nicht mehr zu denken. Den Kindern fehlt dadurch von vorhinein schon wichtiger Schlaf, denn sie zum Ausruhen und Regenerieren eigentlich dringend bräuchten. Wenn die Kinder dann am nächsten Morgen – nach einer zu kurzen Nacht versteht sich – wieder in die Schule müssen, ist Trinken und Essen wieder verboten.

Das schlägt selbstverständlich auf den Kreislauf und führt meistens zu Unaufmerksamkeit, Unkonzentriertheit, einem Abfall der Leistungen und der Leistungsbereitschaft. In Extremfällen kommt es sogar zu Kreislaufzusammenbrüchen. Berichte hierüber haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Außerdem häufen sich auch die Fälle, in denen fastende muslimische Schüler zwar ihre verminderte Leistungsfähigkeit im Ramadan erkennen, darauf aber nicht etwa mit einem Fasten-Verzicht reagieren, sondern sich weigern, in dieser Zeit an Arbeiten oder Klausuren teilzunehmen.

Während viele laizistisch geprägte Familien das Fastengebot sehr locker auslegen und nicht auf ihre Kinder anwenden, werden vor allem die Kinder radikal-konservativer Familien, in denen eine auch radikale Koranauslegung vorherrscht, zum Fasten gezwungen oder tun dies wegen des Drucks von Großeltern, fundamentalistischen Imamen und Glaubensbrüdern scheinbar „freiwillig“.

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Durch den permanenten Spagat zwischen Schlafmangel, Leistungswille beziehungsweise Leistungsdruck in der Schule und der fehlenden Möglichkeit den Kreislauf mit Essen und Trinken auf Spuren zu bringen entsteht schnell eine gereizte Stimmung in den Klassen, die innerhalb kürzester Zeit Konflikte provozieren kann. Insbesondere junge Schüler sind hierfür besonders anfällig, nicht zuletzt auch, weil ihnen oftmals das Verständnis für die Tragweite ihres Fastens fehlt, dass sie von Eltern, großen Geschwistern oder Freunden in der Hinterhofmoschee vorgelebt bekommen.

Als zusätzliche Triebfeder wirkt hierbei, dass gerade im Ramadan die Unterschiede zwischen westlich-liberal und konservativ gesinnten muslimischen Schülern offen zu Tage gefördert werden. Schnell kommt es dann zu Mobbing und Ausgrenzung: „Fastest du nicht? Bist du etwa ein Kuffar, ein Ungläubiger?“ werden die liberalen muslimischen Schüler dann gefragt. Wenn sie sich dann auch noch weigern, ein Kopftuch zu tragen oder sich in den Augen ihrer konservativen Mitschüler zu westlich kleiden, fallen auch Beleidigungen wie „du Hure“ oder „Schlampe“.

Neben diesen Beleidigungen und der Ausgrenzung ist jedoch noch eine zweite Tendenz zu beobachten: Viele Kinder aus konservativen Häusern versuchen ihre Mitschüler zum Fasten zu „bekehren“, sie von einem laizistischen Weg abzubringen und aus eine fundamentalistische Schiene, nicht selten auch gespickt mit salafistischem Gedankengut, zu heben. Um es symbolisch auszudrücken: Der lange Arm der Hinterhofmoscheen reicht besonders im Ramadan sogar bis auf unsere Schulhöfe. Das kann in keinem Fall im Sinne der Religionsfreiheit sein, sondern gefährdet diese vielmehr. Das Nichtstun der Multi-Kulti-Romantiker zeugt hierbei nur einmal mehr von der falschverstandenen Toleranz, die mit wehenden Fahnen ihren Siegeszug in unserem Land feiert.

Ich muss leider davon ausgehen, dass durch die aktuelle Situation, durch den Lockdown, die Situation weiter zugespitzt werden könnte: Der soziale Druck innerhalb der konservativen muslimischen Familien, der schon kleine Kinder zum Fasten bewegt, ist momentan um ein Vielfaches höher. Zugleich sind viele Schulkinder durch Homeschooling, fehlende soziale Kontakte und die Interaktion mit ihren Mitschülern zusätzlich gestresst. Ein strenges Fasten kann hier den Kreislauf noch schneller als ohnehin schon an dem Rand seiner Belastungsgrenzen bringen.

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Mit den angekündigten Schulöffnungen könnte sich diese Spannung mit voller Schlagkraft auf den Schulhöfen und in den Klassenzimmern entladen. Dem gilt es entgegenzuwirken, das Gespräch mit den Eltern zu suchen, für die Gefahren des Fastens zu sensibilisieren und auch darauf hinzuweisen, dass führen Islamschulen und auch muslimische Verbände vom Fasten bei Schulkindern abraten. Es gilt auf der einen Seite Verständnis für die spirituellen und religiösen Bedürfnisse der überwiegend liberalen Muslime zu zeigen, klarzumachen, dass das Fasten nicht prinzipiell verboten, die freie Religionsausübung eben nicht eingeschränkt werden soll, auf der anderen Seite aber auch Wege und Möglichkeiten zu finden, wie das Kindeswohl bestmöglich gewahrt werden kann.

Der Fastenmonat Ramadan birgt nämlich ebenso wie die Frage nach der Kopftuchpflicht ein enormes Konfliktpotenzial, beschwört nicht selten Unfrieden in den Klassen herauf und kann in letzte Konsequenz zu erheblichen pädagogischen Problemen führen – die Spaltung der muslimischen Verbände und Organisationen ist in diesen Fragen schon lange gegeben. Am Ende muss für uns immer das Kindeswohl die Maxime des Handelns sein. Es ist die Aufgabe der Politik dieses sicherzustellen und auch gegen Widerstände, ganz besonders auch bei familiärem Gegenwind, zu verteidigen. Das Kindeswohl gilt auch in den eigenen vier Wänden und auch bei fundamentalistischen Eltern.

Gerade bei den fundamentalistischen Familien, in denen auf das Kindeswohl keinerlei Rücksicht genommen wird ist für mich jedoch auch das Verbot des Fastengebots unter gewissen Voraussetzungen denkbar, so wie es meine Landtagsfraktionskollegin und Hessens Justizministerin Eva Kühne-Hörmann kürzlich angeregt hat. Wenn von einer Gefährdung des Kindeswohls auszugehen ist, auf das in den Familien erwiesenermaßen keine Rücksicht genommen wird, sondern die Kinder direkt oder indirekt zum Fasten gezwungen werden, dann müssen wir alle rechtsstaatlichen Mittel ausschöpfen, um diese Gefahr abzuwenden.
Unabhängig davon gilt es, die Präventionsarbeit weiter zu verstärken, um zu verhindern, dass sich radikal-islamische Tendenzen jeglicher Art auf den Schulhöfen und in der Mitte unserer Gesellschaft weiter ausbreiten können – und das gilt ganz besonders auch jetzt im muslimischen Fastenmonat Ramadan.

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